Die Superblüte in der Wüste wird im Spanischen als "desierto florido" bezeichnet.
Foto: APA/AFP/Imagen Chile/Sebastian Ojeda

Violette Felder en masse gibt es nicht nur in der Provence, sondern in besonderen Fällen auch in der relativ lebensfeindlichen Atacama-Wüste in Chile. Während der französische Lavendel größtenteils wieder verblüht ist, hat auf der Südhalbkugel der Frühling begonnen, der 2022 besonders farbenfroh ausfällt. Denn aktuell verzaubert in der chilenischen Wüste ein Meer an lila Blüten Besucherinnen und Besucher – ein Spektakel, das nur in manchen Jahren auftritt.

Seit September sprießen die Pflanzen dort, wo sonst extreme Dürre vorherrscht: Abgesehen von den Polarregionen ist die Atacama-Wüste die trockenste Wüste der Erde. Manche Wetterstationen haben zeit ihrer Existenz noch nie Niederschlag dokumentiert. Doch in manchen Bereichen des 1.600 Kilometer langen Landstrichs an der Pazifikküste können sich Superblüten einstellen – wie in diesem Jahr, nachdem starker Regen im Juli das botanische Wunder erahnen ließ. Die "blühende Wüste" ("desierto florido") zeigte sich in den vergangenen 40 Jahren nur 13-mal, sagt die Biologin Rosita Scherson von der Universität Chile gegenüber Al Jazeera.

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Vielfalt in der Wüste

"Superblüten kommen auch in einigen anderen Wüsten vor, etwa im Süden Kaliforniens", erklärt Scherson. Doch im Gegensatz zur Atacama-Wüste gebe es in anderen Wüsten auch sonst Vegetation. Die Pflanzenarmut der chilenischen Wüste hingegen macht sie regelmäßig zum Trainingsgelände der US-Weltraumagentur Nasa, die in den steinigen Landschaften für den Mars probt.

Die berühmte Blüte in der Atacama-Wüste ist selbst aus dem Weltraum zu sehen, hier im Südhalbkugel-Frühjahr 2021.
Foto: Europäische Union, Copernicus Sentinel-2

Wenn sich durchschnittlich alle drei Jahre tausende Blüten öffnen, lässt sich das erstaunliche Phänomen sogar aus dem All erkennen. Auch im Vorjahr, 2021, kam es zur Superblüte, die allerdings schwächer ausfiel als die diesjährige. Dennoch machte sich damals ein Forschungsteam daran, die Mechanismen hinter dem farbenfrohen Phänomen zu erforschen, um zu verstehen, warum gerade an diesem Ort eine solche Vielfalt an Pflanzen und Blütenfarben entsteht. Die Ergebnisse erschienen nun im Fachmagazin "Frontiers in Ecology and Evolution".

Kakteen gedeihen infolge des Regens ebenfalls auf dem trockenen Steinboden.
Foto: APA/AFP/Imagen Chile/Sebastian Ojeda

Beispielhaft untersuchte die Gruppe dafür jene Blume, die wie keine andere für das Atacama-Phänomen steht: Die Guanako-Pfote hat ihren Namen von einer südamerikanischen Lama-Spezies, im Englischen sind die Blumen besser bekannt als "pussypaws". Ihre Blüten können unterschiedlich gefärbt sein – oft in Violett oder Gelb, aber auch in Weiß sowie Pink- und Rottönen.

Die Guanako-Pfote ("pata de guanaco") heißt fachsprachlich Cistanthe longiscapa.
Foto: Oven Pérez-Nates

Der Blick einer Biene

Durch UV-Kameras konnte das Team zeigen, wie bestäubende Insekten die Blüten sehen dürften. Die Facettenaugen der Hautflügler, zu denen etwa Bienen und Wespen gehören, sind immerhin in der Lage, im ultravioletten Lichtbereich mehr zu erkennen als Menschen. Die Forschungsgruppe demonstrierte, dass manche der Blüten für die Insekten in der Mitte eine andere Farbe hatten als am Rand. Sie führen die Bestäuber also ähnlich wie eine Zielscheibe dorthin, wo sie mitgebrachten Pollen in Kontakt mit dem Stempel bringen sollen – wie es Bienchen und Blümchen eben tun.

Das für Insekten Wesentliche ist für menschliche Augen manchmal unsichtbar. In den Spalten ist jeweils zu sehen, wie Blüten für uns aussehen, sowie der Vergleich mit UV-Licht und die Rekonstruktion des Bienenblicks.
Foto: Martínez-Harms et al. 2022, Frontiers in Ecology and Evolution

Andererseits sind manche rot und pink gefärbten Blüten für Insekten mitunter schwieriger zu unterscheiden als für Menschen. Chemisch steckt hinter den Pigmenten übrigens wahrscheinlich die Stoffgruppe der Betalaine. Sie sorgen praktischerweise auch dafür, dass die Pflanzen mit Salz- und Trockenstress zurechtkommen. Wie bei anderen Pflanzen, die in Wüsten erblühen, können die Samen über ein Jahrzehnt oder länger schlafend in der Erde auf ihren großen Auftritt warten.

Von September bis Mitte November ist die üppige Blüte in einem "Desierto florido"-Jahr zu sehen.
Foto: Oven Pérez-Nates

Wenn verschiedene Arten an Bestäuberinsekten unterschiedliche Muster- und Farbpräferenzen haben, könne das für eine relativ große Blütenvariation sorgen, erklärt der Erstautor der Studie, Jaime Martínez-Harms vom landwirtschaftlichen Forschungsinstitut INIA in Chile. "Dieser andauernde Prozess könnte letztlich zur Entstehung neuer Rassen oder Arten führen", sagt der Biologe.

Kurzzeitiges Ökosystem

Sobald sich die Blüten öffnen, locken sie Insekten an – die wiederum ein gefundenes Fressen für Vögel und (wie auch die Pflanzen selbst) das eine oder andere Säugetier sind. So entsteht bei jeder Superblüte ein kleines Ökosystem, das nur im Zeitraum zwischen September und Mitte November eines niederschlagsreichen Sommers existiert.

Die Wüstenblüte lockt auch Vögel und Säugetiere an.
Foto: AP / Matias Basualdo

Da die Regenmuster immer unregelmäßiger werden, machen sich Fachleute Sorgen, inwiefern dies die Zukunft der beeindruckenden Massenblüte beeinflussen wird. Doch auch andere Probleme machen dem Kurzzeit-Ökosystem zu schaffen – vor allem dann, wenn sich besonders viele Touristinnen und Touristen für die blühende Wüste interessieren.

Grüner Bewuchs und farbenprächtige Blüten sind in der Atacama-Wüste ein rarer Anblick.
Foto: AP / Matias Basualdo

Aufklärungskampagnen von Regierung und Umweltorganisationen dürften die Lage jedoch verbessert haben. Um das Gebiet zu schützen und gleichzeitig den Tourismus zu fördern, kündigte Anfang Oktober der chilenische Präsident Gabriel Boric zudem an, im Süden der Atacama-Wüste einen Nationalpark zu errichten. (Julia Sica, 22.10.2022)