Nicht überall, wo irgendetwas mit "Quanten" draufsteht, ist Quantenphysik drin. Viele Begriffe und Konzepte aus der Fachwelt werden für esoterischen Humbug missbraucht.

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Was hat der österreichische Quantenphysiker und Nobelpreisträger Anton Zeilinger mit einem Gerät zu tun, das angeblich dabei helfen soll, "energetische Disbalancen" auszugleichen und das "physikalisch-geistige Informationsfeld" wieder ins Lot zu bringen? Sie ahnen es: nicht das Geringste. Dennoch wird auf der Homepage einer niederösterreichischen "Beraterin zu Informationsfeld-Technologie" auf wissenschaftliche Vorträge des Physikers verwiesen, als gäbe es irgendeinen Zusammenhang zwischen seiner Forschung und ihrer völlig wirkungslosen "Quantenheilungstechnologie".

Dass Zeilinger – wie andere Physikerinnen und Physiker auch – derartige Vorstellung von "Quantenheilung" als vollkommenen Mumpitz bezeichnet, wird freilich nicht erwähnt. Das passt nicht ins Geschäftskonzept. Dafür gibt es aber den Hinweis, dass "energetische Behandlungen" gleich im günstigen Sechserblock gebucht werden können – für 550 Euro.

Physik als Schmuck

Zeilinger ist in guter Gesellschaft: Auch Nobelpreiskollegen wie Albert Einstein, Max Planck oder Richard Feynman werden seit Jahren von Pseudowissenschaftern und Esoterikerinnen angeführt, um ihren unhaltbaren Methoden mit großen Namen und Begriffen aus der Quantenphysik einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen. Und um potenziellen Kundinnen und Kunden vorzutäuschen, ihre angeblichen Supertechnologien und Heilslehren würden auf bahnbrechenden Erkenntnissen basieren.

So absurd-amüsant es zunächst klingen mag, wenn etwa ein Haarsalon für kräftige Bezahlung mit "modernsten quantenphysikalischen Technologien" eine schönere Frisur verspricht oder "Magnetquanten-Behandlungen" gegen Potenzprobleme helfen sollen, so gefährlich können derlei "alternative Angebote" schnell werden. Offeriert werden oft nicht nur unwirksame Hilfsmittel gegen harmlose Leiden. Mitunter werden solche Methoden als echte Alternativen zur medizinischen Diagnostik und Behandlung dargestellt. Wer notwendige Arztbesuche aufschiebt und stattdessen auf Quantenquatsch setzt, riskiert mehr als nur einen niedrigen Kontostand.

Tor zur Wissenschaftsfeindlichkeit

Problematisch sind unwissenschaftliche Quantenheilsversprechen aber auch auf der gesellschaftlichen Ebene, sagt der Wiener Quantenphysiker Marcus Huber: "Wir alle glauben ständig irgendwelche irrationalen Dinge und verlassen uns auf Vereinfachungen. Wenn Leute aber beginnen, die eigene Irrationalität nicht nur zu akzeptieren, sondern zu zelebrieren und gegen Fakten zu verteidigen, wird es problematisch." An Fakten zu zweifeln oder zu glauben, jegliche Erzählung sei gleichwertig, egal, von wem sie stammt, und man müsse einfach seinen eigenen richtigen Weg finden, führe zu einer strukturellen Wissenschaftsfeindlichkeit, sagt Huber, der Professor an der TU Wien ist.

Warum aber muss ausgerechnet die Quantenphysik so oft für pseudowissenschaftlichen Quatsch und Scharlatanerie herhalten? Das begann schon in den 1970er-Jahren, als Anhänger der New-Age-Bewegung damit anfingen, spirituelle Bedeutung in der Wissenschaft der kleinsten Teilchen zu suchen. Dass gerade die Quantentheorie so viele Esoterikerinnen anlockte, hat vielleicht mit etwas zu tun, das vor Jahrzehnten der US-amerikanische Physiknobelpreisträger Richard Feynman so ausdrückte: "Ich glaube, ich kann mit Sicherheit sagen, dass niemand die Quantenmechanik wirklich versteht."

Geisterhafte Mathematik

Tatsächlich entziehen sich quantenphysikalische Phänomene völlig unserer Alltagserfahrung. Objekte, die sich in Überlagerungszuständen befinden wie Schrödingers berühmte Katze, die so lange tot und lebendig ist, bis jemand nachschaut, gibt es in unserer Realität nicht. In der Quantenwelt lassen sich solche Überlagerungen aber beobachten: Ein Lichtteilchen kann vertikal und horizontal polarisiert sein – festgelegt wird der Zustand erst durch eine Messung. Zwei Teilchen können auch über große Distanzen miteinander "verschränkt" sein und ihren Zustand zeitgleich festlegen, sobald eines gemessen wird.

Einer solchen "spukhaften Fernwirkung", wie Albert Einstein das Phänomen abschätzig nannte, begegnen wir im normalen Leben nicht. Gleichzeitig basiert aber fast die gesamte moderne Technik auf der Erforschung der Quantenphänomene: In der Mikroelektronik jedes Smartphones kommen zahlreiche Erkenntnisse aus der Quantenphysik zur Anwendung. Sind es diese komplizierten Widersprüche, die die faszinierende Welt der kleinsten Teilchen heute zum Ideengeber für pseudowissenschaftlichen Humbug machen?

"Ich denke, zum großen Teil ist es die Komplexität der Materie, die eine gewisse Beliebigkeit zulässt, weil es ja eh niemand versteht", sagt der Quantenphysiker Huber. "Und da die Ergebnisse unseren Alltagserfahrungen so radikal widersprechen, lässt sich da sehr viel Magisches hineininterpretieren. Dass wir Physikerinnen und Physiker Begriffe wie spukhafte Fernwirkung verwenden oder in den Quantenfeldtheorien ‚Geister‘ vorkommen, spielt vielleicht auch eine Rolle. Das sind natürlich mathematische Konzepte, aber für Laien wirkt das vielleicht merkwürdig."

Willkürliche Anleihen

Um unwissenschaftliche Quantenmogelpackungen erkennen zu können, ist aber ein Physikstudium ebenso wenig notwendig wie das Abtauchen in esoterische Internetforen. Auch ohne die erstaunlichen Phänomene der Quantenmechanik im Detail nachvollziehen zu können, lässt sich festhalten: Es gibt keine seriöse Quantenmedizin – und die Anwendungen, die unter diesem Begriff angeboten werden, basieren nicht auf physikalischen Forschungsergebnissen. Sie nutzen lediglich ein wenig quantenphysikalisches Vokabular – und das meist äußerst willkürlich.

Die "spukhafte Fernwirkung" lässt sich unter streng kontrollierten Bedingungen im Labor an Elementarteilchen nachweisen und wird schon durch die allerkleinsten Interaktionen, etwa mit Luftmolekülen, wieder zerstört. Eine Verschränkung des menschlichen Bewusstseins mit dem Universum lässt sich daraus ebenso wenig ableiten wie ein Quantenhaarshampoo entwickeln. (David Rennert, 23.10.2022)