Die Salzburger Festung ist geknackt. Der FC Chelsea fügte Salzburg am fünften Spieltag der Champions-League-Gruppenphase mit 2:1 die erste Europacup-Heimniederlage seit Februar 2021 zu, an einem grandiosen Abend von Salzburg-Goalie Philipp Köhn machten Traumtore von Mateo Kovacic und Kai Havertz den Unterschied. Junior Adamus zwischenzeitlicher Ausgleich war zu wenig. Das europäische Schicksal der Bullen entscheidet sich damit wie in den vergangenen Saisonen erst am letzten Spieltag. Am 2. November braucht Österreichs Meister für den Einzug ins CL-Achtelfinale einen Sieg bei der AC Milan, die Dinamo Zagreb auswärts 4:0 putzte. Mit einem Remis im San Siro würde Salzburg als Gruppendritter ins Europa-League-Sechzehntelfinale umsteigen.
Am Dienstagabend übertraf – nein, unterbot sich Salzburg schon vor Anpfiff selbst, das Startelf-Durchschnittsalter von 22 Jahren und zehn Monaten war für die Bullen CL-Rekord. Nur Arsenal 2009 und Ajax 2003 sowie 2004 hatten elf jüngeren Profis vertraut. Der Rekord war vor allem dem Fehlen von Andreas Ulmer geschuldet, seine 36 Lenzen schlagen dem Schnitt gewöhnlich mehr als ein Jahr auf. Salzburgs etatmäßiger Kapitän wurde zwar fit, blieb aber auf der Bank. Nicht fit wurde Innenverteidiger Oumar Solet, ihn ersetzte Bernardo.
Eine Minute Applaus
Wals-Siezenheim, 18.44 Uhr, warum die Spiele einer Gruppe am vorletzten Spieltag versetzt stattfinden dürfen, weiß nur die Uefa. Salzburgs verstorbener Klubmäzen Dietrich Mateschitz hatte keine Schweigeminute gewünscht, also rief der Klub eine "Minute der Dankbarkeit" aus. Nach 60 Sekunden Applaus rollte der Ball, und es ging grimmig los. Bernardos Versuch einer Kopfball-Rückgabe verhungerte, Goalie Philipp Köhn reagierte blitzschnell und pratzelte den Ball vor Kai Havertz weg. Der DFB-Jungstar erwischte den Wahl-Schweizer mit dem Schienbein, nach einer Behandlungspause ging es weiter. Und zwar flott: Conor Gallagher nahm Maurits Kjaergaard die Frucht ab und steckte ideal durch für Pierre-Emerick Aubameyang, dessen Versuch einer Ballmitnahme wurde zum ersten gelungenen Rückpass auf Köhn. Salzburg sah die gegnerische Hälfte anfangs nur aus der Ferne.
Nach zehn Minuten änderte sich das. Der erste Eckball der Gastgeber war kein Heuler, wenig später fuhr Sucic nach einem flotten Angriff aus 14 Metern unter den Ball. Aber Salzburg war nun ebenbürtig – und kassierte prompt das 0:1. Nach einer Hereingabe blieb der Ball heiß, ein Tackling von Maximilian Wöber bugsierte das Spielgerät genau zu Kovacic. Der gebürtige Linzer schoss aus schräger Rücklage mit seinem schwächeren linken Fuß – und traf genau ins Kreuzeck (23.). Kovacic kann schon kicken, aber das hatte ein G’schmäckle von Sonntagsschuss.
Köhn überragt
Minute 26, fast das zweite Goal: Eckball Chelsea, Wöber lenkt Aubameyangs Kopfball ab, Köhn reflektiert das Kunstleder grandios. Fünf Minuten später stand der zu Saisonstart so unsichere Schlussmann wieder im Fokus: Salzburgs Defensive war völlig indisponiert, Chelsea lief einen 3-gegen-2-Konter. Havertz machte Meter und setzte Aubameyang ein, Köhns Beinparade hätte jeden Handballgoalie stolz gemacht (32.). Einen der nun wieder seltenen Konter beendete Okafor mit einem mittelprächtigen Schuss (34.). Hinten fehlte den Bullen nun die Zuordnung, Havertz durfte aus fünf Metern köpfeln – wieder Köhn, diesmal im Nachfassen (36.).
Graham Potters einigermaßen gierige Dreierkette mit Offensivgeist Marc Cucurella als linkem Innenverteidiger ließ Salzburg Räume, die nur selten präzise bespielt wurden. Lucas Gourna-Douath, Kjaergaard und Seiwald standen mit dem Ball unter Dauerdruck; auch, weil sie von ihren Neben- und Vorderleuten aus selbigem Grund oft unpräzise bedient wurden. Die zwei vorderen Linien der Blues kombinierten in ihrem 3-3-4 dagegen gefällig. Bei einer Kooperation von Sterling und Aubameyang hob Wöber das Abseits auf, Köhn war aber auf der Höhe des Geschehens. Quasi mit dem Pausenpfiff durfte Aubameyang noch einmal aus zehn Metern schießen, Köhn beamte sich auf den Boden und lenkte den Flachschuss am Tor vorbei.
Ausgleich
Salzburg startete gut in die zweite Halbzeit, Kovacic sprang im Strafraum ein Ball an die Hand. Sowohl Schiedsrichter Sandro Schärer als auch VAR Fedayi San beurteilten das als nicht elferwürdig. Wurscht, Minute 48: Okafor scheint den Konter im Ansatz zu verholpern, doch Wöber macht aus dem behelfsmäßigen Steilpass das absolute Maximum. Mit dem ersten Kontakt im Halbfeld zwirbelt der 24-Jährige den Ball ideal in den Lauf von Adamu, der trifft per Innenrist-Sohle-Mischkulanz ins lange Eck.
Jaissles Elf nahm den Schwung gleich mit, Okafors Schuss wurde geblockt (50.). Dann aber wieder die andere Seite, Dedic ließ sich von Aubameyang übertölpeln und durfte sich zum x-ten Mal bei Köhn bedanken. Da das auf Dauer langweilig geworden wäre, durfte auch der Torwart mal die Rolle des Dankenden annehmen: Bei einem Corner war er von Jorginhos Kopfball geschlagen, doch Adamu rettete millimetergenau auf der Linie (53.).
Es war ein Stepptanz auf der Rasierklinge: Bernardo prallte an der Mittellinie an seinem Gegenspieler ab, Chelsea spielte ratzfatz nach vorne, doch Dedic, Strahinja Pavlovic und Eh-schon-wissen-Köhn entschärften mit vereinten Kräften. Havertz‘ Schüsschen aus sieben Metern und spitzem Winkel war im Vergleich zu Gesehenem eine Leichtigkeit für Salzburgs Meistbeschäftigten (59.). Jaissle nahm Luka Sucic raus und brachte Benjamin Sesko, die Zehnerposition in der Raute übernahm nun Adamu.
Traumtor
Chelsea, das sei nicht vergessen, war vergangene Saison der Dritte der Premier League. Da kickt Qualität. Den Beleg brachte die 64. Minute: Jorginho behauptet gegen drei Mann den Ball, legt auf für Havertz, der versenkt den Ball aus 20 Metern via Querlatte im Kreuzeck. Den hätten auch zwei Köhns mit Räuberleiter nicht pariert.
Also wieder ein Tor Hypothek. Sesko stoppte sich einen Ball erstklassig, schoss dann aber selbst, statt den ein paar Meter weiter völlig freien Okafor zu sehen (68.). Auch das wäre fast wieder wurscht gewesen. Pavlovic war bei einer Flanke vor Chelsea-Goalie Kepa am Ball, doch Thiago Silva putzte vor der Torlinie aus.
Salzburg musste nun riskieren und hatte Glück, als Pulisic den Ball bei einem Konter nicht kontrollieren konnte. Der Chelsea-Flügel hätte drei Mann Unterstützung gehabt, sein Gegenspieler Pavlovic null. A propos Glück: Sterling packte links Dedic ein, bei seinem Querpass schlug Havertz in bester Position ein Luftloch. Auch Qualität macht Schaffenspausen. Eine Viertelstunde vor Schluss erhöhte Ulmer den Altersschnitt, zur Kompensation kam der 19-jährige Roko Simic mit. Feierabend hatten Wöber und Okafor. Wenig später ersetzte Dijon Kameri den angeschlagenen Adamu.
Später Ansturm
Nach einigen recht hoffnungslosen Minuten kam noch einmal Schwung in Salzburgs Offensivspiel. Sesko verlagerte die Seiten, Dedic scheiterte an Kepa (87.). Guorna-Douath köpfelte vorbei (87.), Mount blockte Dedics nächsten Versuch (89.), Bernardo köpfelte vorbei (90.). Man spürte: Da ist noch was drin. Das kollektive Pfeifen beim Zeitschinden von Trevoh Chalobah zählte zum Lautesten, das im Salzburger Stadion bisher zu hören war. Die letzten Minuten gehörten dann aber wieder Chelsea, die Blues spielten das 2:1 mit sicherem Abstand zum Tor über die Zeit. (Martin Schauhuber, 25.10.2022)
Ergebnis:
FC Red Bull Salzburg – Chelsea FC 1:2 (0:1)
Wals-Siezenheim, Stadion Salzburg, 29.520 Zuschauer, SR Schärer (SUI)
Tore:
0:1 (23.) Kovacic
1:1 (49.) Adamu
1:2 (64.) Havertz
Salzburg: Köhn – Dedic, Bernardo, Pavlovic, Wöber (78. Ulmer) – Gourna-Douath – Seiwald, Sucic (61. Sesko), Kjaergaard – Adamu (82. Kameri), Okafor (78. Simic)
Chelsea: Arrizabalaga – Chalobah, Silva, Cucurella – Pulisic (75. Azpilicueta), Jorginho, Kovacic (68. Loftus-Cheek), Sterling (88. Ziyech) – Gallagher (88. Mount) – Havertz, Aubameyang (75. Broja)
Gelbe Karten: Sucic bzw. Gallagher, Arrizabalaga