Ein Schöffensenat muss sich in einem Sexualprozess gegen einen 54-Jährigen ungewöhnlich drastische Details anhören, die man öffentlich nicht wiedergeben kann.

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Wien – Dass das Schöffenverfahren gegen den 54-jährigen Herrn Manfred widerwärtig wird, steht schon fest, als die Staatsanwältin die Anklageschrift vorträgt. Der wegen Besitzes von Kinderpornografie vorbestrafte Österreicher soll zwischen Dezember 2021 und März 2022 immer wieder über eine etwas jüngere besachwaltete Frau hergefallen sein. Die Liste der Anklagepunkte ist dementsprechend lang: Körperverletzung, Nötigung, Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung, sexueller Missbrauch einer wehrlosen Person, Zuführen zur Prostitution und Vergewaltigung. Vorsitzender Stefan Apostol, Beisitzerin Eva Brandstetter, die Schöffin und der Schöffe müssen aber nicht nur die Details der Vorwürfe verarbeiten, sondern auch die Verantwortung des Angeklagten.

"Mein Mandant wird sich vollinhaltlich schuldig bekennen", kündigt Verteidiger August Schulz zwar zur Eröffnung an. Wie dieses Geständnis aussieht, wird aber sofort klar. Es geht um den Prostitutionsvorwurf: Herr Manfred soll die Frau überredet haben, auf einer einschlägigen Internetseite Sex gegen Geld anzubieten. "Das war, weil ich ihr helfen wollte, dass sie zu Geld kommt. Zum Einkaufen und so", sieht sich der Angeklagte eigentlich als Samariter. Die Frau habe auf seinem Handy den Anzeigentext erstellt, beteuert er. Was Beisitzerin Brandstetter nicht recht glauben mag. Sie zitiert aus einem Schreiben an einen potenziellen Freier: "Ich würd' nebenbei wichsen, während du sie fickst." Also fragt Brandstetter: "Haben Sie das geschrieben oder die Frau?" – "Ich."

Mund zugehalten

Ein anderes Beispiel: Bei der angeklagten Vergewaltigung hielt Herr Manfred der Frau den Mund zu. "Sie wollte das. Damit sie nicht schreit und die Nachbarn stört", versucht es der Angeklagte, während sein volljähriges Kind im Gerichtssaal zuhört. "Aus Rücksichtnahme vor den Nachbarn haben Sie dem Vergewaltigungsopfer den Mund zugehalten, wollen Sie uns jetzt erzählen?", ringt Vorsitzender Apostol um Contenance.

Herr Manfred erzählt, dass er die Frau im Herbst 2021 über eine gemeinsame Bekannte kennengelernt habe. Sie habe ihm gesagt, sie sei seit über einem Jahr in einer Beziehung, daher habe er nach eigener Aussage vorgeschlagen: "Okay, dann bleiben wir gute Freunde." Dass die Frau einen Erwachsenenvertreter und ein massives Alkoholproblem hat, sei ihm bewusst gewesen. Trotzdem habe sich daraus eine "Freundschaft plus", wie er es nennt, entwickelt. Die Frau habe den Arbeitslosen manchmal mitten in der Nacht angerufen und sei zu ihm gekommen.

Macht als Motiv

Der sexueller Missbrauch einer Wehrlosen bestand darin, dass er mit der Frau mindestens dreimal Geschlechtsverkehr hatte, nachdem sie starke Schlaftabletten genommen hatte und de facto bewusstlos war. "Warum haben Sie das gemacht?", interessiert Apostol. "Pffffh. Unbewusst. Blödheit", weicht Herr Manfred aus. "Hat es Ihnen einen Kick gegeben, dass die Frau wehrlos war?" – "Wehrlos? Hmmm. Ich hab's zwar probiert, aber es war auch kein Kick da", behauptet der Angeklagte. Bei der Erörterung eines ungewöhnlich drastischen Übergriffs offenbart die Frage von Beisitzerin Brandstetter ein weiteres Motiv: "Ist es dabei um Sex oder um Macht gegangen?", will sie wissen ."Macht", gibt der Angeklagte zu. Nur um gleich anschließend zu betonen: "Ich bin nicht der Macho, sicher nicht."

Für die Vorführung der auf Video aufgezeichneten kontradiktorischen Einvernahme des Opfers wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Anschließend interessiert Brandstetter noch etwas zur Vorgeschichte. "Wie hat sich denn Ihr Sexualleben vor dieser Frau gestaltet?" – "Ich war in keiner Beziehung." – "Man kann auch ohne ein Sexleben haben." – "Ich hatte seit der Scheidung kein Sexleben und keine Beziehung." – "Bis auf die kleine Verurteilung wegen Besitzes von Kinderpornografie." – "Das ist passiert. Ich war dafür ja auch drei Jahre in Therapie." – "Über den Erfolg der Therapie möchte ich mich jetzt nicht äußern", meint die Beisitzerin grimmig.

Zurechnungsfähig, aber gefährlich

Der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann äußert sich in seinem Gutachten zu diesem Thema wohlformuliert: "Offenbar hatte die Therapie nicht diesen nachhaltigen Effekt", erklärt der Experte, der auch eine "Eskalationstendenz" beim Angeklagten ortet. Herr Manfred sei gefährlich, da angesichts seiner multiplen Störungen der Sexualpräferenz auch in Zukunft viele Menschen zu Opfern von Herrn Manfred werden könnten. Der Angeklagte leide nicht an einer Geisteskrankheit und sei zurechnungsfähig, aber so gefährlich, dass er aus psychiatrischer Sicht am besten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht sei.

Als positiv bewertet Hofmann das nunmehrige Geständnis – im Ermittlungsverfahren und auch im Begutachtungsgespräch hatte der Angeklagte die Vorwürfe noch entschieden bestritten. "Das heute gezeigte Ausweichen auf direkte Fragen ist sein manipulativer Kommunikationsstil", ist Hofmann überzeugt. Auch die Tatsache, dass der Angeklagte nun mit einer Einweisung einverstanden sei, sei zu begrüßen. Und noch etwas betont der Sachverständige: "Der Angeklagte hat's nicht leicht gehabt im Leben." Geboren in eine kinderreiche Familie voller Geldsorgen sei er ab dem zehnten Lebensjahr fremduntergebracht gewesen, von 15 bis 18 in einem mittlerweile geschlossenen Heim der Stadt Wien, das für Misshandlungen und Missbrauch bekannt war.

Fünf Jahre Haft und Unterbringung

Das Opfer fordert am Ende über seine Privatbeteiligtenvertreterin Nadja Lindenthal insgesamt 15.000 Euro für die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und Schmerzensgeld, Herr Manfred ist bereit, 1.000 Euro anzuerkennen. Der Senat entscheidet schließlich, dass der Angeklagte der Frau 6.000 Euro zahlen muss, und verurteilt den Angeklagten zu fünf Jahren unbedingter Haft sowie zur Einweisung wegen Gefährlichkeit. Der Angeklagte akzeptiert das nach kurzer Beratung, die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. Das Kind des Angeklagten hat zu diesem Zeitpunkt bereits unter Tränen den Saal verlassen, offenbar erscheint ihm die Strafe zu hoch. (Michael Möseneder, 24.10.2022)