Waltraud Klasnic, Vorsitzende des ÖVP-Ethikrates, bestätigt, dass man zur Causa Kurz aktuell Sitzungen abhalte. Eine öffentliche Einschätzung des Gremiums kündigt sie für November an.

APA / EXPA / Michael Gruber

"Anstand, Ehrlichkeit und Verantwortung sind Werte, die in unserer Volkspartei Tradition haben", heißt es in dem kurzen Text. "Gerade deswegen bringen Verfehlungen Einzelner all jene in Misskredit, die sich tagtäglich für unsere Gesinnungsgemeinschaft engagieren und sich dabei der hohen moralischen Verpflichtung ihrer Tätigkeit bewusst sind."

Die zitierte Passage ist der Einstiegsabsatz im "Verhaltenskodex der Österreichischen Volkspartei", den sich die Partei 2012 unter Obmann Michael Spindelegger selbst verordnete – "im Bemühen, verlorengegangenes Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik zurückzugewinnen", wie es heißt. Sie entstammt dem Vorwort, beigesteuert von der ehemaligen steirischen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic. Sie ist seit seiner Gründung Vorsitzende des ÖVP-Ethikrates, der über die Einhaltung des parteiinternen Verhaltenskodexes wachen soll.

"Unangemessen und abzulehnen"

So mancher in der ÖVP mag sich über diese Formulierungen von 2012 aktuell nicht besonders freuen. Denn im Lichte der schweren Vorwürfe gegen Parteigrößen wie Ex-Kanzler Sebastian Kurz, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Klubchef August Wöginger lesen sie sich wie eine zielgerichtete Kritik an ebendiesen. Der Ethikrat selbst befasst sich aktuell jedenfalls mit den Anschuldigungen, die gegen Kurz und weitere zentrale ÖVP-Funktionäre im Raum stehen, wie Klasnic dem STANDARD auf Nachfrage bestätigte.

Der Ethikrat hatte sich bereits im vergangenen Jahr, nach Bekanntwerden der Chats von Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid, mit der Causa beschäftigt und sich im Oktober auch öffentlich geäußert. Die Chatnachrichten würden dem ÖVP-Verhaltenskodex widersprechen, hieß es damals. Die "Wortwahl und der mangelnde Respekt" seien "unangemessen und abzulehnen". Zugleich kritisierte der Ethikrat, dass die Chats "ohne Beachtung des Datenschutzes und Privatsphäre" veröffentlicht worden seien. Seither hatte sich der Ethikrat aber nicht mehr öffentlich zur Causa geäußert.

Aussagen "nicht unter Wahrheitspflicht"

Grundsätzlich lege sie wert darauf festzuhalten, dass die ÖVP die einzige heimische Partei sei, die überhaupt einen Ethikrat habe, sagt Klasnic. "Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass die anderen Parteien keinen brauchen." Zu den Vorwürfen Schmids, die sich aus den Protokollen seiner Einvernahme durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ergeben, hält Klasnic fest, dass die entsprechenden Aussagen "nicht unter Wahrheitspflicht" gefallen seien.

Der Ethikrat habe sich zudem nicht nur im Vorjahr mit der Causa Schmid auseinandergesetzt, sondern würde "laufend seinen Aufgaben nachkommen" – was er auch aktuell mit Sitzungen und Beratungen tue. Man schicke allerdings "keine Protokolle" über die Besprechungen des Gremiums aus. Ein Bericht des Ethikrates werde aber wie vorgesehen an die Bundesparteileitung gehen. Bei Abschluss der Beratungen zu den aktuellen ÖVP-Causen werde es zudem "selbstverständlich auch eine Aussendung" und damit ein öffentliches Statement des Gremiums geben, sagt Klasnic.

Termin im November

Wann es damit so weit sein würde, wollte Klasnic noch nicht exakt einschätzen. Einige der Mitglieder – neben Klasnic zählen etwa Ex-Verteidigungsminister Werner Fasslabend, der einstige Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank Klaus Liebscher und der Präsident des Instituts für Parlamentarismusforschung Werner Zögernitz dazu – seien stark ausgelastet, es werde aber einen "Termin im November" geben.

Und was ist davon zu erwarten? Nachdem er "bei Verdacht eines Verstoßes gegen den Verhaltenskodex" tätig geworden ist, hat der Ethikrat den jeweiligen Betroffenen anzuhören, heißt es im Kodex. Nach "Abschluss des Verfahrens" trifft er eine Feststellung, ob der Verhaltenskodex eingehalten oder verletzt wurde, und schlägt "dem jeweils statutarisch zuständigen Parteigremium die Ergreifung von geeigneten Maßnahmen und Sanktionen" vor. Diese können "bis hin zum Parteiausschluss" reichen.

Parteiausschluss von Ex-Kanzler Kurz?

Ist ein Parteiausschluss von Ex-Obmann Kurz also denkbar? "Wir sind ein beratendes Gremium", sagt Klasnic. "Wir geben unsere Vorschläge ab, entscheiden muss dann die zuständige Parteileitung." An diese gehe die Empfehlung intern, sie sei nicht öffentlich. "Wenn die Bundespartei die Entscheidung fällt, ist sie aber ohnehin öffentlich", so die Kommissionsvorsitzende.

An zentraler Stelle im ÖVP-Verhaltenskodex heißt es übrigens, politische Moral und Ethik müssten über die "strikt einzuhaltende Rechtsordnung hinaus" gehen. In anderen Worten: Nicht das Strafrecht allein soll die Richtschnur sein. In diesem Sinne äußerte sich am Montag auch der frühere ÖVP-Spitzenpolitiker Franz Fischler im Ö1-Mittagsjournal. Die zuletzt von Generalsekretär Christian Stocker bekräftigte Haltung der Bundespartei, allfällige Urteile abzuwarten, kritisiert er. Die ÖVP müsste "initiativ sein", sie könne "nicht immer die getriebene Partei bleiben". Gefordert sei nun Kanzler Karl Nehammer. Angesprochen auf die Würde als Regierungspartei befand Fischler zudem: "Über das Stadium des Würdigen sind wir schon ziemlich lang hinweg." (Martin Tschiderer, 25.10.2022)