Mehr als 300 Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur verübten die russischen Streitkräfte allein in den vergangenen zehn Tagen. Rund 40 Prozent der gesamten Infrastruktur sollen mittlerweile beschädigt sein. Kurz vor dem Winter will der Kreml die Zivilbevölkerung offensichtlich (er)frieren lassen.

Auch deshalb wurden die Ukrainerinnen und Ukrainer am Donnerstag zum Strom- und Energiesparen aufgefordert. Anders als im Rest Europas bedeutete das konkret kaum bis gar keinen Strom zwischen 7.00 und 23.00 Uhr. Ein Kapazitätsmangel im System zwinge den staatlichen Stromversorger zu diesem Schritt, weil ansonsten mit Totalausfällen zu rechnen sei.

Batterien, Taschenlampen und bereits geladene Powerbanks seien jedenfalls bereitzuhalten. Realistischerweise drohe solch ein Szenario mit Einbruch der Kälte wohl noch öfter, hieß es in einer Einschätzung vom Netzbetreiber Ukrenergo.

Russischer Realismus?

Ein Anflug von Realismus war zuletzt auch im russischen Staatsfernsehen zu beobachten. Im staatlichen Sender Rossija 1 sagte ein Kriegsreporter, der aus der Nähe Chersons berichtete, dass von dort in den kommenden ein bis zwei Monaten wohl kaum mit guten Nachrichten für die russische Seite zu rechnen sei. Das gelte es durchzutauchen, appellierte er an die Truppe und wirkte dabei nicht sonderlich überzeugt.

Tatsächlich sind die Informationen über Truppenbewegungen aus dem Süden der Ukraine spärlich, die Neuigkeiten der vergangenen Tage scheinen den russischen Reporter aber zu bestätigen. Die Moderatorin stellte daraufhin nur die Frage in den Raum, wie man so naiv sein konnte zu glauben, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sofort fliehen und die Nato der Ukraine nicht beistehen würde?

Am Mittwoch hatte die von Russland eingesetzte Verwaltung in Erwartung eines ukrainischen Angriffs jedenfalls eine Evakuierung in dem besetzten Gebiet und auch in der gleichnamigen Regionalhauptstadt Cherson angeordnet. Nur was, wenn Cherson tatsächlich an die Ukraine zurückfällt? Ist eine Flucht überhaupt so leicht für die Russen, die eigentlich bis zum Schluss kämpfen wollten? Der Fluss Dnipro würde die Streitkräfte jedenfalls vor eine logistische Herausforderung stellen. Laut dem täglichen Geheimdienstupdate der Briten erschwere vor allem die Tatsache, dass alle permanenten Brücken über den einen Kilometer Meter breiten Fluss schwer beschädigt seien, die Lage ungemein. Russland müsste sich demnach wohl stark auf eine temporäre Brücke aus Lastkähnen verlassen, die nahe Cherson kürzlich fertiggestellt wurde, sowie auf militärische Ponton-Fähren, so die Einschätzung der britischen Experten.

Der anhaltende Raketen- und Drohnenbeschuss durch Russland beschäftigt die ukrainische Bevölkerung dennoch weiter.

In Kiew werden die Schäden nach den Drohnen- und Raketenangriffen der vergangenen Tage repariert. Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert weiterhin ein Schutzschild.
Foto: Foto: Reuters / Gleb Garanich

Selenskyj bekräftigte deshalb in einem Telefonat mit dem deutschen Präsidenten Frank-Walter Steinmeier die Notwendigkeit eines Schutzschilds zur Luftverteidigung. Gleichzeitig bedankte er sich bei den Deutschen für die Lieferung des Flugabwehrwehrsystems Iris-T. Eine aus Sicherheitsgründen kurzfristig abgesagte Reise Steinmeiers nach Kiew werde zeitnah nachgeholt, hieß es.

Waffenschmuggel gestoppt

Dass der Nachschub an russischen Waffen bisher nicht ausblieb, liegt neben riesigen Arsenalen und bestehenden Rüstungsverträgen mit autoritären Staaten offenbar auch an Schmuggelrouten. So wurde bekannt, dass die US-Justiz diese Woche zwei illegale Netzwerke zerschlagen hat, die Russland trotz geltender Sanktionen mit Militärtechnologie versorgt haben sollen.

Insgesamt seien in zwei separaten Strafverfahren elf Verdächtige und mehrere Firmen angeklagt worden. Eine Firma in Hamburg soll zudem in den Schmuggel von Erdöl und in weiterer Folge in Geldwäsche involviert gewesen sein.

Staatsanwalt Breon Peace bezeichnete die Angeklagten als "kriminelle Erfüllungsgehilfen von Oligarchen". Man verfolge weiterhin jene, die Russlands brutalen Krieg in der Ukraine anheizten, Sanktionen umgingen und Geldwäsche betrieben. (Fabian Sommavilla, 20.10.2022)