Wiener Neudorf – Mit fünf km/h rollt Scarab an, parkt sich ein und fährt seinen Roboterarm aus, um einen vollen Mistkübel gegen einen leeren auszutauschen. Der Wechsel dauert weniger als eine Minute, passiert völlig automatisiert und ohne menschliches Zutun. Kürzlich hat das niederösterreichische Abfallunternehmen Brantner seinen selbstständigen Roboter namens Scarab vorgestellt, der ab sofort die Mistkübel in der Blauen Lagune in Wiener Neudorf, dem größten Fertigteilhaus-Zentrum Europas, leert.

Die Mülltonnen sind mit speziellen Sensoren ausgestattet, die dem Roboter den Füllstand anzeigen. Ist ein Mistkübel voll, fährt Scarab los und tauscht ihn aus. Dass Scarab, dessen Name sich vom ägyptischen Mistkäfer Skarabäus ableitet, demnächst durch Innenstädte fährt, ist nicht zu erwarten, doch Brantner-Geschäftsführer Josef Scheidl sieht andere Anwendungsszenarien: "Scarab wird selbstständig durch Parks, Schulen oder Universitäten fahren – ebenso wie durch Anlagen von großen Industrieunternehmen." Der Roboter könne bis zu elf Kilo schwere Mistkübel auswechseln, er habe aber auch eine Anhängervorrichtung, um große Müllcontainer zusammenzuziehen. Anfragen gebe es bereits aus der Slowakei und von Škoda in Tschechien.

Etwas mehr als 100 Kilo wiegt der autonome Müllroboter, und er fährt mit maximal fünf km/h.
Foto: Brantner

Ungeplante Sicherheitsrisiken

Wird dem Roboter die freie Fahrt verstellt, egal ob durch Kind, Katze oder einen Gegenstand, bleibt er automatisch stehen. "Es war ein langer Weg bis zur TÜV-Zertifizierung", sagt der Chef der Digitalisierungssparte Christoph Pasching. "An manche Sicherheitsrisiken hätten wir ohne den TÜV nicht gedacht – etwa dass Leute ihre Babys auf den Roboter setzen." Scarab verfüge über 2D- und 3D-Laserscanner, um auch kleine Hindernisse zu erkennen. Ein GPS-Tracker schlägt Alarm, wenn der Roboter seinen Bereich verlässt.

Scarab parkt sich vor dem Mistkübel ein, und der eigens entwickelte Roboterarm tauscht diesen aus.
Foto: Brantner

Rund anderthalb Jahre hat Brantner in Kooperation mit dem deutschen Unternehmen Innoq und der Johannes-Kepler-Universität in Linz an dem Prototyp gearbeitet. Scarab ist 1,6 Meter lang, 1,1 Meter hoch und wiegt etwas mehr als 100 Kilogramm. Wind- und Wettersensoren signalisieren, ob sich die Verhältnisse für einen Einsatz eignen. Lediglich bei extremen Wetterbedingungen warne ihn die Wetterstation, und er warte ab. Der Betrieb läuft elektrisch und über smarte Sensoren sowie Funktechnologie, die Antenne hat eine Reichweite von bis zu acht Kilometern.

In Zukunft sei angedacht, KI- und 5G-Technologie zu integrieren, das habe aber noch Zeit. Für ein Jahr wird der autonome Müllroboter nun in der Blauen Lagune unterwegs sein, um Erfahrungswerte aus der Praxis zu sammeln. "Aktuell entleeren wir Mistkübel nach einer vorgegebenen Tour, egal ob sie voll sind oder nicht. Das wollen wir mit Scarab in gewissen Bereichen ändern", heißt es bei Brantner.

In dieser Garage inmitten von Fertigteilhäusern in der Blauen Lagune ist Scarab beheimatet.
Foto: Brantner

Immer mehr Roboter

Besonders in der Industrie nimmt der Einsatz von Robotern stark zu. Im Vorjahr wurden rund um den Globus mehr als 517.000 neue Roboteranlagen installiert, wie die International Federation of Robotics (IFR) kürzlich bekanntgab. Das entspreche einem Anstieg von 31 Prozent gegenüber dem Corona-Krisenjahr 2020. Der bisherige Rekordwert aus dem Jahr 2018 sei um fast ein Viertel übertroffen worden.

Dazu kommen die schwierigen wirtschaftlichen und politischen Umstände auf der Welt. Bröckelnde Lieferketten und geopolitische Spannungen werden die Nachfrage nach Industrierobotern nach den Erwartungen des Schweizer Herstellers ABB ankurbeln. Viele Unternehmen wollten ihre Produktion aus fernen Ländern nach Europa zurückverlagern (Re- und Nearshoring), sagte der für die Robotik-Sparte zuständige Vorstand Sami Atiya im September.

Widerstandsfähigkeit in Krisen und Flexibilität seien für die Unternehmen inzwischen wichtiger als Just-in-time-Produktion. Dies und der Mangel an Fachkräften veranlassten die Firmen, auf Automatisierung zu setzen: "Es gibt keine Branche, die nicht nach Robotern ruft – selbst die Baubranche", sagte der frühere Siemens-Manager. (Andreas Danzer, 2.11.2022)