Das sind die "Farben meiner Welt" von Bayonetta: zwei Pistolen in der Hand und zwei an den Absätzen ihrer High Heels befestigt.

Foto: Nintendo/Sega

Heldin und Hexe, Hoffnung auf High Heels: Fast fünf Jahre nach der ersten Ankündigung geht "Bayonetta 3" ab Freitag exklusiv für die Nintendo Switch an den Start. Die namensgebende Hexe soll Spielerinnen und Spieler erneut mit spektakulärer Hau-drauf-Action verzaubern. Ein erfolgreicher Auftritt käme derzeit aber auch sehr gelegen, um das Image des zuletzt etwas angeschlagenen Entwicklers Platinum Games wieder aufzupolieren. Der STANDARD konnte im Vorfeld bereits testen, was es mit dem neuesten Hexentanz auf sich hat.

Harte Zeiten vor dem Comeback

Entwickler Platinum Games hat seit der ersten Ankündigung von "Bayonetta 3" im Dezember 2017 einen steinigen Weg hinter sich. Nach den gelungenen Switch-Ports der beiden ersten "Bayonetta"-Teile gelang es mit dem Actiontitel "Astral Chain" zunächst nicht, an ähnliche Erfolge anknüpfen. Einen fast schon historischen Bauchfleck legte man schließlich im März dieses Jahres mit "Babylon's Fall" hin: Das Live-Service-Spiel war derart unpopulär, dass zeitweise nicht mehr als ein einziger Spieler (!) online war, der STANDARD berichtete.

Und auch kurz vor der Veröffentlichung hatte "Bayonetta 3" selbst überraschend mit negativer Publicity zu kämpfen. Mitte Oktober forderte die Synchronsprecherin Hellena Taylor nämlich zu einem Boykott des Spiels auf. Grund: Das Angebot an sie, auch im dritten Teil die englische Stimme der Hexe Bayonetta zu übernehmen, sei "eine Beleidigung" für ihre Arbeit gewesen. Tatsächlich hat jetzt Synchronsprecherin Jennifer Hale übernommen, mittlerweile stellte sich aber auch heraus, dass Taylor laut Bloomberg-Recherchen angeblich eine sechsstellige Summe und Beteiligungen am Spiel verlangt haben soll. Taylor bestreitet diese Berichte und ließ ausrichten, dass sie ihr "Leben dem Theater widmen" wolle.

Viele Hexen sind stärker als eine

Großes Theater ist auch die Handlung von "Bayonetta 3", wenngleich sie an dieser Stelle nur kurz umrissen werden soll, um nicht zu viel zu verraten: Anders als bislang tritt die Hexe mit der Endloshaarpracht und eindeutig zweideutiger Körpersprache nicht (nur) gegen Engel oder Dämonen an. Sogenannte Homunkuli, von Menschenhand geschaffene Kreaturen, drohen scharenweise über das Multiversum herzufallen und seine Parallelwelten alle zu zerstören. Ehe Bayonetta die treibende Macht hinter dieser Invasion auf eigenem Boden konfrontieren kann, muss sie eine Reihe dieser Parallelwelten besuchen, wo sie auf alternative Versionen von sich selbst trifft.

Die Geschichte von "Bayonetta 3" ist mindestens genauso verrückt wie das Artdesign des Spiels.
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Aber auch sonst tritt die bekannte Umbra-Hexe in "Bayonetta 3" nicht alleine gegen die Homunkuli an. Neben alten Bekannten, die sie auf ihrer neuen Odyssey wieder begleiten und deren Kontrolle man zum Teil selbst übernehmen kann, bekommt Bayonetta Unterstützung von Hexen-Lehrling Viola. Der neue Charakter bringt nicht nur optische, sondern auch spielbare Abwechslung, doch dazu später mehr.

Das Spiel selbst ist recht linear aufgebaut und erzählt die Geschichte in einzelnen Kapiteln. Jedes Kapitel besteht aus einem mehr oder weniger frei begehbaren Level, das neben kleineren Umgebungsrätseln, Herausforderungen und versteckten Items vor allem die Verse enthält. Diese Kampfabschnitte sind der eigentliche Kern des Spiels und treiben den Fortschritt eines Kapitels an. Sie müssen aber nicht alle absolviert werden, um das Kapitel zu beenden. Für jeden Vers erhält man je nach Kampfgeschick unterschiedliche Medaillen und Belohnungen.

Ist ein Kapitel beendet, wird nicht nur das nächste freigeschaltet. Ein Blick auf die Weltkarte zeigt auch, wo Verse ausgelassen worden sind und wie man sich noch verbessern kann. Von der Weltkarte aus kann man übrigens auch jederzeit "Die Tore zur Hölle" ansteuern, wo man sich mit allerhand kampferleichternder Items ausrüsten kann. Jederzeit im Menü verbessern kann man die Talente der Charaktere, sofern man die entsprechenden Ressourcen dafür in den Kapiteln aufgesammelt hat.

Auf in den Kampf

Im Kern hat sich das Gameplay von Bayonetta nicht geändert. Man lässt in einem vorgegebenen Areal so lange Prügel, Tritte und Projektile auf die darin vorhandenen Feinde prasseln, bis keiner mehr übrig ist. Die hohe Kunst des Spiels ist es freilich, die Angriffsmöglichkeiten zu artistischen Kombos aneinanderzureihen. Weicht Bayonetta feindlichen Angriffen aus, verlangsamt sie die Zeit und kann dem Gegenüber besonders viel Schaden zufügen.

Großes Kino: Während Bayonetta halbnackt ein Tänzchen wagt, verprügelt man mit ihrem Dämon die Gegnerschar.
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In Teil drei kommen zwei spielerische Komponenten hinzu, die dieses Spielprinzip auf das nächste Level heben. Eine im wahrsten Sinne des Wortes riesige Neuerung ist das Beschwören von Höllendämonen: Bei gedrückter Schultertaste übernimmt man aktiv die Steuerung gigantischer Dämonen, solange die Magieanzeige der Hexe es zulässt. Dabei muss man allerdings auch die Hexe am Bildschirm im Auge behalten, weil sie für die Beschwörung halbnackt auf dem Schlachtfeld tanzt und dabei schutzlos den Angriffen der Gegner ausgeliefert ist. Klingt verrückt? Ist es auch.

Eine weitere stimmige Neuerung ist die sogenannte Dämonenmaskerade. Sie ermöglicht es Bayonetta, die Gestalt eines Dämons anzunehmen, der in ihrer ausgerüsteten Waffe innewohnt. Je nach Waffe kann sie sich also selbst in eine andere Kreatur verwandeln und deren Fähigkeit nutzen. Dieses Novum kann oft auch nur dafür eingesetzt werden, um sich schneller in den größer gewordenen Kapiteln fortzubewegen.

Bayonetta ist nicht alleine

Damit nicht genug, sind diesmal auch weitere Charaktere spielbar. Hexen-Lehrling Viola ist ähnlich zu spielen wie Bayonetta, ihre Steuerung fühlt sich mit leichten Abweichungen in der Waffenhandhabung und der Witch Time frisch genug an, um eine Abwechslung zu rechtfertigen. Bei Hexe Jeanne geht man beispielsweise einen komplett anderen Weg und lässt sie mit einer Hommage an "Elevator Action" in einem Pseudo-2D-Level gegen die Zeit antreten. Für jede Menge spielerische Abwechslung ist bei "Bayonetta 3" jedenfalls gesorgt, das ist definitiv eine enorme Stärke des Titels.

Schon mal auf einem Dämonenschergen einen Wolkenkratzer herabgesurft?
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Generell geizt die rund 15-stündige Kampagne des Spiels nicht mit aberwitzigen Ideen. Wenn man nicht gerade damit beschäftigt ist, Endlos-Kombos auf die Gegner loszulassen, dann surft man eben auf einem gigantischen Drachendämon Wolkenkratzer herab, sieht einer überdimensionalen Grinsekatze auf einem Hochrad zu, wie sie gerade komplett auszuckt, oder wird aus einer mysteriösen Kristallwelt wie aus dem Nichts in einen Tokioter U-Bahn-Waggon teleportiert.

Bevorzugt im Dock

Im Test auch gezeigt hat sich übrigens, dass "Bayonetta 3" im Docked-Modus eine bessere Figur macht als im Handheld-Betrieb. Das liegt in erster Linie daran, dass sich im Spiel häufig Perspektive und die Größendimensionen ändern, was auf dem kleinen Screen bei weitem nicht so gut rüberkommt. Darüber hinaus kann man in der Hitze des Gefechts auch leicht einmal etwas übersehen, wenn die Kamera zu stark herauszoomt.

Vom kleineren Bildschirm abgesehen ist natürlich gerade bei einem Spiel, das präzise Eingaben erfordert, auch ein Pro Controller von Vorteil. Es mag vielleicht ein sehr subjektiver Eindruck sein, aber die Kombos gingen auf diese Art und Weise deutlich leichter von der Hand als direkt auf der Switch.

Switch am Limit

Großes Lob für die richtige Entscheidung gebührt Platinum Games, was die technische Umsetzung von "Bayonetta 3" auf der Switch anbelangt. Sowohl Handheld-Betrieb als auch Docked-Modus ermöglichen nämlich ein flüssiges Spielerlebnis. Eine Messung konnte nicht vorgenommen werden, die Zielvorgabe der Entwickler von 60 Bildern pro Sekunde in Spielszenen dürfte aber meistens erreicht worden oder wenigstens nahe dran gewesen sein. Für einen geschwindigkeitsgetriebenen Actiontitel wie diesen sollte das selbstverständlich sein, für eine betagte Konsole wie die Switch ist es eine angenehme Überraschung.

Und doch schmerzt es immer wieder zu sehen, welche Kompromisse aufgrund der Hardware-Einschränkungen eingegangen werden mussten: Der dynamische Wechsel der Auflösung und jegliches Fehlen von Kantenglättung hinterlassen keinen guten Eindruck, allenfalls einen verwaschenen. Ersteres mag in der Hitze des Gefechts zum Glück oft aus dem Fokus der Spielerinnen und Spieler rücken, Letzteres macht sich leider immer wieder bemerkbar.

Hinzu kommt, dass sich die Spielwelten der einzelnen Kapitel außerhalb der kompakt gehaltenen und kampflastigen Verse optisch recht sparsam und schlichtweg langweilig gestaltet anfühlen. Wenig unterschiedliches Texturwerk, ein Minimum an Objekten und karge Vegetation, um die Framerate hoch zu halten, erinnern teilweise an längst vergessene Konsolenzeiten. Nicht selten erwischt man sich beim Gedanken, wie viel besser "Bayonetta 3" auf einer Playstation 5 oder Xbox Series ausgesehen hätte. Viel Zeit zum Bedauern bleibt aber nicht, der nächste Vers lässt selten lange auf sich warten – und macht derartige Defizite schnell vergessen.

Fazit

Was für eine unglaubliche Achterbahnfahrt. Das lange Warten auf das Comeback der Superhexe hat sich gelohnt: Bayonetta lebt im dritten Teil erneut von den bereits bekannten Stärken der Serie. Dazu zählen vor allem spektakulär inszenierte Haudrauf-Action, schräger Humor und absurde Momente, die immer wieder aufs Neue überraschen. Dass man jetzt auch noch aktiv in die Rolle der Dämonenschergen schlüpfen, neue Fähigkeiten ausleben und andere Charaktere spielen kann, hebt das Spielerlebnis aufs nächste Level. Mehr kann man sich für eine Fortsetzung eigentlich gar nicht wünschen, oder?

Ein bisschen schon. Denn auch wenn die Entwickler viel aus der betagten Switch herausholen, um ein flüssiges Spielerlebnis zu ermöglichen, muss sich "Bayonetta 3" den Vorwurf gefallen lassen, aus technischer Perspektive nicht (mehr) auf der Höhe der Zeit zu sein. Nicht immer vermag das knallbunte und schräge Artdesign diesbezügliche Schwächen zu kaschieren. Wer eine Switch hat, Actiontitel mag und für eine wirklich verrückte Aufmachung aufgeschlossen ist, kann und soll dennoch ruhig zuschlagen. Spielerinnen und Spieler der ersten beiden Teile werden sowieso fix am Start und nicht enttäuscht sein. (Benjamin Brandtner, 25.10.2022)