Die Red-Bull-Duftwolke findet man heute überall auf dem Planeten, so wie die leeren Dosen, denen sie entwichen ist.

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Wie Erdbeerschnur zum Trinken. So oder so ähnlich beschrieben viele Menschen ihren Erstkontakt mit Red Bull. Der intensive Geruch des Energiegetränks war und ist ein olfaktorischer Verwandter der von künstlichen Aromen und Farbstoffen gedopten Schnüre zum Naschen. Was nicht direkt nach einer Empfehlung klingt, wurde ein globaler Erfolg. Die Red-Bull-Duftwolke findet man heute überall auf dem Planeten, so wie die leeren Dosen, denen sie entwichen ist.

Red Bull machte den am Samstag gestorbenen Dietrich Mateschitz zum reichsten Österreicher. Das Timing für die Markteinführung seines Energydrinks im Jahr 1987 hätte besser nicht sein können. Das sich abzeichnende Ende des Kalten Krieges und der Zerfall des Ostblocks lösten eine gesellschaftspolitische Euphorie aus. Neue Demokratien entstanden, die Zeichen standen auf Wende, Wandel, Aufbruch, neue Chancen überall.

Ein Gesöff, das einen befähigen sollte, mit alldem Schritt zu halten, daran teilzuhaben, kam da gerade recht: Energie aus der Dose erschien wie ein Heilsversprechen. Studenten büffelten damit die Nächte durch, Yuppies fanden sich und ihre Leistungsfähigkeit noch geiler als davor.

Kokain für Arme

Der Hedonismus zur Zeitenwende manifestierte sich in der Techno- und Rave-Kultur. Nächtelanges Tanzen schuf einen Markt für aufputschende Drogen wie Ecstasy, doch wer nicht auf die Produkte illegaler Giftküchen ohne Pharma-Gütesiegel vertraute, sprach der belebenden Wirkung von Red Bull zu. Gesund ist es eher nicht, dafür legal zu erwerben. Viel mag eine Spurensuche der Polizei nach einem illegalen Rave in der Pampa nicht ergeben haben, aber ein paar zerknitterte Red-Bull-Dosen lagen sicher herum.

Party im Zeichen der Dose.
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"Kokain für Arme" wurde der mit Taurin und Koffein versetzte Sprudel genannt, wo Nightlife verkauft wurde, stand bald auch die Dose auf dem Tresen. Ein Turbo für die Nacht, geleert meist ohne den Umweg über ein Glas. Red Bull war elitär teuer und prollig zugleich: ein Widerspruch, wie gemacht für die Popkultur.

Red Bull Music Academy

Seine Mission in der sich kommerzialisierenden Clubkultur nahm der Konzern schließlich selbst in die Hand. Die Dose, wie das Unternehmen ob seiner finanziellen Potenz ehrfürchtig genannt wird, investierte in die Red Bull Music Academy. Das war ein Wanderzirkus im Zeichen von Beats und Breaks.

Die ab 1998 jährlich an verschiedenen Hotspots des Planeten für ein paar Wochen haltmachende Academy brachte regionale und internationale Größen der Szene zusammen, flog interessierten Nachwuchs als Teilnehmende und Stars als Vortragende ein.

Die Skepsis der damals noch ein wenig auf ihrer Unabhängigkeit vom Großkapital insistierenden Clubszene war zwar vorhanden, doch bald sprach sich herum, dass die Academy eine cool gedachte Veranstaltung ohne Beispiel sei. Mit minimalem Product-Placement und maximaler Dedication seitens ihrer Erfinder Many Ameri und Torsten Schmidt. Red Bull sorgte dafür, dass der Sprudel niemals ausging, und bezahlte am Schluss die Rechnungen.

Rechte Diktion

Bis 2019 ging das, dann ging man getrennter Wege, da Teilnehmer die rechtspopulistischen Wortmeldungen Mateschitz' nicht als Nutznießer legitimieren wollten. Die prinzipiell liberal und multikulturell ausgerichtete Clubkultur konnte und wollte nicht mit der Diktion rechter Wutbürger. Derer hatte sich Mateschitz 2017 in einem Interview mit der Kleinen Zeitung bedient, hatte vom "Widerstand gegen das Meinungsdiktat", von "Flüchtlingswellen" und dergleichen gesprochen. Ein Imagekratzer, der den Konzern nicht weiter belastete, 9,8 Milliarden Einheiten hat er 2021 laut seiner Homepage verkauft.

Ohne Veranstalterbedenken findet sich die Dose auf der Frequency-Bühne, ist Gast beim Nova Rock und hostet Veranstaltungen im Rahmen von Festivals. Sie unterhält Verlage, und das seit 2008 bestehende Plattenlabel Red Bull Music verzeichnet rund 250 Veröffentlichungen. Mit der digitalen Welteroberung ist Red Bull zum Content-Marketing übergegangen. Damit lässt sich die Richtung des Brandings selbst bestimmen. Red Bull unterhält, berät und informiert – nach seiner Sicht der Dinge, wie der Sender Servus TV belegt.

Stumme Zeugen

"Red Bull verleiht Flügel", lautet der Werbespruch der Dose. Weil das bestenfalls eine gefühlte Wahrheit ist, hat in den USA ein Red-Bull-Trinker das Unternehmen wegen falscher Werbeversprechen verklagt. 2013 war das, und Red Bull zahlte außergerichtlich 13 Millionen Dollar für den Realitycheck.

Dass man mit dem Saft abstürzen kann, beweist die populäre Mischung mit Wodka. Flügerl heißt dieser Cocktail. Und die Vita des ehemaligen FPÖ-Politikers und Vizekanzlers Heinz-Christian Strache belegt dessen Absturzpotenzial: Als Strache im berüchtigten Ibiza-Video seinen Machtfantasien freien Lauf ließ, standen neben anderen Getränken auch zwei Dosen Red Bull auf dem Tisch. Stumme Zeugen ihrer Wirkung. (Karl Fluch, 24.10.2022)