Symbolbild: Wer möchte etwa nicht einen solchen Liebesbrief einmal im Leben erhalten und geschrieben haben?

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Die Liebe ist ein seltsames Spiel, sie kommt und geht von einem zum andern, sie nimmt uns alles, doch sie gibt auch viel zu viel", singt Connie Francis in einem ihrer Schlager, und überraschenderweise musste ich bei der Lektüre von Jana Černás (ich werde sie bei diesem Namen nennen) Totale Sehnsucht daran denken, dass dies insgeheim die Kernwahrheit sein könnte, die Černá (1928–1981) – und wen nicht? – bewegt.

Vorweg, Totale Sehnsucht ist ein Buch anthologischer Prägung, ein großartig zusammengestelltes und von Martina Lisa vortrefflich übersetztes Sammelsurium an Gedicht- und Prosastücken, teilweise haben die Texte einen reportagehaften Tagebuchcharakter.

Werk nicht von der Autorin trennen

Das Vor- und Nachwort, Ersteres von Martina Lisa und Letzteres von Matteo Colombi verfasst, kontextualisieren die Schriftstellerin (und ihr Werk) ausführlich, denn die Privatperson Jana Černá ist nicht von ihren Texten zu trennen. Was es im Detail damit auf sich hat, die Handhabung ihrer diversen Pseudonyme, ihre Beziehung zur bekannten Mutter Milena Jesenská, Franz Kafka, Bohumil Hrabal und Egon Bondy, das findet man in der Publikation ausgeführt, ich muss mich leider auf wenige Aspekte beschränken.

Jana Černás Leben verlief alles andere als harmonisch – und das ist noch weit untertrieben: Gerichtsverfahren, Gefängnisaufenthalt, Missbrauchsandeutungen, private und berufliche Zerrissenheiten jeglicher Art – und alles obendrein in einer Zeit, in der eine kommunistische Diktatur das Leben aller überwachte.

Männermonopol

Umso bemerkenswerter, ja kompromissloser sind ihre Texte, die in den vorliegenden Gedichten – und vor allem in ihrem einzigartigen Liebesbrief (adressiert an Egon Bondy) – die Liebe und Erotik dermaßen auf den Punkt bringen, wie es sich wohl vor ihr noch nie eine Frau öffentlich zu artikulieren getraute (weil auch das Monopol solcher Äußerungen den Männern vorbehalten war).

Jana Černá = Honza Krejcarová, "Totale Sehnsucht. Gedichte. Prosa. Liebesbrief". Ausgewählt und übersetzt von Martina Lisa, mit einem Nachwort von Matteo Colombi. € 20,– / 176 Seiten. Kētos-Verlag, Wien 2022.
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"Warum in Dreiteufelsnamen habe ich nicht Deine Zunge in meiner Fotze, wenn ich sie so sehr da haben will, warum spüre ich nicht den prickelnden Schmerz in der Sohle, wenn Du mich beißt, warum kann ich Dir jetzt nicht den Arsch entgegenstrecken, damit Du ihn ficken, beißen, dreschen und mit Sperma besudeln kannst, warum kann ich jetzt nicht neben Dir liegen, und mit Dir über alles reden, von der Philosophie bis zur Unsterblichkeit des Maikäfers ..." – es ist noch eine der harmloseren Formulierungen, die Jana Černá wählt, um ihre Sehnsüchte und Gefühle zu thematisieren, ja es ist eine Auseinandersetzung, welche die Welt kennen und lesen muss.

Philosophie und Dichtkunst

Totale Sehnsucht ist nämlich ein wahres Feuerwerk an philosophisch-dichterischen Gedankengängen, an explizitesten Gedanken und Emotionen, mit welchen die Autorin klarstellt: Hier schreibt jemand, der alles gesehen, alles durchlitten, ja auch in vielem gescheitert, der auf die Schnauze geflogen ist, um dennoch weiterzumachen.

Der ausführliche Brief und ihre Gedichte legen davon Zeugnis ab, sie verdeutlichen, wie erotisches Begehren und zärtlichste Gedankengänge miteinander verknüpft werden können. "Warum kann ich mich nicht auf Dich legen mit der fröhlichen Sinnlichkeit beinahe ungeschlechtlicher Zartheit und mit Dir beim Beischlaf darüber reden, was es zum Abendbrot gab oder wie das Wetter war? Warum kann ich dich nicht auf den Bauch legen und Dir den Arsch ficken, mit den Händen, mit den Titten, mit der Zunge, ihn mit meiner Fotze beschmieren, die beim bloßen Gedanken daran schon nass ist ..."

Das Buch ist in seiner Vielschichtigkeit allemal bemerkens- und lesenswert, ja man sollte es sich unverzüglich zulegen, denn Jana Černá gibt alles von sich preis, sie berührt in dieser textlichen Zusammenstellung (dem Kētos-Verlag sei Dank) unweigerlich.

Die Suche nach der Erfüllung seiner Träume, nämlich der des Geistes und des Körpers, ist generell dazu angetan, ein kompletteres Wesen zu erschaffen, Jana Černá muss schon deshalb seinem "bereiteren" Publikum zugänglich gemacht werden.

Verliebtsein und Verlangen

Und seien wir ehrlich: Wer möchte etwa nicht einen solchen Liebesbrief einmal im Leben erhalten und geschrieben haben? Sie können die Lektüre ja auch dazu nutzen, etwas im Leben (und in der Liebe) zu wagen.

"Denk daran, damit Dir mein Brief nicht das Gefühl gibt, es gehe hier um ein Bedürfnis, bestimmte neuropathologisch-sexuelle Emotionen zu verwirklichen – obwohl es hier natürlich auch darum geht, aber auf eine seltsam unpathologische Art – vielmehr geht es ums Verliebtsein. (Michael Stavaric, 29.10.2022)