Das Internet bietet mannigfaltige Möglichkeiten, sich selbst gut dar- und andere bloßzustellen. Letzteres soll ein junger Wiener gemacht haben.

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Wien – Viel Geld für wenig Arbeit? Glaubt man den Werbevideos und -anzeigen im Internet, ist man nur selbst schuld, wenn man mit 25 noch keine goldene Armbanduhr trägt, während man an der Poolbar eines schicken Hotels in tropischen Gefilden einen Cocktail schlürft, ein bisschen auf seinem Laptop herumdrückt und den eigenen Kontostand unaufhaltsam wachsen lässt.

Der 21-jährige A. hat diesem Versprechen geglaubt und findet sich indirekt deshalb nun vor Richter Daniel Potmesil wieder. Er soll Anfang des Jahres zum Schaden einer deutschen E-Commerce-Beratungsfirma einen beleidigenden Instagram-Fake-Account angelegt haben und darüber hinaus im Namen des Geschäftsführers dieses Unternehmens Autoreifen an den Firmensitz haben liefern lassen.

Ersteres ist seit Jänner 2021 in Österreich strafbar, im Strafgesetzbuch heißt der Paragraf "Fortdauernde Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems", die unerwünschte Lieferung der Autoteile wurde von der Staatsanwaltschaft als "Täuschung" angeklagt. Der ohne Verteidiger erschienene A. kann mit den Vorwürfen nichts anfangen und hat bereits ein Diversionsangebot der Anklagebehörde ausgeschlagen. Er möchte lieber in einem Strafverfahren seine Unschuld beweisen.

2.500 Euro für Online-Coaching gezahlt

Logischerweise bekennt sich der Österreicher daher nicht schuldig und beginnt Potmesil seine Geschichte zu erzählen, die auch interessante Einblicke in die Welt des Online-Marketings erlaubt. Der Angeklagte schildert, dass er nach der Matura noch eine Fortbildung gemacht habe und langsam an den Einstieg ins Berufsleben dachte. "Ich habe auf Youtube eine Werbung für ein Onlinecoaching gesehen", erinnert sich der Vertreter der "Generation Z". Zunächst überwies der Angeklagte 500 Euro für einen Kurs. "Für die nächste Stufe musste ich dann 2.000 Euro zahlen, erst dann bekam ich erste Zweifel. Es waren nur irgendwelche Mitarbeiter in den Online-Live-Kursen, der eigentliche Chef kam nie vor die Kamera."

Betrachtet man sich die Webseite des deutschen Unternehmens genauer, ist das durchaus nachvollziehbar – schließlich ist der als "Geschäftsführer, leitender Coach und Buchautor" firmierende "CEO" laut Eigenangaben ein gefragter Mann. Hat er doch ein "WIN-WIN-Konzept" kreiert und gibt "mit seinem gesamten Team immer mehr als 200 Prozent für seine Kunden". Gut, sein auf der Firmenseite angeführtes Zitat "Ich halte nichts von der klassischen Aufbau von Onlineshops konzentriert" ist semantisch noch ausbaufähig. Aber das spielt keine Rolle, verspricht das Unternehmen doch an anderer Stelle: "Ein gut aufgebautes Online-Business ermöglicht es Dir, sogar mehr zu verdienen, als ein Arzt."

Quellenangabe ein wenig unsauber

Darüber hinaus hat der "Geschäftsführer, leitende Coach und Buchautor" laut Webseite ja selbst vorexerziert, dass seine Geschäftsidee funktioniert. "Er gilt in der E-Commerce-Branche als Garant für Erfolg", findet sich mit der Quellenangabe "Frankfurter Rundschau" – und tatsächlich erscheint dieser Satz in einem Text auf einer der "Frankfurter Rundschau" gehörenden Seite. Allerdings unter dem Hinweis: "Anzeigensonderveröffentlichung. Sämtliche Inhalte dieser Seite sind ein Angebot des Anzeigenpartners. Für den Inhalt dieser Seite ist nicht die 'Frankfurter Rundschau' verantwortlich."

Angeklagter A. investierte jedenfalls 2.500 Euro, als erste Zweifel an der Seriosität des Coachings an ihm zu nagen begannen, wie er Richter Potmesil schildert. Aus dem Nagen wurden kräftige Bisse, als er sich erkundigte, ob er einen Vertrag und eine Rechnung bekommen könne. "Ich habe mich an den Whatsapp-Support gewendet, die haben erst geglaubt, es geht um die Reklamation wegen eines Produktes, das das Unternehmen auch verkauft." Irgendwann sei er von jemandem angeblich Zuständigen kontaktiert worden, der beschied, es gebe keine Rechnung.

Konsumentenschützer halfen

Seinen Unmut und seinen Zweifel an den lauteren Absichten des Anbieters tat A. auch auf einer Bewertungsplattform im Internet kund, der Beitrag wurde aber wieder gelöscht. Erst über Intervention des Europäischen Verbraucherzentums Österreich erhielt er schließlich Geld retour.

Aber warum findet A. sich nun eigentlich vor dem Strafrichter wieder? Der Geschäftsführer zeigte in Deutschland an, dass er selbst, Mitarbeiter und das Unternehmen auf Instagram wüst beschimpft würden. Er sei ein "Spasti", war zu lesen, ein "Kack-Emoji" wurde verschickt, jemandem in plastischen Worten ein intimer Kontakt mit einer Transsexuellen unterstellt. Die deutschen Behörden ermittelten, bei zwei der Fake-Accounts führte die Spur nach Nigeria, in einem Fall stieß man auf eine österreichische Mobilfunknummer. Und da der Geschäftsführer angab, dass sich die Internetbeschimpfungen und die Reifenlieferung – deren digitale Fußabdrücke in China endeten – in zeitlichem Naheverhältnis zur Beschwerde von A. ereignet hätten, traten die deutschen Ermittler den Fall an Wien ab.

Geheimnisvolle Mobilfunknummer

"Ich konnte bei den Vorwürfen nur den Kopf schütteln", versteht A. noch immer nicht, was er eigentlich im Gerichtssaal soll. "Es stimmt, die österreichische Handynummer konnte nicht Ihnen zugeordnet werden", überprüft der Richter im Akt. "Kennen Sie auch andere unzufriedene Kunden?", will Potmesil vom Angeklagten wissen. "Ja, einige", beteuert A., dass nicht nur er ein Motiv hätte.

Auch Staatsanwalt Wolfram Bauer erkennt, dass die juristische Suppe nicht unbedingt löffelfest ist, und überlässt in seinem Schlussplädoyer eine Verurteilung der freien Beweiswürdigung des Gerichts. Potmesil würdigt – und spricht A. rechtskräftig frei. "Es gab ein zeitliches Naheverhältnis, aber auch andere Enttäuschte", begründet er, warum ihm die Anklage nicht reicht. "Aber schauen Sie, dass Sie mit diesem Unternehmen möglichst nichts mehr zu tun haben", gibt er dem Freigesprochenen, der sich jüngst in einer anderen Branche selbstständig gemacht hat, noch einen Rat. (Michael Möseneder, 27.10.2022)