Iranische Trauernde marschieren in Richtung Aichi-Friedhof in Saghez, der Heimatstadt von Mahsa Amini in der westiranischen Provinz Kurdistan.

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Großer Andrang vor dem Freidhof.

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Teheran – Bei einem Anschlag in der iranischen Stadt Schiraz sind Medien zufolge mindestens 15 Menschen ums Leben gekommen. In Schiraz hätten drei Angreifer aus einem Auto heraus das Feuer auf Pilger und Beschäftigte des Schreins von Shah Cheragh, einem Bruder des achten Imams Reza, eröffnet, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Irna. Die Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) bekannte sich im eigenen Propagandakanal zu dem Angriff.

Ein IS-Mitglied habe auf Besucher des Mausoleums geschossen und dabei "mindestens 20 Schiiten getötet und Dutzende weitere verletzt", hieß es darin.

Ein Mann mit "Verbindungen zu 'Takfiri'-Gruppen" sei festgenommen worden, hieß es im iranischen Staatsfernsehen. Der Begriff "Takfiri" wird von den iranischen Behörden verwendet, um sunnitische Jihadisten zu bezeichnen. Dem für Schiraz zuständigen Gouverneur Mohammad-Hadi Imanieh zufolge schoss der Angreifer "blindlings auf die Gläubigen".

Raisi beschuldigt "Feinde des Iran"

Nach Angaben des iranischen Staatsfernsehens verletzten Sicherheitskräfte den Angreifer, der derzeit in einem Krankenhaus operiert werde.

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi beschuldigte in einer Mitteilung die "Feinde des Iran", die mit Gewalt versuchten, die "geeinte Nation zu spalten". Raisi versprach eine entschlossene Antwort der Sicherheitskräfte.

Die Mehrheit der Muslime im Iran gehört dem schiitischen Glauben an. Der halbstaatlichen Nachrichtenagentur Tasnim zufolge sind Frauen und Kinder unter den Todesopfern. Zudem soll es zehn Verletzte gegeben haben.

Trauertag für Mahsa Amini

Zudem sind 40 Tage nach dem Tod der jungen iranischen Kurdin Mahsa Amini im gesamten Land Iran Menschenmassen auf die Straßen gegangen. In Aminis Heimatstadt Saghez in der westlichen Provinz Kurdistan strömten Menschen entlang einer Hauptstraße zum Grab, wie die Zeitung "Hammihan" am Mittwoch berichtete. Im Iran wird nach dem Tod eines Familienmitglieds traditionell 40 Tage lang getrauert. Zuvor hatten Aktivisten anlässlich des Trauertags zu landesweiten Protesten aufgerufen.

Sicherheitskräfte haben Augenzeugen zufolge das Feuer auf Menschen eröffnet, die sich versammelt hatten, um Amini zu gedenken. "Die Polizei schoss auf Trauernde, die sich auf dem Friedhof zu Mahsas Gedenkfeier versammelt hatten ... Dutzende wurden verhaftet", sagte der Zeuge. Auch die in Oslo ansässige Menschenrechtsorganisation Hengaw schrieb am Mittwoch auf Twitter.: "Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein und schossen am Sindan-Platz im Stadtzentrum von Saghez auf Menschen". Tausende Männer und Frauen skandierten auf dem Aitchi-Friedhof "Frau, Leben, Freiheit" und "Tod dem Diktator", wie online verbreitete Videos zeigten.

Zusammenstöße bei Trauerfeierlichkeiten

Die halbamtliche iranische Nachrichtenagentur ISNA hat Mittwochnachmittag bestätigt, dass es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Teilnehmenden an einer Gedenkfeier für Amini gekommen ist. "Eine begrenzte Anzahl von Teilnehmern an der Gedenkfeier für Mahsa Amini geriet am Stadtrand von Saghez mit Polizeikräften aneinander und wurde auseinandergetrieben. Nach den vereinzelten Zusammenstößen wurde das Internet in Saghez aus Sicherheitsgründen abgeschaltet", berichtete die Agentur und fügte hinzu, dass sich etwa 10.000 Menschen versammelt hätten.

Im ganzen Land waren am Mittwoch Iranerinnen und Iraner zu Protesten aufgerufen, die sich längst nicht mehr nur gegen die strengen Auflagen für Frauen richten, sondern gegen die Führung der Islamischen Republik insgesamt. Auch in der Hauptstadt Teheran sowie in Täbris und Rascht im Norden des Landes berichteten Zeugen von einer enormen Polizeipräsenz auf den Straßen.

Protest von Medizinern

In Teheran gingen Sicherheitskräfte mit Tränengas gegen eine Demonstration von Ärzten vor. Die Mediziner demonstrierten am Mittwoch gegen die Präsenz von Sicherheitskräften in den Kliniken, wo auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Proteste behandelt werden. Augenzeugen bestätigten ein massives Aufgebot von Polizisten und Kontrollen an den Hauptstraßen in Teheran. Viele Läden waren aus Sorge vor Ausschreitungen geschlossen. Die Lage in der Hauptstadt war angespannt. Vielerorts riefen Demonstranten auch Slogans, die gegen die Islamische Republik gerichtet waren.

"Die Städte Sanandadsch, Saghez , Divandarreh, Mariwan und Kamjaran in der Provinz Kurdistan befinden sich im Generalstreik", erklärte Hengaw auf Twitter. Der Menschenrechtsorganisation zufolge waren auch der frühere Herta-BSC-Spieler Ali Daei sowie der Fußballspieler Hamed Lak nach Saghez gereist, um an der Beerdigung teilzunehmen. Daei hatte nach seiner Einreise in den Iran vorübergehend seinen Pass abgeben müssen, da er die Protestbewegung online unterstützt hatte. Alle Schulen und Universitäten in der Provinz Kurdistan blieben am Mittwoch geschlossen, berichteten Staatsmedien. Begründet wurde dies mit einer Grippewelle.

Sicherheitskräfte drohten Familie

Aktivisten zufolge hatten Sicherheitskräfte Aminis Familie zuvor gedroht, dass sie "um das Leben ihres Sohnes fürchten" müsse, wenn auf dem Friedhof eine Zeremonie abgehalten werde. Von der in Norwegen ansässigen Menschenrechtsorganisation Hengaw geteilte Bilder zeigten eine starke Polizeipräsenz in Saghez . Sicherheitskräfte hatten versucht, den Zugang zur Stadt abzuriegeln. Dennoch gelang es dutzenden Menschen, in Autos und auf Motorrädern in die Stadt zu gelangen, einige kamen zu Fuß. Ein Augenzeuge berichtet: "Sie haben versucht, uns daran zu hindern, den Friedhof zu betreten, aber ich habe es geschafft hineinzukommen. Ich habe Mahsas Eltern noch nicht gesehen."

Mindestens 141 Demonstrierende getötet

Amini war am 16. September in Teheran gestorben, nachdem sie dort drei Tage zuvor von der Sittenpolizei wegen des Vorwurfs festgenommen wurde, ihr Kopftuch nicht den Vorschriften entsprechend getragen zu haben. Aktivisten beschuldigen die Behörden, Amini misshandelt zu haben. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR) wurden bei den Protesten und dem gewaltsamen Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte landesweit bisher mindestens 141 Demonstrierende getötet. (APA, AFP, Reuters, red, 26.10.2022)