Das unendlich vielfältige Leben der schwarzen Farbflächen: Pierre Soulages, hier 2006 vor einem eigenen Werk posierend im Fabre-Museum in Montpellier.

Foto: Pascal Guyot / APA

Pierre Soulages, der neben Harald Hartung wichtigste Vertreter der abstrakt-ungegenständlichen Malerei in Frankreich, ist 102-jährig gestorben. 1919 in Rodez als Sohn eines Kutschenbauers geboren, ging er nach dem Zweiten Weltkrieg nach Paris, wo er Vertreter der amerikanischen Kunstszene wie Mark Rothko und Robert Motherwell kennenlernte. Soulages schuf vor allem schwarze, kalligrafiehafte Formen: Mit seiner Kunst bildete er das völlig eigenständige Pendant zum US-amerikanischen, abstrakten Expressionismus. Wobei er als Erwachsener, anders als viele Zeitgenossen, keine figurativen Anfänge hatte.

Seine ersten abstrakten Kompositionen schuf der Franzose in den 1940er-Jahren mit eigentlich für Möbel genutzter brauner Nussbeize. Ab 1979 malte der Künstler ausschließlich monochrom schwarz. Als typisch gelten seine matt oder glänzenden Balken, die er mit breitem Pinsel auf die Leinwand auftrug. "Outrenoir", jenseits von Schwarz, nannte Soulages jene Arbeiten, die ihn schließlich international bekannt machten – selbst die Kleidung des Künstler war stets schwarz. Er nahm jeweils an der Documenta I, II und II in Kassel teil (1955 bis 1964), bereits in den 60er-Jahren wurde ihm erste Retrospektiven ausgerichtet.

Bürsten und Kirchenfenster

Soulages modellierte unter Zuhilfenahme von Bürsten, Besen oder Gummistücken auf vielfältige Weise die Reflexe des Lichts, das auf die gerillten oder gefurchten schwarzen Flächen trifft. Zu seinem Gesamtwerk zählen auch die berühmten Fenster der Klosterkirche Sainte-Foy im südfranzösischen Conques, die er zwischen 1986 und 1994 entwarf: milchige Scheiben, die von schwarzen Bleibändern – ähnlich der strukturierten Flächen seiner minimalistisch-gestischen Gemälde – quer und diagonal durchzogen werden. Je nach Außenlicht leuchten diese weiß, hellorange, ocker oder bläulich.

Der Nachwelt hinterlässt der Maler ein umfassendes Werk von mehr als 1.500 Gemälden sowie mehreren hundert grafischen Arbeiten. Soulages, anno 1992 Träger des Praemium Imperiale, vermachte seiner südfranzösischen Heimatstadt 2014 eine Sammlung von nicht weniger als 500 Werken. Die Stadt eröffnete daraufhin ein Museum zu seinen Ehren, das bis heute jährlich von mehr als einer Viertelmillion Menschen besucht wird. (red, 26.10.2022)