Xatar (Emilio Sakraya) ist ein ganz ein harter Kerl, der auch mal Frauen schlägt, um einen Türsteher zu provozieren.

Foto: Warner Bros. Entertainment

Xatar checkt Schwesta Ewa im Puff aus.

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Rheingold, das ist deutsche Mythologie, Nibelungen, Wagner. Und dann verfilmt ein Gastarbeiterkind mit Selbstbewusstsein und Verve das sagenumwobene Leben eines anderen Gastarbeiterkinds unter diesem Titel. Fatih Akin, gefeierter Arthouse-Regisseur und Kind türkischer Arbeiter aus Hamburg, geht mit seinem Biopic über den Deutschrapper Xatar, bürgerlicher Name Giwar Hajabi, zurück zu seinen Wurzeln: Zu den Actionfilmen, die seine Filmbegeisterung initiierten, zum Ghetto und den Brüdern, den "Bras", die man in seinem ersten Film Kurz und schmerzlos sieht. Und er beginnt etwas Neues, denn Rheingold will kein Arthouse-Film für Bildungsbürger sein, sondern Mainstream. Hauptsache, es ist ein guter Film, sagt Akin, der diese Etiketten ohnehin ablehnt. Doch ist er das, gut?

Geboren im kurdischen Widerstand

Episch beginnt Rheingold jedenfalls, im Iran 1980. Noch im Bauch seiner Mutter werden seine kurdischen Eltern, sie Musikerin, er Dirigent, von Islamisten vertrieben. In einer kurdisch-kommunistischen Enklave im Irak kommt Giwar zur Welt, doch bald wird die Kleinfamilie inhaftiert. Mutter und Vater verraten trotz Folter ihre Genossen nicht. Schließlich landet die Familie in Bonn, der Hauptstadt der BRD. Im Klassik-Land Deutschland hofft der Vater, ein Wagnerianer, auf Arbeit.

Jetzt beginnt das Sozialdrama: Giwar wächst in einer migrantisch geprägten Plattenbausiedlung auf. Lernt Klavier, schreibt Einsen, baut aber auch Mist, fliegt von der Schule, wird verprügelt. Damit das nicht wieder passiert, trainiert er sich auf wie Rocky Balboa und zahlt es seinen Bullys in einer Reihe schnell geschnittener, brutaler Prügelszenen heim. Giwar ist jetzt Xatar, kurdisch für "Gefahr".

Xatar, der Gefährliche

Xatar, grandios verkörpert vom ehemaligen Bibi und Tina-Herzbub Emilio Sakraya, hat Street-Credibility, große Ambitionen und ist clever. Nach der ersten Begegnung mit Hip-Hop, die leider lau inszeniert ist und dann schnell wieder fallengelassen wird, versucht er sich in Amsterdam mehr schlecht als recht als Musikstudent, vertickt aber stattdessen für den dortigen "Baba" Onkel Yero (Uğur Yücel) flüssiges Kokain.

Als Xatar sein Studium schmeißt, wechselt Rheingold in die Gangsterkomödie: Das Dealen geht schief, und Xatar kommt mit seinen "Bras" auf die wahnwitzige Idee, die ihn heute zu einer Legende macht. Sie überfallen einen illegalen Transport mit Zahngold, verstecken die Beute, fliehen, werden in Syrien geschnappt und schließlich an die Deutschen ausgeliefert, die im Gegensatz zu den brutalen Syrern die reinsten Witzfiguren sind. Doch Xatar hält dicht, und bis heute weiß niemand, wo das Gold liegt, so der Mythos.

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Erst im deutschen Knast kommt die Musik. Dort gründet Xatar ein Gangsta-Rap-Label und nimmt sein erstes Album auf. Nr. 415 (seine Gefangenennummer) landet direkt auf dem Index, wird aber ein Erfolg. Auch Schwesta Ewa ist bei ihm unter Vertrag, eine Prostituierte aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel, die einen Mini-Cameo-Auftritt hat. "Krass", sagt Xatar, nachdem Ewa ihm vorgerappt hat. "Krass gut oder krass schlecht?", fragt Ewa. "Krass schlecht, aber is egal, is geil."

Mutter, Schwester, Ehefrau

Und so haben die Frauen in Rheingold dasselbe Problem wie im Gangsta-Rap. Als Mutter sind sie die Heldin ("Mama war der Mann im Haus"), als Schwester unantastbar, die künftige Ehefrau ist die Jugendliebe ("das gute Mädchen aus dem Dorf/vom Block"), und daneben gibt es noch die, die "geil" sind. Dass der Film keinen anderen Umgang mit dem sexistischen, oft misogynen Frauenbild des Gangsta-Rap findet, ist schade.

Schließlich findet Akin seinen Protagonisten selbst ein wenig zu "geil" und entschuldigt so seine Gewalt und seine Kaufmannsmentalität, die sich solide in die neoliberale Ordnung eingliedert. Am Ende wohnt Xatar im Bonner Villenviertel zwischen lauter "Almans" mit altem Geld und fährt einen SUV. Das bedeutet dann auch: Du kannst etwas erreichen als Migrant in Deutschland, wenn du knallhart wirst und das System mit ein bisschen krimineller (Selbst-)Mythologisierung austrickst. (Valerie Dirk, 28.10.2022)