Nicht nur in Italien die Mannschaft der Stunde: Napoli verbesserte mit zwölf Pflichtspielsiegen en suite den Vereinsrekord aus Diego Maradonas Tagen.

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Im vergangenen Jahrzehnt stand kaum je infrage, in welchem Verhältnis spanische und italienische Klubs das Achtelfinale der Champions League schmücken würden. Die Primera División, so die vormals unverrückbare Gewissheit, ist in puncto europäischer Konkurrenzfähigkeit der Serie A um Häuser voraus. Mag sein, das hat sich nicht fundamental geändert, aber die Saison 2022/23 ist, zumindest auf die sogenannte Königsklasse des europäischen Fußballs bezogen, ein bemerkenswerter Ausreißer: Drei aus vier gegen eins aus vier aus der Sicht Italiens ist möglich.

El resto es Real

Einen Spieltag vor Ende der Gruppenphase steht fest, dass drei von vier spanischen Klubs sicher nicht die Runde der letzten 16 mitgestalten werden – der FC Barcelona, Atlético Madrid und der FC Sevilla. Bleibt Meister Real Madrid, der trotz der ersten Saisonniederlage am vergangenen Dienstag in Leipzig (2:3) durch ist.

Europameister Italien ist dagegen zwar bei der WM in Katar nicht vertreten, ergeht sich aber mit zumindest zwei Vereinen weiter im Schlaraffenland des Fußballs – mit dem scheinbar unbezwingbaren SSC Napoli als Gruppensieger und Inter Mailand, das in der Bayern-Gruppe den FC Barcelona ausbremste. Schließlich ist – bei allem gesunden Optimismus – noch mit dem AC Milan zu rechnen, der den Aufstieg im Heimspiel gegen RB Salzburg fixieren kann. Sicher gescheitert ist nur die ziemlich moribunde Alte Dame, Juventus.

Die Turiner waren die bisher letzten italienischen Finalisten in der Champions League. 2017 setzte es ein 1:4 gegen Real, zwei Jahre zuvor war Barça im Endspiel zu stark (1:3). Der letzte italienische Titelgewinn ist bald 13 Jahre her, 2010 besiegte José Mourinhos Inter Mailand die Bayern mit 2:0.

Maradonas Stolz

In der aktuellen Saison ist wohl Napoli die beste italienische Option. Der Klub des Filmmoguls Aurelio De Laurentiis baute am Mittwochabend mit dem 3:0 gegen die Glasgow Rangers seine Serie auf zwölf Pflichtspielsiege en suite aus und verbesserte damit die Bestmarke aus den 1980er-Jahren. Damals zauberte in Diego Maradona noch ein Fußballgott für die Azzurri aus Fuorigrotta. Maradona wäre stolz auf seine Nachfolger, mutmaßte Napolis Coach Luciano Spalletti nach dem ungefährdeten Erfolg im seit zwei Jahren nach dem Klubidol benannten Stadion.

Spalletti erzählte, dass seine Spieler regelmäßig Gesänge auf den am 25. November 2020 verstorbenen Argentinier anstimmen. Zudem stehe zur Motivation eine Statue Maradonas in der Kabine. "Er ist der Mannschaft immer nahe", sagte Spalletti.

1986 hatte Napoli mit Maradona saisonübergreifend elf Pflichtspiele en suite gewonnen. Aktuell ist Napoli seit Anfang September in der Meisterschaft und der Champions League ohne Verlustpunkt. Siege wie das 4:1 über den FC Liverpool oder das 6:1 bei Ajax Amsterdam zieren die Bilanz.

Goldjunge aus Tiflis

Der jüngste Streich gelang ohne Chwitscha Kwarazchelia, den sie nicht grundlos, aber doch ein wenig blasphemisch "Kwaradona" nennen. Der Georgier war vor der Saison für nur acht Millionen Euro von Dinamo Batumi gekommen, dem 21-jährigen Niemand stieß eben soviel Skepsis entgegen wie Stürmer Giacomo Raspadori von Sassuolo und dem Südkoreaner Kim Min-jae, der für die Abwehr geholt worden war. Dafür gingen gestandene Größen wie Torhüter David Ospina, Abwehrchef Kalidou Koulibaly, Regisseur Fabián Ruiz und Torversprechen Lorenzo Insigne. Die Tifosi hielten Präsident De Laurentiis und Coach Spalletti für verrückt, aber während Raspadori und Kim schnell mit tadellosen Vorstellungen verblüfften, verzauberte Kwarazchelia die Massen regelrecht. Einen wie diesen "kompletten Spielmacher" (Gazzetta dello Sport) vermeinen sie in Neapel seit Maradona nicht mehr gesehen zu haben. Dieser Goldjunge aus Tiflis, der bei acht Toren hält, lässt Napoli auf den ersten Scudetto seit 1990 hoffen.

Den vorerst letzten bescherte Maradona, ehe er endgültig im Drogensumpf versank. (lü, 27.10.2022)