Nicht nur in Berlin kämpfen Menschen mit den steigenden Wohnkosten. In Wien versuchte eine 61-Jährige, die Notwendigkeit eines Dachs über dem Kopf zum eigenen Vorteil auszunutzen – zum wiederholten Mal.

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Wien – Die Immobilienbranche wurde zwar im aktuellen "Vertrauensindex Institutionen" des Meinungsforschungsinstituts OGM nicht abgefragt, dürfte aber im Ansehen der Bevölkerung eher im Bereich von Versicherungen und Medien liegen – also ganz hinten. Ein Mitgrund könnte sein, dass sich im Maklerbereich auch Personen wie Frau Z. herumtreiben – die sich zum elften Mal vor einem Strafgericht, diesmal in Gestalt von Richterin Corinna Huber, wiederfindet.

Die 61-jährige Angeklagte mit zehn Vorstrafen, sechs davon wegen Betrugs, soll im Mai von einer jungen Frau Provision und Kaution für die Vermittlung einer Mietwohnung kassiert haben, obwohl sie dazu gar nicht berechtigt gewesen sei, wirft der Staatsanwalt der Pensionistin vor.

40-Quadratmeter-Wohnung

Es geht um eine 40-Quadratmeter-Wohnung in Wien-Brigittenau, die Z. für sich selbst mietete. Am 11. Februar übernahm sie die Schlüssel, ab dem 1. März hätte sie Miete zahlen sollen. Hat sie nie, das ist aber ein anderes Verfahren. Stattdessen bot sie die Wohnung einer Interessentin an und gab sich als Maklerin aus. Damals übte Z. diesen Beruf noch aus, vor zwei Monaten hat sie ihn aufgegeben und ging in Pension. "Es ist auch immer schwieriger mit den Kunden", erklärt sie dazu.

Sie versucht generell zu argumentieren, dass sie keine Schuld treffe und nur Missverständnisse vorliegen würden. Es sei nämlich so: In dem Haus mit ihrer kleinen Wohnung sei auch ein Penthouse um monatlich 3.900 Euro zu vermieten gewesen. Die Tochter des Eigentümers, selbst Maklerin, habe Z. angeboten, die Provision zu teilen, falls sie einen Interessenten oder eine Interessentin vermitteln würde.

In ihre eigene Wohnung zog die Angeklagte aber nie ein. "Warum nicht?", interessiert die Richterin. "Wegen familiärer Probleme", sagt Z. zunächst, dann schildert sie, das Gebäude sei für Renovierungsarbeiten eingerüstet gewesen und es hätten keine Möbel durch die Eingangstür gepasst. Aus vorerst nicht näher ausgeführten Gründen sei ihr die Wohnung dann ohnehin zu klein gewesen. "Ich habe es gut gemeint und gedacht, ich suche eine Nachmieterin", beteuert sie, warum sie die Wohnung ihrem jungen Opfer angeboten hat. "Seien Sie mir nicht bös, aber Sie sind Maklerin, Sie haben gewusst, dass Sie die nicht selbst vermieten dürfen", hält Huber ihr vor.

"Unzuverlässige" Interessentin

Z. bleibt dabei: Auch in diesem Fall hätte sie die Provision mit der Tochter des Hauseigentümers geteilt. "Haben Sie die Tochter darüber vorher informiert?", fragt die Richterin nach. "Nein, die Interessentin war sehr unzuverlässig und hat dreimal Termine verschoben", beschwert sich die Angeklagte.

Zum Unmut Hubers, die Z. Auszüge aus ihrer fernschriftlichen Kommunikation mit der Interessentin vorhält. "Am 5. April haben Sie geschrieben: 'Morgen habe ich ein Treffen mit der Verwaltung.' Hatten Sie eines?" – "Nein." – "Am 9. April haben Sie geschrieben: 'Der Vermieter geht auf Urlaub.' Ging er?" – "Nein." – "Am Ende schreiben Sie der Interessentin, sie solle Provision und Kaution in bar mitbringen. Gab es dafür einen Auftrag?" – "Nein." – "Also haben Sie die Interessentin angelogen", schlussfolgert die Richterin rasiermesserscharf.

"Sie haben der Interessentin auch Ihren eigenen Mietvertrag gezeigt, in dem allerdings Ihr Name ausgeschwärzt gewesen ist. Warum?" – "Damit sie meine Daten nicht sieht", lautet die erste Erklärung. Dann sagt Z., es habe sich lediglich um einen Mustermietvertrag gehandelt. "Man könnte aber auch den Verdacht haben, Sie haben das gemacht, damit die Interessentin nicht merkt, dass Sie selbst die Mieterin sind", entgegnet Huber.

Im Saal telefonierende Tochter

In dieser Tonart geht es weiter. Die Angeklagte sagt zum Beispiel mit Überzeugung: "Ich habe die Kaution nicht kassiert." – "Warum sollte die Interessentin lügen? Sie sagt ja selbst, Sie haben sie fünf Minuten später zurückgegeben." – "Ich habe sie kurz genommen. Aber dann gesagt, dass sie die Kaution dem Vermieter zahlen muss", gibt die Angeklagte doch zu. "Erzählen Sie mir doch kein Gschichtl", formuliert die Richterin ihren Unglauben. Dass die im Zuseherraum anwesende Tochter der Angeklagten dann im Saal einen Anruf entgegennimmt und hörbar zu telefonieren beginnt, verbessert Hubers Stimmung nicht unbedingt.

Verteidigerin Anita Schattner bemüht sich redlich, ihre Mandantin zu einem reumütigen Geständnis zu bringen. Durch ihre Fragen wird klar, dass Z. die Wohnung mit einem Kündigungsverzicht für fünf Jahre gemietet hatte, im März aber erfuhr, dass sie die Obsorge für ihren geistig beeinträchtigten Enkel übernehmen muss. "Der braucht ein eigenes Zimmer. Und in der 40-Quadratmeter-Wohnung hätte ich dann auf der Couch schlafen müssen. Das kann ich aber nicht wegen meines Rückens", sagt die 61-Jährige unter Tränen.

Nach kurzer Rücksprache mit der Verteidigerin vor dem Saal nimmt Z. wieder auf dem Angeklagtenstuhl Platz und schluchzt ein Geständnis. "Ich sehe, Sie sind völlig aufgelöst. Brauchen Sie noch eine Pause?", bietet die Richterin an. Die Angeklagte verzichtet, Staatsanwalt und Verteidigerin wiederum verzichten ob des Geständnisses auf die geladenen Zeugen. Verteidigerin Schattner ist es noch wichtig zu erwähnen, dass die junge Interessentin nicht finanziell geschädigt wurde, da Z. die Provision und Kaution in Höhe von 4.185 Euro zurückgezahlt habe. Darüber hinaus habe die Interessentin mittlerweile die fragliche Wohnung bekommen.

Angriffiger Staatsanwalt

Im Schlussvortrag packt der Vertreter der Anklage ungewöhnlich scharfe Worte aus. Z. sei "eine notorische Gewohnheitskriminelle", für Betrüger sei es typisch, dass keine Ja-oder-Nein-Antworten kommen. Mit den Anklageschriften ihrer zehn Vorstrafen könnte Z. "schon eine Kleinwohnung tapezieren", zürnt er und schreibt der Angeklagten einen "hinterlistigen und heimtückischen Charakter" zu.

Verteidigerin Schattner hält das "schon für sehr heftige Worte". Aus ihrer Sicht habe die Mandantin ihre Mietwohnung aus einer Not heraus loswerden wollen, da sie für die Betreuung des Enkels Platz brauchte. Sie sieht auch keine Gefahr für weitere Delinquenz mehr: "Sie wird sich um den Enkel kümmern. Das wird ihr Lebensinhalt sein", ist Schattner überzeugt. "Man sollte meiner Mandantin noch eine Chance geben, damit sie ihrer familiären Verpflichtung nachkommen kann", bittet sie um eine milde und wenn möglich bedingte Strafe.

Bei zehn Vorstrafen eine äußerst optimistische Bitte, vor allem angesichts der Tatsache, dass Z. einen unbedingten Teil von vier Monaten Haft aus der jüngsten Verurteilung im Jahr 2020 bisher noch nicht angetreten hat und weitere zwölf Monate aus dieser Verurteilung bedingt offen sind.

"Kein Spielraum" für Richterin

Huber sieht also keine Option und verurteilt die Angeklagte zu 15 Monaten unbedingter Haft. "Ehrlich gesagt, Sie haben einiges sehr Belastendes auf Ihrer Seite", begründet sie. Einerseits die Vorstrafen, andererseits die Begehung der jüngsten Tat während offener Probezeit. Das Geständnis und die Schadenswiedergutmachung gelten dagegen als mildernd. "Ich verstehe auch Ihre Notsituation", konzediert die Richterin. Aber: "Eine bedingte Nachsicht ist nicht mehr möglich, da blieb überhaupt kein Spielraum mehr."

Z. nimmt die Entscheidung weinend an, da der Staatsanwalt keine Erklärung abgibt, ist das Urteil nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 21.10.2022)