Ellen Wittenberg und Julia H.* haben erlebt, wie es ist, wenn der Partner immer schwächer wird und irgendwann stirbt. Sie erzählen, wie sich der Alltag verändert, wie die Beziehung, was verloren geht und was trotz allem bleibt. Und vor allem erzählen sie auch über das Leben danach – voller neuer Hoffnungen, Pläne und Begegnungen.

Ellen Wittenbergs Mann Martin ist vor wenigen Wochen nach einer schweren Krankheit gestorben. Sie hat ihn bis zum Schluss zu Hause gepflegt.
Foto: Regine Hendrich

"Die Rettung legte ihn vom Boden ins Bett, das war schön"

"Mein Mann und ich haben uns vor zwölf Jahren beim Spazierengehen kennenlernt, durch meinen Hund. Es hat sich ein Kontakt ergeben und dann eine tolle Freundschaft und Liebe. Er hatte eine ruhige, besonnene Art, schöne Hobbys, war sportlich. Zu sehen, wie er immer mehr verfällt, war schwer für mich. Ich musste immer wieder durchatmen, mit dem Hund rausgehen, mich distanzieren und fangen. Diese Veränderung mitzuerleben war ein ganz großer Schmerz, aber ich habe ihm das nie sagen wollen, weil ich ihn nicht frustrieren wollte. Ich wüsste nicht, wie es mir gehen würde, wenn mir jemand sagt: Es fällt mir schwer zu sehen, wie du verfällst.

Mein Mann ist an ALS erkrankt, an amyotropher Lateralsklerose. Das ist eine sehr ernste Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems, unter 100.000 Menschen trifft es drei bis vier. Es kommt dabei zu einer fortschreitenden Lähmung der Muskulatur. Die Krankheit ist auch nicht heilbar. Wenn man diese Diagnose bekommt, weiß man: Ich habe vermutlich noch drei bis fünf Jahren vor mir, je nachdem ob es günstig oder ungünstig verläuft.

Bei meinem Mann fing es damit an, dass er immer wieder nach vorn gefallen ist. Er konnte sich nicht aufrecht halten, seine Rumpfstabilität hat nachgelassen. Auch seine Hemden konnte er auf einmal nicht mehr zuknöpfen. Mit diesen Symptomen ist er von Arzt zu Arzt. Die Diagnose erfolgte schließlich einer privaten Ordination, und wir wurden damit einfach nach Hause geschickt. Das war vor rund vier Jahren. Wir kannten die Krankheit nicht und wussten nicht, was uns erwartet oder was wir tun können. Der Arzt sagte nur: Es ist wichtig, dass er jetzt nicht alleine ist. Ich habe also meine sieben Sachen gepackt und bin zu ihm ins Haus gezogen. Wir hatten damals noch nicht zusammen gewohnt.

Mein Mann hat die Diagnose zuerst ignoriert. Er sagte, dass er nichts dazu wissen, sich nicht damit beschäftigen will. Für ihn war das ein Schutzmechanismus. Er hatte leider auch das Pech, dass er die Diagnose unmittelbar vor dem Antritt seiner Pension bekam. Dass er so viele Jahre fast nur gearbeitet hat, kaum im Krankenstand war – und dann eigentlich nur noch ums Überleben kämpft, das war für ihn sehr bitter. Und für mich war es nicht leicht, ihn auf die Art und Weise zu unterstützen, die er braucht. Ich sah meine Verantwortung darin, mich trotzdem zu informieren, weil ja jederzeit die Chance bestand, dass es schlechter wird.

Und es wurde schlechter, Stück für Stück. Seine Beine haben zwar noch funktioniert, aber dadurch, dass er sich nicht aufrecht halten konnte, konnte er auch nicht richtig gehen. Der Rollator war für ihn erstmal eine Katastrophe, aber irgendwann begann er, ihn zu akzeptieren. Als er dann gar nicht mehr gehen konnte, hatte er einen Rollstuhl für Ausflüge toleriert. Später war ein Rollstuhl dann auch für ganz kurze Zeit für die obere Etage des Hauses notwendig – wo ich ihn vom Treppenlift ins Bad und vom Bad ins Schlafzimmer transportiert habe. Am Schluss konnte mein Mann jedoch gar nicht mehr ohne Beatmung nach oben, denn die Anstrengung hat ihn so viel Puste gekostet, dass er gar nicht mehr atmen konnte. Da haben wir entschieden, dass er unten bleiben soll, und ihm ein Pflegebett ins Wohnzimmer gestellt.

Die Körperpflege konnte mein Mann mit zunehmendem Fortschritt der Erkrankung nicht mehr alleine machen, aber Sprechen und Essen war bis zuletzt möglich. Er konnte zwar den Kopf nicht mehr halten, aber schlucken konnte er noch. Allerdings nur sehr weich gekochte Nahrung, die er gut zerquetschen konnte. Getrunken hatte er über einen Trinkhalm. Nicht zu wissen, wie die Krankheit weitergeht, war für uns sehr verunsichernd. Der Verlauf ist so willkürlich. Ich habe mich gefragt: Kann es sein, dass er irgendwann auch nicht mehr sprechen kann? Es gibt Patientinnen und Patienten, die liegen jahrelang im Bett, können nur noch die Augen bewegen und werden künstlich beatmet und ernährt.

Mein Mann war am Ende Pflegestufe 6, nahe der Stufe 7. Bei der Stufe 7 sagt man, dass jemand nicht einmal mehr mit dem Finger schnippen kann. Seine Hände konnte Martin auch schon nicht mehr gebrauchen, sie sahen aus wie bei einem Toten, mager und blass. Seine Motorik war funktionierte auch nicht mehr. Er brauchte auch eine Beatmungsmaske, weil die Stabilität des Zwerchfells angegriffen war. Ich hatte bereits eine Ahnung, dass es jetzt nicht mehr lang geht, selbst wenn alle gesagt haben, dass man das nicht wissen kann.

Eine Pflegekraft wollte mein Mann nicht, denn dann wäre er ja ein Pflegefall gewesen. Also habe ich ihn gepflegt. Zuerst neben der Arbeit, aber weil das extrem belastend war, habe ich Pflegeurlaub genommen. Später bin ich in Pflegekarenz gegangen, dann in Hospizkarenz, mit Ende Mai habe ich meinen Job in der Informatik gekündigt. Er hat mir das hoch angerechnet. Ein Neurologe im Spital hat mir gesagt, dass man das, was ich mache, eigentlich nicht macht. Dass man so einen Menschen in ein Pflegeheim gibt, auch gegen seinen Willen. Das wäre für mich niemals infrage gekommen.

Wobei gegen Ende meine Belastungsgrenze mehr und mehr erreicht war. Ich war ja rund um die Uhr bei ihm. Ich habe gespürt, dass ich mehr auf mich schauen muss, Luft brauche. Wir waren auch schon dabei, das einzufädeln. Ich wollte zuerst einzelne Tage, dann ein Wochenende weg sein, er sollte in dieser Zeit im Hospiz betreut werden. Einen Tag vor seinem Tod habe ich den Antrag erhalten. Ich weiß nicht, wo ich hingefahren wäre, und ich weiß auch nicht, ob ich hätte abschalten können.

Erst ganz zum Schluss dann hat er die Krankheit toleriert – nicht akzeptiert, sondern toleriert. Er hat mir gesagt, dass er nicht mehr kämpfen kann. Er meinte aber auch, er wolle mich nicht alleine lassen. Am Ende habe ich schon gespürt, dass er aufgegeben hat.

Am Tag seines Versterbens waren wir ganz normal in unserer Routine: Ich hatte ihn bettfertig gemacht, den Leibstuhl ans Bett geschoben, ihn sauber gemacht, und ich bin schon im Kopf durchgegangen, was ich als Nächstes tue: ihm seine Medikamente ans Bett bringen, mit dem Hund rausgehen. Dann habe ich gemerkt, dass er schwächer wird. Ich hab zu ihm gesagt, dass er ein wenig mithelfen und sich am Bett anhalten muss, weil ich es sonst nicht schaffe, ihn hineinzuheben. Da wurde er plötzlich ganz ruhig, glitt zu Boden und hörte auf zu atmen. Die Lippen wurden blau und das Gesicht weiß. Innerhalb von Sekunden: aus. Er ist buchstäblich in meinen Armen gestorben, und ich bin buchstäblich bis zum Schluss hinter ihn gestanden. Ich habe ihm noch das Zwerchfeld gestreichelt und den Kopf und gesagt: Martin, du hast es gut gemacht, du darfst jetzt gehen. Das war’s.

Das war für mich das Abschiednehmen. Ich aber weiß nicht, was davon noch bei ihm angekommen ist, und habe mich gefragt: Hätte ich das länger machen sollen? Kürzer? Ich wusste auch nicht: Wie lange lässt man jemanden dort liegen? Wann ruft man jemanden an – und wen? Ich fühlte mich hilflos und habe erstmal eine Freundin angerufen, die gekommen ist. Später kamen auch sein Bruder, seine Tochter und unsere Trauzeugen. Die Rettung hat ihn vom Boden ins Bett gelegt, das war schön.

Nach seinem Tod habe ich mich gefragt, was ich mit seinen Sachen mache. Mir hat es sehr wehgetan, dass der Kleiderschrank so voll ist und mich an meinen Mann erinnert. Ich habe seine Sachen gespendet, so hätte er es gewollt. Ansonsten tut sich hier noch wenig. Vor Martins Tod habe ich mir gedacht: Ich werde umgestalten, dieses und jenes verändern, aber jetzt habe ich die Kraft dafür noch nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich mit 180 km/h an eine Wand gedonnert bin. Mir hilft es zu beten, mit dem Hund rauszugehen, mich mit Bekannten zu treffen. Einsam bin ich nicht. Ich muss schauen, dass ich Ordnung halte, mir Ziele setze. Mein Leben ist neu und absolut verändert. Wenn alles Organisatorische erledigt ist, kann ich wieder kreativ werden.

Ich habe viele Pläne! Ich will etwas im Haus umgestalten – der Wand Farbe geben, die Ecke neben dem Kamin verändern, vielleicht die Couch umstellen. Eine Kur würde ich sehr gerne machen. Ich will auch einen guten Ausgleich zwischen Geben und Nehmen schaffen – ich würde es wieder tun, ich würde meinen Mann wieder so pflegen, aber ich habe auch gelernt, dass ich auch auf mich schauen muss. Martin war 67, als er gestorben ist. Er hat gesagt, dass er es bereut, gewisse Dinge nicht gelebt, sondern auf die Pension geschoben zu haben. Er wollte segeln gehen, das Leben genießen, aber hat das nicht mehr geschafft. Das will ich anders machen."


Julia H.* und ihr Partner waren sechs Jahre zusammen und "frisch verliebt", als bei ihm Krebs diagnostiziert wurde. Rot war seine Lieblingsfarbe und sein Markenzeichen.
Foto: Regine Hendrich

"Ich wusste, ich komme aus der Trauer auch wieder heraus"

"Wir wollten, solange es möglich ist, als Paar leben, nicht als Kranker und Krankenschwester. Wir wollen versuchen, dem Krebs nicht die Macht über unser Leben zu geben. Wir waren im Theater, in klassischen Konzerten, sind viel gereist. Fünf Monate vor seinem Tod waren wir in Venedig. Wir wollten immer dorthin, wenn die Zeit reif ist. Er sagte: Jetzt ist die Zeit reif. Also haben wir einen Koffer gepackt, den ich alleine ziehen konnte, denn zu dem Zeitpunkt war er wirklich schon sehr schwach. Drei oder vier Tage lang sind wir nur Vaporetto gefahren, es war fast nichts anderes möglich. Er konnte nicht mehr lange zu Fuß gehen, hatte Probleme mit der Luft.

Trotz all der Dramatik hat es so viele komische und lustige Momente gegeben. Ich gehe zum Beispiel nicht so gerne einkaufen, aber in den letzten Monaten wollte der Bernhard immer unbedingt einkaufen gehen. Wir haben nichts gebraucht, wirklich überhaupt nichts. Aber er sagte: Dieses Einkaufswagerl, das ist der beste Rollator! Damit ist dann er durch die Gänge im Supermarkt. Er hatte so einen skurrilen, schrägen Humor, was ich sehr mochte.

Ich habe den Bernhard nach meiner fast 30-jährigen Ehe kennengelernt. Die ersten sechs Jahre waren wir frisch verliebt, voller Glück. Wir konnten über dieselben Dinge lachen, hatten viele gemeinsame Interessen, und unsere Freundinnen und Freunde haben sich gut verstanden. Wir hatten Berufe, für die wir uns gegenseitig sehr interessiert haben. Er hat Requisite am Theater gemacht, ich bin Sonder- und Heilpädagogin, und wir hatten immer interessante und komische Erzählungen von unserer Arbeit.

Nach sechs Jahren kam die Diagnose Gallenwegskarzinom, durch einen Zufallsbefund. Er wollte sich die Nebenhöhlen operieren lassen, und eine Blutuntersuchung hat dann auffällige Werte gezeigt. Wir wussten beide gleich, was die Diagnose bedeutet, weil meine Mutter ein halbes Jahr davor an dem gleichen Krebs gestorben ist. Sie hat ein Jahr lang einen hoffnungslosen Kampf gegen ihre Krankheit geführt.

Es folgten Wochen der Verzweiflung, zuerst weinte der eine in den Armen des anderen, dann umgekehrt. Die Arztsuche, die Diagnose der Familie und den Freunden zu sagen, das war sehr schwer. Wir bekamen Fragen gestellt, auf die wir selbst noch keine Antwort wussten. Er hatte sogar die Fantasie, seinem Leben ein Ende zu setzen. Ich habe ihm versprochen, dass ich das mit ihm durchstehen werde, solange er sich nicht erschießt. Kurz war Dignitas in der Schweiz im Gespräch. Ich wäre mit ihm hingefahren.

Aber dann hat er es sich anders überlegt. Er hat seine Entscheidung getroffen und gesagt: Er will schulmedizinisch alles tun, was möglich ist. Da ist offenbar doch irgendwo ein Überlebensdrang in uns Menschen, der hochkommt. Bei ihm war es zumindest so. Weil der Tumor so gesessen ist, dass man ein Drittel wegnehmen konnte, haben die Ärzte eine Operation empfohlen. Die Operation war über Silvester. Als er aus der Intensivstation heraußen war, ich bin mit Brötchen und Mousse au Chocolat ins Spital und hab mich zu ihm ins Bett gelegt. Wir haben gegessen, die Zeit genossen. Irgendwann haben wir beschlossen: Er wird so oder so sterben, bis dahin leben wir.

"Ich habe dem Ganzen die Überschrift gegeben: 'Wir konnten auch im Regen tanzen'", sagt Julia H. über ihre zehnjährige Beziehung zu Bernhard.
Foto: regine hendrich

Nach der Operation war der Bernhard ein kranker, schwacher Mann. Obwohl er sehr groß war, so um die 1,90, und 100 Kilo hatte. Am Schluss war er besonders kräftig, weil er so viel Wasser hatte. Ich habe mich trotzdem gern an ihm gekuschelt. Es hat mich kein Knochen gepiekst, er war so warm und weich. Wir sind oft auf der Couch gelegen, und er hat meine Füße massiert.

Aber natürlich: So lustig und lebensfroh war es nicht immer. Einmal gab es einen Hubschraubereinsatz wegen Lungenembolie, einmal, als wir gerade auf Reisen waren, hatte eine Thrombose. Durch die CBT-Tropfen, die die Schmerzen gelindert haben und ihn entspannt haben, ist er außerdem ganz manisch geworden und in der Nacht vor Alpträumen aufgeschreckt. Noch nach seinem Tod habe ich manchmal seine Schreie gehört. Er hat sein Testament geschrieben, wir haben im Wald einen Baum für das Waldbegräbnis ausgesucht. Geworden ist es eine dicke, fette Eiche.

Dadurch, dass die Krankheit vier Jahre dauerte, konnten wir uns vier Jahre lang verabschieden. Ich habe auch nie gedacht: Hoffentlich lebt er noch ein Monat oder zwei oder drei. Das war für mich nicht so. Wir haben versucht, im Moment zu leben und Spaß zu haben. Er meinte, für ihn sei nichts offen. Das hat mir geholfen, und geholfen hat mir auch, dass wir über alles geredet haben. Einmal hat der Bernhard zu mir gesagt: Ich behindere dich in deinem Leben! Und ich hab geantwortet: Ja, stimmt, ich fühle mich wie mit Vollgas im Leerlauf. Natürlich schmerzt das, aber es abzutun wäre auch nicht richtig gewesen.

Als wir wussten, dass er aus dem Spital nicht mehr herauskommen wird, habe ich ihm ein rotes Herz gehäkelt. Er wollte etwas von mir bei sich haben. Mit dem Herz in der Hand ist er dann auch gestorben. Rot war überhaupt sein Markenzeichen. Er hatte eine rote Brille und rot ist auch der Rahmen, in dem ich ein Foto von ihm aufbewahre.

Am Todestag war ich die Nacht über bei ihm, er hat ruhig und friedlich geschlafen. In der Früh kam seine Tochter mit Kaffee und Kipferln, die wir zusammen gegessen haben. Dann bin ich nach Hause gefahren zum Duschen. Kaum war ich zu Hause, hat seine Tochter angerufen und gesagt, dass er gestorben ist. Sie war bei ihm. Ich bin also wieder ins Spital gefahren. Auch alle anderen sind gekommen, seine Brüder, seine andere Tochter, wir standen um das Bett herum, es war gut. Dann hab ich ihm noch ein Busserl gegeben und bin gegangen. Die Schwestern haben gesagt, dass wir so lange bleiben können, wie wir wollen. Jeder hat für sich den Zeitpunkt gewählt, wo er gegangen ist.

Nach dem Tod schaltet das Gehirn auf Funktionieren: Was ist zu tun? Ich habe einen Freund gebeten, mit mir in sein Haus zu fahren, um Dokumente zu holen. Wenn ich das Gefühl hatte, ich brauche sie, habe ich mir Hilfe geholt.

Für die Verabschiedung habe ich Freunde und Familie gebeten, ein paar Worte zu ihm aufzuschreiben. Meine Tochter hat geschrieben: Bernhard, der Mann, der meine Mutter mit jeder Faser seines Herzens, seiner Seele, seines Verstandes und Humors überglücklich gemacht hat, sie erstrahlen ließ. So war's wirklich.

Nach seinem Tod habe ich mich erstmal zurückgezogen, bin in den Krankenstand gegangen, hab geschlafen wie ein Stein und gemerkt, wie erholungsbedürftig ich bin. In dieser Zeit war es wichtig für mich, meine Kinder und meine Freunde zu haben. Mit ihnen musste ich nicht immer über den Tod reden. Ich konnte das Thema auch einmal sein lassen oder einfach nur weinen. Was ich so geschätzt habe an meinen Freundinnen, war, dass sie nicht aufdringlich waren. Sie waren einfach da. Ich wollte nicht fortgehen, also sind sie gekommen. Wir haben Tee getrunken und Butterbrot gegessen. Zum Glück gab es auch keine Kalendersprüche wie: Schau doch nach vorne!

Ungefähr zwei Wochen nach Bernhards Tod hat jemand zu mir gesagt: Sie haben aber auch ein Pech mit ihren Männern! Ich habe ihn ziemlich entgeistert angeschaut und gesagt: Ich habe überhaupt kein Pech, ich habe großes Glück mit meinen Männern! Ich hab bis jetzt zwei große Lieben gehabt, und manche Menschen sehnen sich ein Leben lang nach einer. Vielleicht werden es auch drei große Lieben, weil es einen neuen Mann in meinem Leben gibt.

Es gab da einen Moment, circa eineinhalb Jahre nach Bernhards Tod, als ich mit meinen Enkelkindern Schifahren war. Ich bin die Piste runter, voller Lebensfreude, und es überschwemmte mich dieses Gefühl, dass ich einen neuen Partner will. Dann habe ich jemanden kennengelernt, mit dem ich jetzt auch noch immer bin.

Die ersten Wochen, nachdem der Bernhard gestorben ist, habe ich seinen Tod noch nicht wirklich realisiert. Irgendwann habe ich weggeräumt, was noch von ihm in meiner Wohnung war, seine Zahnbürste, sein Gewand, seine Creme. Etwas habe ich mir jedoch aufgehoben: seinen Duft. Vor circa einem Jahr habe ich ihn im Badezimmer schnell gesprüht. Auch einen kleinen Esel habe ich aufgehoben. Diesen Esel habe ich ihm irgendwann geschenkt, weil er durch seinen Krebs im Bauch immer wieder Schluckauf hatte und wir scherzhaft gesagt haben: Der Esel ist wieder da! Briefe von ihm habe ich auch noch aufgehoben.

Manchmal passieren skurrile Situationen, die ich ihm gerne erzählen würde, weil ich denke, dass er wahrscheinlich irrsinnig darüber gelacht hätte. Aber diese Situationen werden weniger. Am Todestag geh ich immer zu seinem Baum, manchmal auch an seinem Geburtstag. Die ersten Male habe ich Physalis mitgenommen und daraus ein Herz geformt. Ich sitze dann vor dem Baum in der Sonne, esse einen Apfel und hänge meinen Gedanken nach. Dann gehe ich wieder.

Ich bin sehr dankbar für diese Beziehung und dafür, so eine tiefe Liebe gespürt zu haben. Nach seinem Tod war hilfreich für mich, dass ich mich dennoch immer als eigenständige Person erlebt habe. Ich wusste, ich komme aus der Trauer wieder heraus, ich kann ein gutes Leben führen, auch ohne Partner. Wir haben öfter darüber gesprochen, wie mein Leben danach sein wird. Und er sagte: Ich wünsche mir, dass du glücklich bist. Du weißt, wie das geht." (Lisa Breit, 1.11.2022)