Birgit Minichmayr in "Das Netz – Spiel am Abgrund".

Foto: ARD Degeto/Sommerhaus Serien Gmb

Wien – Rechtzeitig vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar bringen Servus TV und die ARD die dunklen Seiten des Milliardengeschäfts Fußball aufs Tapet: im Serienkosmos "Das Netz". Birgit Minichmayr spielt im deutschen Strang "Das Netz – Spiel am Abgrund" eine Strafverteidigerin, die sich mit den mächtigen Funktionären anlegt. Die achtteilige Serie ist schon in der ARD-Mediathek (nur in Deutschland) zu sehen und startet linear am 1. November bei Servus TV und am 3. November in der ARD.

STANDARD: Sie haben im Vorfeld der Präsentation gesagt, Sie hätten kein Verhältnis zum Fußball. Was meinten Sie damit?

Minichmayr: Ich war noch nie bei einem Live-Fußballspiel. Wenn gerade eine WM oder EM ist, und man sitzt in einer Bar und es wird dort übertragen, bin ich meistens nur gelangweilt. Als Teenager war ich schon missmutig, wenn irgendwo ein Tischfußball herumgestanden ist und alle dort gespielt haben, anstatt mit mir zu reden, zu trinken oder zu schmusen. Ich habe keine Ahnung, wie die Regeln lauten, welche Positionen es gibt, was eine Schwalbe oder Taube ist oder wie die Vögel alle heißen. Ich weiß nichts.

STANDARD: Wie war das in Ihrem Elternhaus?

Minichmayr: Ich komme aus einem Elternhaus, wo Fußball sehr wohl geschaut worden ist, und auch Skifahren, Formel 1 und Tennis, aber ich hatte nie wirkliches Interesse, mir das anzuschauen. Am ehesten noch Skifahren, weil ich diesen Sport als Hobby selber ausübe. Ich bin völlig ungebildet, was das betrifft, das ist eine Leerstelle, eine Lücke, die ich nicht füllen kann. Fußball ist mir einfach wurscht.

STANDARD: Das Verhältnis ist eher negativ, weil Sie sich von Fußball gestört fühlten?

Minichmayr: Na ja, also ich fühlte mich nicht bedroht, weil alle so fußballaffin sind. Aber ich selber bin es eben nicht, meine Interessen liegen einfach woanders. Das Einzige, bei dem ich gerne mitgeschaut habe, das ist Elfmeterschießen. Das hat aber mit dem eigentlichen Sport nichts zu tun, denke ich, weil da ja eher der Zufall mitentscheidet.

STANDARD: Und Ihr Verhältnis zum Fußball hat sich auch mit der Serie nicht geändert?

Minichmayr: Nein, es bleibt so, aber mit der WM in Katar hat man jetzt doch mehr Gründe, das zu boykottieren und kundzutun, sich doch sehr zu wundern, dass es dort stattfindet. In einem Land, das mit unserem Verständnis von Menschenrechten so gar nichts zu tun hat. Und es gibt bei mir durchaus diesen utopischen Gedanken in der Vorstellung, wie herrlich es wäre, wenn diese Katar-Fußball-WM ist, keiner schaltet den Fernseher ein, und keiner geht hin. Das würde mir gefallen.

Birgit Minichmayr.
Foto: ARD Degeto/Sommerhaus Serien Gmb

STANDARD: Rufen Sie hiermit zum Boykott auf?

Minichmayr: Ja, warum nicht? Wenn sich schon sonst keiner durchringt, das irgendwie zu verhindern, außer Norwegen, wo das diskutiert wurde, glaube ich. Aber es gab dennoch keine Absage der qualifizierten Nationalmannschaften, von keinem Land.

STANDARD: Die Dänen wollen mit ihrem Trikot ein Zeichen des Protests setzen.

Minichmayr: Na ja ... Hinfahren und ein bisschen protestieren, das ist wie mit den blauen Häkchen in dieser sozialen Medienwelt. Oder wie ein Spucken in die Suppe, die dich nährt. Dann iss doch die Suppe von Anfang gleich nicht!

STANDARD: "Das Netz" setzt sich ja intensiv mit den dunklen Seiten des Fußballs auseinander. Glauben Sie, dass die Serie vor der WM einen Anstoß zum Nachdenken geben wird?

Minichmayr: Tja, was kann Kunst? Kann Kunst so was? Vor allem hier in der westlichen Welt? Ja, vielleicht, aber ich persönlich gebe mich nicht der Illusionen hin, dass jetzt die WM abgeblasen oder boykottiert wird, weil man so seine Serie gemacht hat. Ich glaube auch nicht, dass die Leute nach dem Konsum der Serie aufs WM-Schauen verzichten werden. Ich hoffe, dass man Gedankenanstöße bekommt, das ist natürlich wünschenswert, weil man vielleicht dann doch einen Mehrwert hat statt nur die reine Unterhaltung, aber ich tue mir so schwer – auch beim Theater – zu sagen: Was soll jemand mitnehmen? Jeder sitzt mit seiner individuellen Biografie da vor dem Bildschirm.

STANDARD: Definieren Sie Ihre Kunst dahingehend, mit ihr ein hehres Ziel zu verfolgen, indem Sie etwa Kritik artikulieren können?

Minichmayr: Definieren? Nein. Aber ich bin zum Glück so auf die Sonnenseite gefallen, dass ich keine einzige berufliche Entscheidung nur aus finanziellen Gründen treffen musste, sondern weil mich irgendetwas oder irgendwer euphorisierte, und so war es auch bei dieser Serie. Dass der Fußball auch eine korrupte Seite hat, das weiß man. Dass so etwas so sehr wachrüttelt oder einen Protest auslöst, das halte ich für utopisch.

STANDARD: Was hat Sie an Ihrer Rolle als Strafverteidigerin gereizt?

Minichmayr: Das ganze Package. Mit Regisseur Rick Ostermann hatte ich bereits meine Erfahrungen. Die Figur hat mich gereizt, und auch, mich zum ersten Mal in die Serienwelt zu wagen. Ich fand es spannend, dass das eine sozial engagierte Strafverteidigerin ist, die sich aber nicht scheut, auch mal zu etwas unkonventionelleren Handlungen zu greifen. Wie sie nach dem Unfalltod ihres Freundes wie so ein waidwundes Tier durch die Welt des Fußballs stolpert und am Schluss gar nicht mehr weiß, wo oben und unten ist und wer der Freund war, den sie geliebt hat ... Sie bleibt ohne Antworten, gefangen in einer Ohnmacht und mit der Erkenntnis, dass man sich als David mit Goliath anlegen wollte und sich dabei komplett verhoben hat. Das ist auch eine Reise in die Desillusionierung.

Birgit Minichmayr spielt eine Strafverteidigerin.
Foto: ARD Degeto/Sommerhaus Serien Gmb

STANDARD: Weil man scheitert?

Minichmayr: Ja, dass man nur so ein kleiner Pups bleibt, mit einem hehren, netten Gedanken, getrieben durch einen starken Gerechtigkeitssinn, aber im Grunde vollkommen scheitert, wenn sie denkt, sie könnte dieses Fußballsystem stürzen. Für sie ist das sehr desillusionierend. Das hat mich gereizt.

STANDARD: Wie war das Eintauchen in die Serienwelt? Sie machen sonst ja viel mehr am Theater, Musik, Kino- oder Filmproduktionen.

Minichmayr: Der Serienmarkt boomt gerade voll. Man muss so bangen, dass die Kinofilme nicht davon zerdrückt werden. Ich blicke durch diesen Dschungel an Serien nicht mehr durch und reagiere nur mehr auf Empfehlungen. Ich fühle mich so, als hätte ich zu viel Junkfood gegessen, wenn ich mich durch diese Streaminganbieter durchmanövriere auf der Suche nach etwas, das mir gefallen könnte. Ich bekomme sofort schlechte Laune und werde depressiv. Das ist für mich ein Overkill. Mich überfordert das so sehr, dass es mich augenblicklich erschöpft. Auf der anderen Seite ist das die Hochzeit für uns Schauspieler, weil wir drehen können ohne Ende.

STANDARD: Aber das Kino laboriert daran?

Minichmayr: Nächstes Jahr soll "Die Liebhaberinnen" von Elfriede Jelinek verfilmt werden, und ich warte seit Jahren, dass dieses Projekt endlich stattfinden wird. Ich hoffe, dass so schöne und tolle Projekte wie das finanziert werden und nicht unter die Räder kommen. Das ist einfach bitter. Es liegt auch an uns, wie sehr wir uns das öffentliche Leben nicht wegnehmen lassen, sondern es wieder erobern, indem wir wieder ins Kino, ins Theater, in Konzerte gehen. Wenn wir uns entschließen, es wieder hochleben zu lassen, dann wird es auch wieder sein. Ich bin ein bisschen pessimistisch, aber wir sollten uns das öffentliche Leben nicht verkümmern lassen.

STANDARD: Warum?

Minichmayr: Dass man Kino in seinen eigenen Räumen bevorzugt, anstatt rauszugehen und gemeinschaftlich was zu erleben: Ich kann das natürlich verstehen, dass die Menschenansammlungen einen auch beängstigen können mit der Konsequenz der Pandemie. Ich merke ja selber, dass ich sehr aufpasse, weil ich mich so verantwortlich fühle und es nicht aushalten kann, dass wegen mir ein Dreh oder eine Theateraufführung nicht stattfinden kann. Nächste Woche drehe ich in Brüssel und bin deswegen sehr achtsam, trotzdem musste ich am Wochenende einfach in "Humanistää!" (Theaterstück im Volkstheater, Anm.), und das war bummvoll und ein so gelungenster Abend, wie sie Ernst Jandl strahlen lassen. So sinnlich, so lustig. Diese Wunderwelt von Ernst Jandl, erzählt in so einer wundervollen Ensemble-Gemeinschaft. Sehr beeindruckend!

STANDARD: Sie haben ja auch diesen Protestbrief wegen der Pläne für FM4 unterschrieben. Warum? Haben Sie die Befürchtung, dass mit den Reformplänen ein Sprachrohr für die österreichische Kunst- und Kulturszene verloren gehen könnte?

Minichmayr: Die machen doch einen tollen Job bei FM4 und Ö1. Ich verstehe überhaupt nicht, was der Sinn der Sache ist, da jetzt auf Ö3-Hörerinnen und -Hörer abzuzielen. Das geht auch komplett an dem vorbei, wie die Leute heute Musik konsumieren. Ich bin eine süchtige Ö1-Hörerin. Wie ganz viele. Das ist so ein hochangesehener Sender, dass ich bei der Idee, ihn kommerzieller zu gestalten, Ohrensausen bekomme. Das ist alles Humbug, und ich glaube nicht daran, dass es dafür eine anwendbare Formel gibt, wie etwas zu Gold werden könnte. Wenn das jeder wüsste, würden alle nur noch Nummer-eins-Hits schreiben. Lasst ihn in Ruhe. Er ist toll, wie er ist. Sind wir doch stolz, dass wir einen international so angesehenen Radiosender wie Ö1 haben. Dass gespart werden muss, weil schlecht gewirtschaftet wurde, und dass das jetzt Hörer und Hörerinnen ausbaden müssen, das finde ich das eigentliche Trauerspiel.

STANDARD: Der Protest war dementsprechend groß.

Minichmayr: Und auch dass man aus der schönen Argentinierstraße rausmusste, das war schon ein erstes Trauerspiel. Alle stöhnen, keiner will auf den Küniglberg rauf. Die Studios waren so großartig dort. Jeder verbindet schönste Erinnerungen mit dem Funkhaus. Da hat man sich auch aufgeregt, gebracht hat es nichts. Ich hoffe, dass sie zurückrudern. Qualität heißt, eine Bandbreite von Künstlerinnen und Künstlern anzubieten. Mal sperriger, mal gefälliger, wie auch immer. Und aus FM4 eine Verjugendlichung machen zu wollen: Was soll denn das sein? Abgesehen davon, dass ich mich frage, ob diese gewünschte jugendliche Zuhörerschaft noch Radio hört.

STANDARD: "Das Netz" ist unter Federführung von Servus TV entstanden. Der Sender wird seit der Corona-Pandemie von vielen als Schwurblersender kritisiert, um das jetzt überspitzt zu formulieren. Wie sehen Sie das?

Minichmayr: Ich habe ehrlich gesagt keinen Fernseher. Und "Das Netz – Spiel am Abgrund" ist ja auch eine Produktion der ARD Degeto, die zwar in Österreich bei Servus TV gezeigt wird, aber eben auch in der ARD.

STANDARD: Und dass Sie sich immer wieder klar politisch links äußern und politische Zustände kritisieren, ist kein Widerspruch zum Image, das Servus TV hat?

Minichmayr: Da gibt es natürlich auch Bedenken, ich kenne den Sender aber viel zu wenig, das muss ich zugeben. Es gibt aber durchaus das eine oder andere Programm, von dem ich gelesen und es nachgesehen habe, das ich auch extrem schwierig finde. Sendungen, die stark nur in eine Richtung tendieren, ohne komplexer zu werden, oder auch Meinungen und Haltungen vertreten, die ich extrem schwierig finde und so nicht teile. (Oliver Mark, 22.10.2022)