Die Debatte um die neue, alte Innenministerin Suella Braverman reißt nicht ab.

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"Integrität, Professionalität und Verantwortlichkeit" – jene Charakteristika, die der neue britische Premier für sein Kabinett in Anspruch nimmt, standen schon einen Tag nach Rishi Sunaks Amtsübernahme auf dem Prüfstand. Im Unterhaus stellte die Opposition am Mittwoch mehrfach infrage, ob die Wiederberufung der erst vor einer Woche zurückgetretenen Innenministerin Suella Braverman mit den Grundsätzen vereinbar sei. Immerhin gehe es um die Sicherheit der Nation, begründete Labours innenpolitische Sprecherin Yvette Cooper ihre Kritik. Der neue konservative Regierungschef sei "so schwach", höhnte Labour-Chef Keir Starmer, dass er "einen schmutzigen Deal" mit der harten Rechten seiner Partei habe aushandeln müssen.

Sunak hatte am Dienstag die Amtsgeschäfte von seiner gescheiterten Parteifreundin Liz Truss übernommen. Er ist damit der fünfte konservative Premierminister seit dem Brexit-Votum im Juni 2016. Dass Truss dem Land durch die Ankündigung Schulden-finanzierter Steuersenkungen mutwillig eine Finanzkrise beschert hatte, habe zur "tiefen ökonomischen Krise" seines Landes beigetragen, sagte der 42-Jährige auf der Schwelle seines neuen Amtssitzes in der Downing Street Nummer Zehn. Als weitere Faktoren benannte Sunak die Covid-19-Pandemie sowie die Energiekrise nach Russlands Überfall auf die Ukraine.

Hunt bleibt im Amt

Wie erwartet hat der neue Premier bei der Kabinettsbildung erfahrene Minister aller Parteigruppierungen um sich geschart sowie wichtige Ressorts unverändert gelassen. Neben Außenminister James Cleverly (Äußeres) und Kemi Badenoch (Außenhandel) betrifft dies vor allem Schatzkanzler Jeremy Hunt, der nach seiner eiligen Berufung durch Ex-Premierministerin Truss deren Steuerpolitik komplett revidiert hatte.

Weil die Finanzmärkte seither Großbritannien wieder freundlicher gegenüberstehen, scheint die Angst der Regierung vor der kommenden Donnerstag fälligen Zinserhöhung durch die Bank of England gewichen zu sein. In Absprache mit seinem neuen Chef Sunak kündigte Hunt am Mittwoch die Verschiebung einer eigentlich für kommenden Montag geplanten Regierungserklärung zur zukünftigen Finanzpolitik auf Mitte November an.

Ins Kabinett zurückgekehrt sind der eminent erfahrene Regionalminister Michael Gove, Steve Barclay (Gesundheit) und Oliver Dowden als Sunaks Koordinator im Kabinettsbüro. Es handle sich um eine Ansammlung von "kampferprobten alten Haudegen", schließlich stünden die Konservativen "im Abstiegskampf, nicht vor dem Titelgewinn", urteilte das Magazin "New Statesman" mit Blick auf die Umfragen. Diese gaben der Labour-Opposition zuletzt einen Vorsprung von bis zu 30 Prozentpunkten vor den Tories, was für die seit zwölf Jahren regierende Partei bei der nächsten Unterhauswahl eine beispiellose Niederlage zur Folge hätte.

Kritik an Sunaks Reichtum

Labour-Chef Starmer und sein Team warnen vor Nachlässigkeit – ein Grund dafür, warum der 60-Jährige den neuen Premier von Anfang an hart attackierte. Die beste Angriffsfläche dafür bot die Person Braverman: Weil sie vertrauliche Regierungsunterlagen in einer privaten E-Mail an einen politischen Vertrauten weitergeleitet und dabei versehentlich einen Unbeteiligten einkopiert hatte, musste die Innenministerin vergangene Woche ihren Posten räumen. Dieser "Fehler des Urteilsvermögens" sei durch die Entschuldigung und den Rücktritt der Ministerin ausgeräumt, argumentierte Sunak.

Dabei pfeifen in London die Spatzen von den Ministeriumsdächern, dass Spitzenbeamte, angeführt vom Kabinettssekretär Simon Case, die Sache viel kritischer beurteilen. Entsprechenden Nachfragen Starmers wich Sunak ebenso aus wie einer Anspielung des Labour-Chefs auf den enormen Reichtum der Familie des Regierungschefs. Sunaks Gattin Akshata Murty hatte bis vergangenes Jahr das Steuerprivileg als "Non-Dom" in Anspruch genommen und dadurch Millionen am britischen Fiskus vorbeigeleitet.

Regionaler Fokus

Starmers Forderung nach vorgezogenen Neuwahlen ignorierte der Premierminister, womit er seiner Vorgängerin nacheiferte. Hingegen will Sunak Truss’ komplette Ignoranz gegenüber den gewählten Vertretern der kleineren Regionen nicht aufrechterhalten. Diese hatten sich erst kürzlich darüber beschwert, die Londoner Regierungschefin habe es wochenlang nicht für nötig befunden, sich einmal bei ihnen zu melden. Der neue Premier telefonierte hingegen gleich am ersten Amtstag demonstrativ mit dem walisischen Regierungschef Mark Drakeford (Labour) und der schottischen Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon von der Nationalpartei SNP.

Er wolle konstruktiv zum Wohl des Vereinigten Königreichs zusammenarbeiten, versicherte Sunak anderntags im Unterhaus. Mit diesem Wunsch dürfte er zumindest bei Sturgeon auf Granit beißen: Die Nationalistin plant schon für kommenden Herbst ein neuerliches Referendum über die Loslösung ihrer Nation von der 315 Jahre alten Union mit England.

Fracking-Bann bleibt

Wie bereits zuvor vor dem Parlament angedeutet, will Sunak das Fracking-Moratorium beibehalten. Seine Regierung halte sich an das Wahlprogramm der Konservativen Partei, hatte Sunak auf eine entsprechende Frage im Unterhaus gesagt. Darin bekennen sich die Tories zu dem 2019 verhängten Stopp.

Beim Fracking wird Gas oder Öl mit Hilfe von Druck und Chemikalien aus Gesteinsschichten herausgeholt, was Gefahren für die Umwelt birgt. Die damalige Premierministerin Truss und ihr Wirtschaftsminister Jacob Rees-Mogg, hatten erst vor gut einem Monat angekündigt, das Fracking-Verbot angesichts steigender Energiepreise aufzuheben. (Sebastian Borger aus London, 26.10.2022)