Muss Arbeit wirklich einem Erlebnistrip gleichen?

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Die Beraterschaft arbeitet gemeinsam mit den Personalabteilungen seit einiger Zeit an der Umdeutung von Arbeit. Weisungsgebundene, meistens nach Arbeitsstunden entlohnte Tätigkeiten, die vom Arbeitgeber noch dazu praktisch jederzeit beendet werden können, sollen zu "Reisen" werden, zu "Erlebnissen".

In der Fachsprache heißt das Employee-Experience oder Employee-Journey. Dazu werden "moments that matter" gestaltet – also quasi Schnappschüsse vor den schönsten Sehenswürdigkeiten für das Fotoalbum.

Es werden also Begriffe der Arbeitswelt wie etwa das Befolgen von Anweisungen, das Ausführen vorgeschriebener Tätigkeiten oder das Umsetzen der Vorgaben von Vorgesetzten gegen besonders positiv besetzte Begriffe aus der Freizeit, aus dem Privatleben getauscht.

Das ist mehr als das Konzept für einen Euphemismus für die neue Arbeitswelt. Das ist ein Tausch von Wirklichkeiten. Werden Führungskräfte dann zu Reiseleitern, zu Eventmanagern, die für ein Fotoalbum voller wunderbarer Schnappschüsse sorgen müssen?

Grundsätzlich ist nichts daran auszusetzen, dass Unternehmen darauf achten, was ihre Mitarbeitenden in der Firma erleben – ganz im Gegenteil. Dadurch entsteht Motivation – oder sie wird schnell zerstört. Phänomene wie Quiet Quitting, also keine Extrameile mehr zu gehen, nur so viel zu arbeiten, wie auch bezahlt wird, und jedes Engagement darüber hinaus zu unterlassen, sind Reaktionen auf "Erlebnisse", die Unternehmen ihren Leuten liefern. Offenbar sind das nicht die inspirierendsten.

Keine Umdeutung erforderlich

Aber: Arbeit, wenn sie nicht gerade in der Reisebranche stattfindet, ist kein Erlebnistrip, ist keine Abenteuerreise. Die Bedingungen im Job legt, auch jetzt, während eines Anwachsens der Macht der Arbeitenden, der Arbeitgeber fest. Es gibt Vorgesetzte und Untergebene, auch wenn das nicht mehr so heißen soll, weil "Beziehung auf Augenhöhe" besser klingt. Demokratische Elemente im Unternehmenskontext enden an der Macht der Eigentümer. Nein, die sind nicht alle "böse", die sind nicht alle "Gegner". Aber sie sind sicher auch nicht dazu da, uns tolle Erlebnisse zu verschaffen. Das müssen sie auch nicht. Anerkennung und Wertschätzung, faire Bezahlung und menschlicher Respekt reichen durchaus für eine Arbeitsatmosphäre, die passt. Mit diesen Grundbedingungen kann alles entstehen, was die Jobwelt an Verbesserungen braucht.

Arbeit, die okay, vielleicht sogar oft schön ist, braucht keine Umdeutung. Sie muss keine Tickets für den täglichen Trip in einen Erlebnispark verkaufen. (Karin Bauer, 1.11.2022)