Energisch auf Ausgewogenheit und hohes Tempo ausgerichtet. Rafael Payare.

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So wie sein Dirigierkollege Gustavo Dudamel entstammt auch Dirigent Rafael Payare dem musikalische Erziehungsprojekt El Sistema (aus Venezuela). Einst Solohornist des zu Sistema gehörenden Simón Bolívar Symphony Orchestra, wurde Payare Claudio Abbados Assistent und ist mittlerweile zum Chefdirigenten des Orchestre symphonique de Montréal aufgestiegen.

Im Gespräch betont er, der Nachfolger von Kent Nagano wurde, die von Anbeginn an gute Chemie mit dem Orchester. Im Konzerthaus war dann Gegenteiliges auch nicht zu hören. Gustav Mahlers allseits bekannte fünfte Symphonie hatte hier effektvollen Drive, das Drama, das große Instrumentaltheater wird bei aller Heftigkeit allerdings sehr ausgewogen zelebriert.

Gewisse Verluste

Es ist bei der flotten Lesart allerdings im Allgemeinen mit gewissen Verlusten an Ausdruck im Poetischen zu rechnen – und so kam es auch. Die Streicherkantilenen wirktes etwas schüchtern, als fehlte hier der Mut zur Subjektivität.

Jene Mischung aus Süße und Schmerz, die klanglichen Kontraste, das ganze fiebrige Flehen der Linien bei Mahler und die agogischen Delikatessen: Das alles schien etwas versteckt hinter einer schön polierten Oberfläche.

Aber zweifellos ist hier hohes Niveau zu hören gewesen, ein feiner klarer Klang auch bei den selten zu hörenden Chor/Orchester-Stücken von Johannes Brahms (also "Nänie" und "Schicksalslied"), die auch von der glänzenden Singakademie (Einstudierung Heinz Ferlesch) profitierten. Man freut sich auf ein Wiedersehen mit Orchester und Maestro. (Ljubisa Tosic, 27.10.2022)