Im Gastblog zeigt Forscher Florian Zeller, wie antisemitische Erzählungen durch Codes und Querverweise so sichtbar gemacht werden, dass sie dennoch geleugnet werden können.

In den vergangenen Monaten inszenierte sich der "alternative" Online-TV-Sender Auf1, im Speziellen ihr Gründer Stefan Magnet als Opfer einer großangelegten Diffamierungskampagne.¹ Angeführt werde diese von Institutionen wie der Unesco, EU-Kommission und dem World Jewish Congress, welche mit der Aktion "Think Before Sharing" über Verschwörungsmythen und Antisemitismus aufklären.² Grund genug für Magnet von einer "Antisemitismus-Keule"³ zu sprechen und seinen Zuseherinnen und Zusehern einzubläuen: "Merkt euch: 'Antisemitismus' ist ein Framing aus der selben Giftküche wie 'Verschwörungstheoretiker'."³

Dass es zur Klarstellung des antisemitischen Gehalts der Desinformationsplattform Auf1 keiner großangelegten Kampagne bedarf, sondern nur eines Blickes auf die produzierten Formate, lässt sich leicht zeigen. Auch in Magnets Telegram-Kanal finden sich zahlreiche antisemitische Inhalte. Und schon die rebellische Selbstinszenierung Magnets als wackerer Streiter gegen die uns im Geheimen beherrschenden "Globalisten" oder "Hochfinanz" gehört zum uralten Repertoire antisemitischer Agitation. Nach dem Psychoanalytiker Otto Fenichel verkörpern die "Juden" im "Unbewussten der Antisemiten (…) das, wogegen sie gern rebellieren möchten".

Antisemitismus fungiert oft als vermeintliche Erklärung für komplexe Zusammenhänge.
www.istockphoto.com/de/portfolio/Stadtratte

Der Antisemitismus hat sich jedoch nach 1945 an die neuen Bedingungen angepasst, heute artikuliert er sich zumeist nicht mehr in plumper Hetze und offener Beleidigung, da so kaum eine breite Öffentlichkeit zu erreichen wäre und vielmehr Strafverfolgung drohte. Das Besondere am Antisemitismus ist aber schon seit jeher, dass er nicht nur als Diskriminierung und Gewalt gegen Juden und Jüdinnen verstanden werden kann, sondern auch in Form von Verschwörungsmythen als Weltanschauung und vermeintliche Erklärung für komplexe Zusammenhänge fungiert. Antisemitische Verschwörungsmythen folgen immer derselben Narration: Katastrophen, gesellschaftlich erzeugtes Übel oder als belastend empfundene kulturelle Veränderungen seien das Resultat einer "jüdischen Verschwörung". Die Grunderzählung dieser Mythen von übermächtigen "Juden", welche die Welt vermeintlich und im Geheimen regierten, blieb über Jahrhunderte konstant. Verändert haben sich nur die Begriffe, mit denen die vermeintlichen Verschwörer benannt werden, gegenwärtig stehen etwa die "Globalisten" oder konkrete Personen als Stellvertreter für die verhasste Fremdgruppe wie Soros, Harari und – immer noch – Rothschild hoch im Kurs. Im codiert-verschämten Antisemitismus der Gegenwart werden wie bei einer Matroschka-Puppe, die aus mehreren Schichten besteht, stetig neue Figuren um das antisemitische Feindbild gebastelt, wobei im Kern nach wie vor "Juden" als eigentliche Übeltäter imaginiert werden.

Antisemitismus kaschieren

Auf1 scheint sich gerade dieser Erneuerung antisemitischer Verschwörungsmythen verschrieben zu haben. Das Ziel der Agitation ist dabei, den Antisemitismus genau so viel zu kaschieren, damit dieser geleugnet werden kann, aber noch genug sichtbar ist, damit seine Anhängerinnen und Anhänger ihn verstehen können. Als Platzhalter für Juden und Jüdinnen verwendet Magnet, der seine Vergangenheit im organisierten Neonazismus gerne verschweigt⁴, die Namen vermeintlich jüdischer Bankiersfamilien wie "Rockefeller" und "Rothschild". Diese Familien würden gefinkelt die Menschheit versklaven, indem sie das Finanzsystem kontrollierten und einen "Great Reset" herbeiführen wollten: "Was hat der Great Reset mit dem Geldsystem zu tun? Ist es richtig, dass eben der Fehler im System liegt, dass Fiat Money⁵ immer am Ende zu einem Reset führen muss? Es ist das Tabuthema schlechthin. Wer dort hingreift, kann Namen wie Rothschild oder Rockefeller nicht auslassen. Der muss von Versklavung und vom Krieg gegen die Menschheit sprechen und das ist absolut vermintes Gebiet. Wir tun es trotzdem. Die Zeit ist reif. Wir müssen darüber sprechen."⁶ Magnet suggeriert damit, dass es verboten sei, sich kritisch zum Kapitalismus zu äußern. Tatsächlich besteht ein anderes politisches und soziales Tabu – das öffentliche Haftbarmachen von Juden und Jüdinnen für negative Entwicklungen. Was am Stammtisch als „Man darf ja heute nichts mehr gegen die Juden sagen“ daherkommt, kleidet sich bei Magnet in die Behauptung eines verminten Gebietes.

Wie wenig Magnet sich von diesem vermeintlichen Tabu einschränken lässt, zeigt seine regelrechte Besessenheit vom sogenannten "Kalergi Plan". Dieser Verschwörungsmythos, der maßgeblich von Gerd Honsik⁷ in seinem Machwerk "Rassismus Legal? Der Juden drittes Reich? Halt dem Kalergi-Plan!" (2003) verbreitet wurde, behauptet, die "Juden" wollten die "Deutschen" durch Vermischung vernichten. Magnet scheint ganz im Bann dieser Erzählung zu sein, etwa wenn er am 24. Juli diesen Jahres auf Telegram Viktor Orban als Vorkämpfer gegen diesen "Plan" lobt und wie an zahlreichen anderen Stellen behauptet, dass "Freimaurer" und "Banker" Kalergi "beklatschten und finanzierten".

Die "(jüdisch-)freimaurerische Weltverschwörung"

Am 16. ⁸ und 30.⁹ August diesen Jahres veröffentlicht Stefan Magnet auf Auf1 ein zweiteiliges Interview mit Thorsten Schulte. Dieser hat sich zur Aufgabe gemacht, mit seinem Buch "Fremdbestimmt" Licht ins Hinterzimmer geheimer Mächte zu bringen. "Wir müssen das Ausmaß der Fremdbestimmung bestimmen, welche Kreise stehen dahinter?"¹⁰, fragt sich Schulte zu Beginn des Interviews. Seine Antwort ist zunächst ganz einfach: Hinter allem Übel stünden die Freimaurer, diese "infamen Kräfte" strebten nach einem totalitären, weltweiten "pyramidalen Herrschaftssystem". Wieder inszeniert sich ein Agitator als Rebell, der sich gegen vermeintliche Denk- und Sprechverbote auflehnt: "Wir müssen bereit sein, Fragen zu stellen, auch wenn uns seit Jahrzehnten gelehrt wird, dass man dieses Thema am besten überhaupt nicht ansprechen soll."¹¹ Schulte lässt aber gerne andere für sich sprechen, wie etwa den glühenden Antisemiten Erich Ludendorff, der die "Freimaurerei" als "eine jüdische Einrichtung" entlarvt haben wollte.

Der Verschwörungsmythos von den Freimaurern ist, um bei der oben vorgestellten Metapher zu bleiben, nur eine weitere Schicht der Matroschka, welche den Antisemitismus auf den ersten Blick verbergen soll. Die Erzählung, hinter den Freimaurern stünden eigentlich die "Juden", griff schon Augustin Barruel Anfang des 19. Jahrhunderts auf. Popularisiert wurde dieser Mythos später von Ludendorff, der die Freimaurerei als "künstlicher Jude" bezeichnete. Nach 1945 wurde die Einheit der Feindbilder "Jude" und "Freimaurer" nach außen hin aufgelöst, wobei letzteres heute eben oft als Platzhalter für ersteres dient. Und so fällt es nicht schwer, in Magnets Zusammenfassung seines Gespräches mit Schulte das alte Feindbild hinter dem jüngeren zu erkennen: "Jetzt ist ja diese Strategie der Freimaurerei immer Zwietracht zu sähen. Das große übergeordnete Ziel ist vor allem auf dem Kontinent, Russland mit den Bodenschätzen und Deutschland mit dem entsprechenden Erfindergeist zu trennen, damit hier kein geeinter Block entstehen kann und die Freimaurerei hat das über Jahrzehnte und Jahrhunderte so angelegt, dass man langsam aber beständig diese Weltregierung herbeiführen kann."¹¹

Transhumanismus und Antisemitismus reloaded

Für wen jedoch die alten Mythen von Freimaurern zu altbacken sind, für den hat Magnet eine weitere antisemitische Matroschka parat. Sein neues Steckenpferd sind Verschwörungsmythen, in denen Transhumanisten die Menschheit unterjochen und letztlich ausrotten wollen: "Tatsächlich führen die Globalisten und Transhumanisten einen Krieg, wie er in der gesamten Geschichte der Menschheit noch nie stattgefunden hat."¹² Herbeifantasiert wird dabei, dass die Corona-Impfung ein erster Schritt in die Versklavung sei, um die Menschen durch eine vermeintliche Genveränderung kontrollieren zu können. Begonnen hätte der "Angriff […] mit geistlicher und weltanschaulicher Umerziehung, mit, Verbildung, Propaganda und falschen Werten. Es ging weiter mit der Zerstörung und Zerschlagung der Sippe und der Familie […]. Dann wurden die Traditionen zerstört, die Kulturen, die Völker als solche. Der Geist und die Psyche sind dann für die wurzellos gemachten Opfer die letzten Angriffsfelder."¹²

Dieses Untergangszenario, in dem der Mensch sukzessive durch Maschinen ersetzt werde beziehungsweise mit ihnen verschmelzen soll, würde zwar von "Big Pharma", "Big Tech" und "Big Data" durchgeführt, doch auch hier wird als Strippenzieher ein Jude präsentiert. Denn Magnet arbeitet sich in erster Linie an dem vermeintlichen Architekten dieser Pläne ab, dem israelischen Philosoph Yuval Noah Harari. Jener ist für Magnet das zentrale Feindbild und wird mit alten antisemitischen Attributen versehen, als geldgierig und gottlos: "Harari glaubt an nichts, er glaubt nur an Zahlen und Zinseszins und an Berechnungen, es gibt keinen Gott."¹² Demgegenüber wollten Magnet und die Seinen "das Leben achten, die Kulturen schützen, unsere Identitäten erhalten, die Freuden und Lieben vertiefen und jeden bekämpfen, der uns all das rauben möchte, weil er an einer Geisteskrankheit leidet und weil er, warum auch immer, die Menschheit hasst."¹² Dass die "Juden" dies tun würden, wissen Antisemitinnen und Antisemiten seit Tacitus, der ihnen die hasserfüllte Feindschaft gegen alle anderen andichtete. (Florian Zeller, 2.11.2022)

Florian Zeller ist Mitarbeiter im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU). Er forscht zu Antisemitismus, Verschwörungsideologien und Rechtsextremismus und ist als Trainer zu diesen Themen in der Bildungsarbeit tätig.

Fußnoten

¹ Stefan Magnet auf Telegram 10.09.2022
² https://en.unesco.org/themes/gced/thinkbeforesharing
³ Stefan Magnet auf Telegram 09.08.2022
⁴ https://www.belltower.news/stefan-magnet-npd-fpoe-und-russlandkontakte-von-auf1-139867/
⁵ Fiat Money ist ein anderer Begriff für Buchgeld. Viele Verschwörungsmythen behaupten, (jüdische) Bankiers Familien hätten absichtlich ein krisenhaftes Finanzsystem auf Grundlage von Buchgeld geschaffen, um Kontrolle über die Bevölkerung zu erlangen. Popularisiert wurde dieser Verschwörungsmythos zuletzt maßgeblich von G. Edward Griffin "Die Kreatur von jekyll island: Die US-Notenbak Fedaral Reserve. Das schrecklichste Ungeheuer, das die internationale Hochfinanz je Schuf“
⁶ Systemfehler Geldsystem: Wer regiert die Welt? (Auf1)
⁷ Gerd Honsik war ein zentrale Figur des Neonazismus in Österreich siehe: https://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/neues-von-ganz-rechts/archiv/april-2017/honsik-hofft-auf-abrechnung-und-leugnet-gaskammern
 ⁸ Thorsten Schulte: Deutsche und Russen haben einen gemeinsamen Feind! (AUF1)
⁹ Thorsten Schultes Warnung vor pyramidalem Welt-System (Auf1)
¹⁰ Thorsten Schulte: Deutsche und Russen haben einen gemeinsamen Feind! (Auf1)
¹¹ Thorsten Schultes Warnung vor pyramidalem Welt-System (Auf1)
¹² Transhumanismus: Das Ende der Menschheit von Stefan Magnet

Weitere Beiträge im Blog