"Sobbing with your head in your hands, ain’t that the way shit always ends." Taylor Swift beherzigt leider nicht den alten Rat der Oma, dass der Schlaf vor Mitternacht der gesündeste sei.

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Dass sehr viele Menschen auf diesem Planeten in der Nacht zum Freitag wachgeblieben sind, um das Erscheinen eines neuen Albums von Taylor Swift um keine Sekunde zu versäumen, ist dem programmatischen Titel des Werks zu verdanken. In den 13 Songs der pünktlich um Mitternacht veröffentlichten Konzeptarbeit Midnights werden schließlich jene Themen verhandelt, die in den Leuten umgehen, wenn sie keinen Schlaf finden.

Der 33-jährige US-Superstar wirft sich diesbezüglich allerdings laut alter Formel des reflektiven Selbstbezichtigungs- oder Durchhaltegenres nicht mit Whiskeyglas und Zigarette einem abgelebten Klavierspieler in einer als Bar deklarierten Tschumsn an den Hals. Wenn dann um sechs Uhr früh das Lokal vollgeheult ist, werden alle Gäste hinaus auf die Straße gekehrt und hoffen darauf, dass sie eine Sonnenbrille eingesteckt haben. Nein, Taylor Swift legt es etwas moderner an.

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So wie ihr Produzent und Co-Autor Jack Antonoff sitzt sitzt sie lieber allein daheim auf dem Sofa und tauscht Texte und Soundfiles aus. Draußen in der Welt gehen ja ohnehin die ansteckenden Krankheiten um, etwa der in Nachtlokalen sehr beliebte Quietschenten-R-’n’-B. Der und die zwei Alben von Billie Eilish haben sich längst auch ihren Weg in die Klappcomputer des erfolgreichen Duos gebahnt.

Im Gegensatz zum Großteil der Konkurrenz war Taylor Swift stets darum bemüht, sich nicht auf einen Signature-Sound festlegen zu lassen. Vielleicht verdankt sie diesem Willen nach Veränderung auch ihren heutigen Welterfolg. Vom Countrygirl aus Nashville über den Heartland-Rock eines Bruce Springsteen arbeitete sie sich über die Jahre in den zeitgenössischen, aber nicht weiter auffälligen Konsenspop vor.

Glas schneiden im Hall

Allerdings scheint sie sich auf Midnights nach einer Phase der etwas dunkler gehaltenen Alternative-Folklore auf Folklore oder Evermore aktuell nun doch dafür entschieden zu haben, den Weg ihres alten Duettkumpels Ed Sheeran weiterzugehen. Etwas schwer zu merkende Melodien werden grundlos elektronisch zugekleistert und in Swifts Fall gefällig kühl arrangiert.

"How the hell did we lose sight of us again? / Sobbing with your head in your hands / Ain’t that the way shit always ends?": Ihre helle und durch Glas schneidende Stimme, die so gar nicht zu den mild depressiven Texten passen will, wird etwa im Song Maroon tief in den Hallraum verräumt und mit einem zähen New-Wave-Sound der 1980er-Jahre unterlegt. Die verstörende Wirkung könnte man auch erzielen, wenn man Celine Dion zur Sängerin von Depeche Mode machen würde.

Das war jetzt ein bisschen hart. Ersetzen wir Depeche Mode lieber durch Alphaville. Heraus kommt ein verschmierter Sound, in dem Taylor Swifts Stimme verfremdet und verzerrt als Geist durch den Raum schwebt. Auch ein Duett mit der stoischen Poptragödin Lana Del Rey in Snow On The Beach verliert dadurch jede Dringlichkeit. Vielleicht gilt es 2022 doch eher, Taylors Swifts feministische Arbeit als Superstar und ihren Kampf für ökonomische Selbstbestimmung etwa angesichts von Apple zu würdigen. (Christian Schachinger, 21.10.2022)