Seit dem angekündigten Rücktritt von Liz Truss hatte sich Rishi Sunak tagelang in Schweigen gehüllt. Erst am Montagabend, als seine Nachfolge der komplett gescheiterten Premierministerin feststand, wandte sich der frühere Finanzminister an die Öffentlichkeit. Sein Auftritt von genau 86 Sekunden hat viele erschreckt: Roboterhaft wiederholte Sunak vorgestanzte Phrasen, starrte dabei auf den falsch platzierten Teleprompter. Da war es wieder, das Image eines versierten Technokraten ohne jedes politische Gespür.

Erste Ansprache von Rishi Sunak als Premier: ernsthaft, kohärent und einfühlsam.
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Nach der Ernennung durch den König am Dienstag sprach der neue Regierungschef dann sechs Minuten lang vor der berühmten schwarzen Tür seines neues Amtssitzes in der Downing Street 10. Ein großes rhetorisches Talent kam dabei noch immer nicht zum Vorschein, aber wenigstens wirkte Sunaks Ansprache ernsthaft, kohärent und einfühlsam. Demonstrativ vermied der neue Mann die hohlen Phrasen und lustigen Sprüche, mit denen sein Vor-Vorgänger Boris Johnson die Leute unterhalten hatte.

"Schwierige Entscheidungen"

Vielmehr teilte der 42-Jährige den Briten unmissverständlich mit: Die Zeiten sind härter geworden. "Schwierige Entscheidungen" lautete sein Euphemismus für Steuererhöhungen, Einschränkungen bei Renten und Sozialhilfen, sinkenden Lebensstandard. Verantwortlich dafür sind die vielen Milliarden, die der Staat während der Covid-Pandemie in die Hand nehmen musste, um die Menschen zu unterstützen und die Wirtschaft am Laufen zu halten. Verantwortlich dafür ist auch der völkerrechtswidrige Krieg Russlands gegen die Ukraine, die daraus resultierende Energiekrise und die handelspolitischen Verwerfungen.

Unverblümt benannte Sunak zudem die Verantwortlichkeit seiner Vorgängerin: Truss habe "Fehler" gemacht, die er nun in Ordnung bringen müsse. Tatsächlich brachte die ökonomisch illiterate Kurzzeitregierungschefin die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt mutwillig an den Rand des Ruins, indem sie Steuersenkungen durch weitere Staatsschulden finanzieren wollte. Das ist – bei einer Inflation von zehn Prozent, dem Leistungsbilanzdefizit von zuletzt acht Prozent und einer Schuldenlast von mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts BIP – den globalen Finanzmärkten nicht vermittelbar, von denen Großbritannien in hohem Maße abhängt.

Versäumtes aufholen?

Die seit zwölf Jahren regierenden Konservativen haben in der Niedrigzinsphase die dringend notwendigen Investitionen in die Infrastruktur des Landes und die Fortbildung der Bevölkerung versäumt. Deshalb kämpft Sunak nun, wo die Zinsen scheinbar unaufhörlich steigen, mit Niedrigwachstum und einer Produktivität, die jämmerlich vergleichbaren Volkswirtschaften hinterherhinkt. Zudem macht das ungeklärte Verhältnis der Brexit-Insel zum größten Binnenmarkt der Welt das Land unaufhaltsam ärmer.

Wenn die Briten Glück haben, kann der frühere Investmentbanker und Hedgefonds-Manager die Weichen für eine verantwortungsvolle Wirtschafts- und Finanzpolitik stellen, ehe spätestens 2024 ein dringend nötiger Regierungswechsel zu Labour erfolgt. Hart werden die nächsten Jahre in jedem Fall. (Sebastian Borger, 25.10.2022)