Seisenbacher hatte sich dem Strafverfahren zu entziehen versucht, indem er sich Ende 2016 in die Ukraine absetzte. Nun könnte er bedingt freigelassen werden.

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Der wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen und Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses zu einer fast fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilte zweifache Judo-Olympiasieger Peter Seisenbacher könnte demnächst auf freien Fuß kommen. Der mittlerweile 62-Jährige hat mit kommender Woche zwei Drittel seiner Strafe verbüßt. Damit ist der Zeitpunkt gekommen, an dem sich das zuständige Vollzugsgericht mit seiner bedingten Entlassung auseinandersetzen muss.

Das österreichische Strafrecht sieht vor, dass ein Häftling grundsätzlich spätestens nach zwei Dritteln der über ihn verhängten Freiheitsstrafe vorzeitig entlassen wird, es sei denn, sogenannte besondere Gründe lassen befürchten, dass er wieder straffällig wird. Die bedingte Entlassung wird mit einer Probezeit von ein bis drei Jahren verknüpft, während der sich der Betroffene wohlzuverhalten und allfällige gerichtliche Weisungen zu befolgen hat. Verstößt er gegen Auflagen oder tritt gar wieder strafrechtlich in Erscheinung, kann die bedingte Entlassung widerrufen werden. Dann geht es wieder zurück ins Gefängnis, um die Reststrafe abzusitzen.

Akt wird bearbeitet

Im Fall Seisenbacher ist das Grazer Landesgericht für Strafsachen zuständig. Der Grund: Seisenbacher, den das Wiener Landesgericht für Strafsachen im Dezember 2019 in sämtlichen Anklagepunkten für schuldig befunden und zu fünf Jahren Haft verurteilt hatte – das Oberlandesgericht reduzierte die Strafe später um zwei Monate –, verbüßt seine Strafe in der Justizanstalt Graz-Karlau.

Das Prozedere hinsichtlich einer allfälligen bedingten Entlassung ist laut der Sprecherin des Grazer Landesgerichts, Barbara Schwarz, bereits im Laufen: "Der Akt befindet sich in Bearbeitung. Wir warten noch auf diverse Stellungnahmen. Es wurde auch ein psychologischer Sachverständiger für die Prognosebegutachtung bestellt."

Der Richtersenat, der über die bedingte Entlassung entscheidet, muss in jedem Fall Stellungnahmen des Leiters der Justizanstalt, der Staatsanwaltschaft und von Seisenbacher selbst einholen. Es wird auch Einschau in den Personalakt sowie in die Akten des Strafverfahrens genommen. Da es sich bei Seisenbacher um einen rechtskräftig abgeurteilten Sexualstraftäter handelt, hat auch die Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter ein Äußerungsrecht.

Das Gutachten wird laut Schwarz für Ende Oktober erwartet. Mit der Entscheidung, ob Seisenbacher bedingt entlassen wird, sei "in zwei, drei Wochen" zu rechnen.

Unglauben

Nicht nur die Judo-Szene, auch weite Teile der Öffentlichkeit hatten ungläubig reagiert, als bekannt wurde, dass die Staatsanwaltschaft Wien 2013 gegen Seisenbacher Ermittlungen wegen sexuellen Missbrauchs von Unmündigen aufgenommen hatte. Der Olympiasieger von 1984 in Los Angeles, der vier Jahre später in Seoul seinen Titel erfolgreich verteidigte, war nach dem Ende seiner Karriere für viele ein Idol geblieben. 1996 wurde ihm das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Er gründete in Wien einen eigenen Judo-Verein, wo es zu Missbrauchshandlungen kam, über die nicht mehr berichtet werden darf, da es sich um gerichtlich abgetane strafbare Handlungen handelt. Die Betroffenen waren zwei in den jeweiligen Tatzeiträumen noch unmündige Mädchen.

Seisenbacher hatte sich dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren zu entziehen versucht, indem er sich Ende 2016 in die Ukraine absetzte. Er wurde im August 2017 in einer Wohnung in Kiew festgenommen. Erst im September 2019 wurde er ausgeliefert und der Wiener Justiz übergeben, wo er in U-Haft genommen wurde. Die in der Ukraine verbrachte Zeit in Haft sowie die U-Haft in Wien wurden ihm auf die Freiheitsstrafe angerechnet. (APA, 21.10.2022)