Die russischen Oligarchen sind in Südfrankreich von der Bildfläche verschwunden. Geblieben sind ihre Gärtner, Installateure und Transporteure.

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Arme Milliardäre. Sie sitzen in Dubai oder auf ihrer Yacht fest, nur die Erinnerung bleibt an die schöne Côte d’Azur, wo sie nicht einmal mehr die eigene Villa betreten dürfen. Es waren "les années folles", die verrückten Jahre. Süleyman Kerimow etwa, der russische Senator und Investor, ließ zu seinen Soireen Sängerinnen wie Shakira oder Beyoncé einfliegen; für Fußballstars wie Samuel Eto’o oder Roberto Carlos veranstaltete er nächtliche Autorennen entlang der Strandpromenade von Nizza.

Die Bugattis stellte er zur Verfügung, "und die Strafen übernehme ich", sagte er. Nur einmal, als er dort selbst die Herrschaft über seinen Ferrari verlor, landete Kerimow in der Notaufnahme. Dafür ließ er zu seiner Hochzeit eine russische Kapelle Stein für Stein demontieren und an der "Côte" wieder aufbauen.

Geldwäsche und Steuerflucht

Jetzt ist das Sausen und Brausen vorbei. Kerimow ist, wie so viele Branchenkollegen, ein Paria, von der EU und den USA mit Sanktionen belegt. Die französische Justiz hat zudem ein neues Strafverfahren wegen schwerer Geldwäsche und Steuerflucht unter anderem gegen den Putin-Freund eingeleitet. Eine seiner vier Luxusvillen am Cap d’Antibes, Médy Roc, hatte er demnach für 120 Millionen Euro gekauft; dem Fiskus deklarierte er aber nur gut ein Viertel.

An der Côte d’Azur kommt das Verhalten der Milliardäre oft gar nicht gut an.
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"Offiziell gehört das Gut nicht ihm, sondern seiner Tochter Gulnara", sagt Lokalpolitiker Gérard Piel vor dem drei Meter hohen Eingangstor zum Villengelände. "Aber sehen Sie hier die gusseisernen Schildkröten auf dem Portal? Das ist Kerimows Lieblingstier."

Personal pflegt Villen trotz Sanktionen

Piel hat seinen Wagen bei der Ankunft sofort in Abfahrposition gestellt. "Das letzte Mal habe ich mit den Wachhunden Bekanntschaft gemacht", erzählt der 73-jährige Linksoppositionelle aus Antibes. In der früheren Wohnstadt Picassos geboren und als Fleischer tätig gewesen, ist Piel heute einer von ganz wenigen, die den Oligarchen hier auf die Finger schauen.

"Im Zuge der Sanktionen wurden ihre Villen ‚eingefroren‘, aber nicht richtig beschlagnahmt. Das Personal sorgt jedenfalls weiter für den Unterhalt der Anwesen." Offenbar beobachtet es immer noch die Zufahrt: Über dem Eingangsportal gibt eine Überwachungskamera ein warnendes Beep von sich; dahinter ist nun Hundegebell zu hören. Nach Pudeln klingt es nicht.

Piel erzählt ungerührt weiter: Kerimows Nachbar, Roman Abramowitsch, ebenfalls Milliardär und früher Besitzer des englischen Fußballklubs FC Chelsea, beschäftige in seinem Château de la Croë 200 Angestellte. "Einmal begannen sie, am öffentlichen Strand Betonquader ins Meer abzulassen, um eine Anlegestelle für eine Megayacht zu bauen. Die Gemeinde stoppte die Arbeiten gerade noch, um die geschützte Küste um das Cap d’Antibes zu schützen."

Straße "privatisiert"

Noch mehr ärgert sich Piel, dass die Russen eine Straße regelrecht "privatisiert" haben: In den Boden versenkbare Pflöcke lassen die Anwohner kontrollieren, wer zufahren darf. Es sind grosso modo deren zwei: Zur Linken der Straße verbirgt sich Abramowitschs Schloss, das dem Weißen Haus ähnelt, zur Rechten reihen sich die vier Villen Kerimows aneinander.

Oligarchen in Südfrankreich kamen, wie Roman Abramowitsch, einst vorwiegend aus Russland.
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Beim Weitergehen hört man hinter den Mauern nur noch das beruhigende Geräusch von Wassersprinklern. Piel erzählt, wie er den Präfekten brieflich gefragt habe, wie es möglich sei, dass in diesen quasi "eingefrorenen" Gebäuden gearbeitet werde. "Eine Antwort habe ich nicht erhalten."

An der Mauer eines Kerimow-Anwesens hängt die obligatorische Publikation einer Baubewilligung. Sie stammt von Oktober 2021, also noch vor dem Krieg und den Sanktionen; als Bauherrin ist eine gewisse "Angéline C." angegeben. "Das wird die Hauswartin sein, oder Kerimows Putzfrau", flachst Piel.

"Halbinsel der Milliardäre"

Und warum erstand Kerimow gleich vier Villen in einer Reihe? Auf einer Parzelle dürfe man die bestehende Bausubstanz nicht vergrößern, meint der Politpensionist. Die Zusammenlegung erlaube aber den Bau einer viermal so großen Megavilla. So geht das hier am malerischen Cap d’Antibes, im Volksmund "Halbinsel der Milliardäre" genannt.

Aber eben, jetzt sind die Kerimows oder Abramowitschs von der Bildfläche verschwunden. Geblieben sind ihre Gärtner, Installateure, Transporteure. Der russische Supermarkt im nahen Antibes existiert auch noch. "Nur die T-Shirts mit Putins Konterfei hängen nicht mehr draußen", weiß Piel.

Luxustouristen aus dem Westen

Im Städtchen Antibes sieht man keine Boliden und Bentleys mit russischen Kennzeichen mehr. Dafür kommen schwerreiche Amerikanerinnen und Engländer wieder zahlreicher als in den Covid-Jahren. Die blitzenden Yachten im Hafen werden für 200.000 Euro die Woche vermietet. "Die protzigste kostet mehr als 500.000 Euro pro Woche", weiß Piel, der einmal eine Protestdemo organisiert hat – auch wenn nur 20 Leute kamen. Antibes rollt lieber den Milliardären den Teppich aus. "Schauen Sie", sagt Piel: "Die Läden entlang des Kais sind alle auf das Yachtbusiness ausgerichtet."

"Oligarchen haben nur eine Nation – das Geld."

Gérard Piel, linker Lokalpolitiker

Die Russen, so heißt es, versuchen derzeit ihre Luxusvillen an der "Côte" diskret zu verkaufen. Die Preise drückt dies mitnichten. Zu sehen ist das auf dem anderen Milliardärshügels an der französischen Riviera, Cap Ferrat zwischen Nizza und Monaco. In diesem vielleicht schönsten Küstenvorsprung der Côte d’Azur herrschen, frei nach dem berühmten Matisse-Gemälde, "Luxus, Ruhe und Wonne".

Ukrainische Oligarchen springen ein

Die Villen, zumal die größten, sind unsichtbar – außer im Schaufenster einer Immobilienagentur. Dort werden Prestigeobjekte von 5,68 bis 18,9 Millionen Euro angeboten. Der Rubel rollt auch ohne Russen, genauer gesagt, dank der ukrainischen Oligarchen, die am Cap Ferrat einspringen. Der reichste Ukrainer, Rinat Achmetow, unter anderem Besitzer des zerstörten Asow-Stahlwerks in Mariupol, erwarb schon 2019 die imposante Villa Les Cèdres. Der Kaufpreis von 200 Millionen Euro sucht weltweit seinesgleichen.

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Ukrainer wie Rinat Achmetow haben die Russen ersetzt.
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Achmetow, nebenbei Besitzer des Fußballvereins Schachtar Donezk, galt vor dem Krieg eher als Kreml-Freund; er soll auch in einen Staatsstreichversuch gegen Präsident Wolodymyr Selenskyj verwickelt gewesen sein und wurde der Korruption bezichtigt. Heute aber unterstützt er finanziell die ukrainische Armee.

Auch prorussische Abgeordnete am Cap

Auf der Hitliste ukrainischer Besitzungen am Cap Ferrat folgen Oligarchen, die nicht als Eigentümer in Erscheinung treten. Der prorussische Abgeordnete Serhij Ljowotschkin und seine Schwester Julia, sie ebenfalls Abgeordnete in Kiew, haben auf der Westseite des Kaps eine Luxusbleibe gekauft, deren Preis auf 35 Millionen Euro geschätzt wird. Abgewickelt wurde das Geschäft über eine Gesellschaft in Dänemark, die einer Firma in Luxemburg gehört, welche wiederum von zwei Zyprioten geführt wird.

Nur zwei Adressen weiter besitzt ihr Bekannter, der zwangsweise in Österreich lebende Geschäftsmann Dmitri Firtasch, ein Ukrainer mit guten Kontakten in den Kreml, die berühmte Cap-Ferrat-Villa La Mauresque. Der Kauf in der Höhe von 50 Millionen Euro lief über eine Holding in Nizza und eine irische Firma.

"Das Cap Ferrat scheint zum goldenen Exil reicher Ukrainer auf der Flucht vor dem Krieg geworden zu sein", kommentiert der Reporter des Lokalblattes Nice-Matin Eric Galliano. Noch etwas ist ihm aufgefallen: "Viele ukrainische Milliardäre wie die Ljowotschkins haben ihr Land im Jänner, also kurz vor Kriegsbeginn, verlassen." Hatten sie einen Tipp aus Moskau erhalten? Auf jeden Fall müssen sie keine Sanktionen wie die russischen Oligarchen befürchten. Ihre geschäftlichen und politischen Fäden ziehen sie nun vom Cap Ferrat aus.

Geheimdienst prüft

Der ukrainische Geheimdienst SBU hat vor einigen Wochen eine Untersuchung von 84 ukrainischen Oligarchen an der Côte d’Azur gestartet. Sie wohnen nicht nur am Cap Ferrat, sondern auch in Saint-Tropez, Cannes, Nizza oder Monaco. In Kiew nennt man sie mit viel Ironie das "Monaco-Bataillon".

Selenskyj warf ihnen zuerst pauschal vor, sie entzögen sich der Wehrpflicht – oder sie stünden auf der Seite Putins. Alles Landesverräter? Mittlerweile äußert sich der Präsident vorsichtiger: "Einige hatten das Recht zu gehen, vielleicht hatten sie Angst oder wollten ihre Kinder evakuieren. Einzelne hatten aber sicher andere Gründe."

Drückt Selenskyj ein Auge zu?

Fast scheint es, als verschone Wolodymyr Selenskyj bewusst einen Teil dieser Mächtigen, die zwischen den Fronten und Identitäten lavieren. Zurückgeholt hat er aber bisher keinen Oligarchen. Unbestreitbar lebt es sich an der Côte d’Azur momentan etwas angenehmer als in Kiew. In Antibes sagt Gérard Piel letztlich dasselbe, wobei er sich weniger diplomatisch ausdrückt: "Oligarchen haben nur eine Nation – das Geld." (Stefan Brändle aus Antibes und Cap Ferrat, 21.10.2022)