Seinerzeit war sich Rolls-Royce sogar zu nobel, überhaupt eine Motorleistung anzugeben. Heute dürfen wir schon sagen, dass dieser hier 571 PS hat. Und zusammen mit dem CO2-Ausstoß von 358 g/km ergibt das allein 5236 Euro an motorbezogener Versicherungssteuer pro Jahr. Angesichts des Kaufpreises von 614.000 Euro sehen wir aber sofort, dass ein einfacher Schluss genügt: Entweder du hast das Geld oder nicht. Dabei ist der Ghost erst das Einstiegsmodell in die wundersame Welt des Überflusses, der Türöffner sozusagen.

Beim Rolls-Royce Ghost geht es um Ruhe in allen Lebenslagen – das aber möglichst dynamisch und halbwegs diskret.


Foto: Andreas Riedmann

Moral hin oder her: Immerhin landen fast 180.000 Euro allein an Normverbrauchsabgabe in der Staatskasse, um für einen besseren Zweck verteilt zu werden. Außerdem ist das automobiltechnische Phänomen je eh interessanter, zumindest jetzt und in diesem Rahmen. Einer der letzten Zwölfzylinder mit 6,5 Liter Hubraum bringt von zwei Turboladern befeuert 850 Newtonmeter Drehmoment! Die goldene Regel des Motorenbaus, die einen Zylinderinhalt von rund einem halben Liter als ideale Größe beschreibt, ist damit weitgehend eingehalten. Die Tatsache, dass jeder Zylinder zusätzlich die Reibung und damit den Verbrauch erhöht, setzt dem "System Verbrennungsmotor" zumindest im Automobil genau an dieser Stelle Grenzen. Hier ist auch technisch ein Zenit erreicht. Alles darüber ist wirklich eine Übertreibung, zu jedem kleinen Vorteil kämen dann schon mindestens drei große Nachteile hinzu.

Aber wir wollen ja nicht beschreiben, was nicht geht, sondern was geht. Das Auto wirkt solide, aber nicht eitel, jedenfalls in dem Sinn, dass man die Superluxuslimousine erst auf den zweiten Blick erkennt. Es handelt sich beileibe um kein lautes Statement zum Thema Überfluss, sondern fast schon um eine diskrete Ansage. Die verrückten Dinge halten sich sehr im Hintergrund, so etwa die Lammfell-Fußmatten, die einen eigentlich dazu animieren sollten, vor dem Einsteigen die Schuhe auszuziehen – tut man dann aber doch nicht.

Stealth wird beim Ghost großgeschrieben, wie bei seinen Geschwistern versteckt sich auch hier die Spirit of Ecstasy unter der Motorhaube.
Foto: Andreas Riedmann

Die atmosphärische Zauberei hält sich sehr in Grenzen. Geschickt gesetzte Akzente deuten an, dass man sich hier in gutem Hause befindet, etwa die Holzeinlage quer über das Armaturenbrett oder die orangen Lederapplikationen an den Unterarmstützen der Türen und an der Mittelkonsole. Das Orange regt zu Diskussionen an, soll wohl auch die konservative Grundstimmung mit Leichtigkeit erhellen. Aber hell ist es eigentlich eh genug bei so einer grellweißen Sitzgarnitur. Es ist auch anzunehmen, dass der Ghost gerne von der Besitzerin selbst gefahren wird, zumal wir keinen Platz gefunden haben, an dem Champagner gekühlt gelagert werden könnte, um schnell noch ein Klischee zu bedienen.

Einstieg • Die sogenannten Portaltüren, die gegenläufig öffnen, gerne auch Selbstmördertüren genannt, sind natürlich sehr bequem für den Zustieg nach hinten. Aufgrund mannigfaltiger elektronischer Sicherungen wäre das Thema Selbstmord in Zusammenhang mit diesen Türen schwierig umzusetzen. Derzeit findet man solche Türen nur am anderen Ende der Preisliste, beim dreitürigen Elektro-Fiat 500.

Die elektronischen Features halten sich nobel zurück, man kann das Auto bedientechnisch problemlos auf nahezu gestrige Art bewegen, während das BMW-iDrive-System mit allen Raffinessen auf Abruf bereitsteht. Das Armaturenabdeckglas spiegelt in manchen Momenten, dass man glaubt, sich gleich rasieren zu wollen. Das elitäre Schweben in säuselnder Umgebung gelingt dem Engländer auf ziemlich deutsche Art. Die Federung bügelt scheinbar jeden Untergrund glatt. Man drohnt (sic!) über alle Unebenheiten zugleich auf sehr verbindliche Art.

Wir haben es also mit einem sehr ausgewogenen Automobil der obersten Komfortliga zu tun, erstaunlicherweise fehlt nun dem großen Wagen nur mehr eines, um den Gipfel der automobilen Herrlichkeit zu erklimmen: ein Elektromotor. Verstehen Sie das? (Rudolf Skarics, 5.11.2022)

Im Name der Effizienz gehen die Hintertüren, wie der Name schon sagt, nach hinten auf. man möchte ja dem Chauffeur keinen allzu langen Weg ums Auto zumuten.
Foto: Andreas Riedmann

Zweite Meinung

Die Inbetriebnahme dieser Luxuslimousine, dieses Wohnschlafzimmers mit Sternenhimmel, liefert eine Verlustanzeige: Wo ist mein Chauffeurkapperl? Das legt sich wieder, dann Konzentration auf so vieles: der schöne Gegensatz der klobigen Außenspiegel mit dem zarten Rückspiegel innen, die analogen Teile in der Armatur, die schönen Farben, Prunk überall. Könnte anstelle des banalen Tik-tik-tik des Blinkers hier nicht Händel erklingen? (Armin Karner, 5.11.2022)

Preis: 614.063 € • V12-Zylinder, 6592 cm³, 420 kW (571 PS), 850 Nm • Beschleunigung: 4,8 sec 0–100 km/h, Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h • Verbrauch: 15,2–15,7 l / 100 km, CO2: 347–358 g/km • L/B/H: 555/215/157 cm, Radstand: 330 cm, Leergewicht: 2490 kg


Foto: Andreas Riedmann