Das Fingertier oder Aye-Aye gehört zu den Primaten und ist mit dem Menschen nur entfernt verwandt, wobei es seine Vorliebe für Nasenbohren mit ihm teilt.
Foto: APA/AFP/Duke Lemur Center/DAVID

Das in Madagaskar beheimatete Fingertier, auch Aye-Aye genannt, gehörte schon bisher zu den kurioseren Lebewesen. Doch nun wurde ein Verhalten entdeckt, das alle bisherigen Sonderbarkeiten in den Schatten stellt.

Der Waldbewohner, der mit den Lemuren verwandt ist, hat stark verlängerte, äußerst dünne Mittelfinger, die bis zu acht Zentimeter lang sind und damit 40 Prozent der Länge seiner vorderen Gliedmaßen ausmachen, mit denen er nach in Holz lebenden Insekten angelt. Der einheimischen Bevölkerung war er so unheimlich, dass er als Vorbote des Todes galt – ein Mensch, auf den er mit seinen Fingern zeigte, musste sterben. Das ging so weit, dass Fingertiere in manchen Ländern sogar deshalb getötet wurden. Vielleicht neigt das Tier deshalb zum Alkohol, wie kürzlich in einer Studie festgestellt wurde.

Nun gelang es der Biologin Anne-Claire Fabre, ein weiteres, ebenso befremdliches wie faszinierendes Verhalten zu dokumentieren.

Das Fingertier wähnt sich unbeobachtet und gibt Einblick in sein bizarres Verhalten.
Natural History Museum

"Es war unmöglich, nicht zu bemerken, dass dieses Aye-Aye in der Nase bohrte. Es handelte sich nicht um ein einmaliges Verhalten, sondern um etwas, mit dem es sich voll und ganz beschäftigte, indem es seinen extrem langen Finger erstaunlich weit in die Nase steckte und dann alles, was es ausgrub, probierte, indem es seinen Finger sauberleckte!", erklärt Fabre.

Der Vorgang erschien so extrem, dass die Forscherin mit Computertomografen ein dreidimensionales Modell des Schädels erstellte, um herauszufinden, wie tief der Finger in den Kopf vordringt und was er dort möglicherweise findet. Ein Vergleich der Fingeranatomie mit dem Scan des Kopfes bestätigte den Verdacht: Der Knochenfinger dringt bis in den Hals vor, wie eine nun veröffentlichte Studie in der Fachzeitschrift "Journal of Zoology" belegt.

Wenige seriöse Studien

"Es gibt nur sehr wenige Anhaltspunkte dafür, warum wir und andere Tiere in der Nase bohren", betont Fabre. Fast alle verfügbaren Arbeiten seien als Scherz gedacht gewesen. "Von den seriösen Studien gibt es ein paar im Bereich der Psychologie, aber für die Biologie gibt es kaum etwas. Eine Studie zeigt, dass durch das Bohren in der Nase Bakterien wie Staphylokokken verbreitet werden können, während eine andere zeigt, dass Menschen, die ihren eigenen Rotz essen, weniger Karies haben."

Der Weg, den der Finger des Tiers im Kopf nimmt. Grund dafür ist offenbar das salzige Nasensekret.
Bild: Claire Fabre/Renaud Boistel

Dass Tiere in der Nase bohren, ist dabei nicht ungewöhnlich, wie Fabre betont. Auch von Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans ist dieses offenbar gesundheitsfördernde Verhalten bekannt. Zwölf Spezies sind es insgesamt, wenn man den Menschen mitzählt. Ihr entfernter Verwandter, der zu den Feuchtnasenprimaten gezählt wird, stellt nun alle anderen bekannten Nasenbohrer in den Schatten.

Bis in den Hals reicht der Finger des Fingertiers. Unter den nasenbohrenden Lebewesen nimmt es damit eine Sonderstellung ein.
Foto: Claire Fabre/Renaud Boistel

Die Aufmerksamkeit, die das Fingertier dabei erregt, könnte sich durchaus zu seinem Vorteil auswirken, wie Roberto Portela Miguez, Kurator der Säugetiersparte des Naturhistorischen Museums von Bern, betont, bei dem Studienautorin Fabre angestellt ist. "Fingertiere sind stark gefährdet und brauchen dringend unsere Hilfe. Veröffentlichungen wie diese können hoffentlich dazu beitragen, die Aufmerksamkeit auf diese Art zu lenken, zu zeigen, wie wenig wir über sie wissen, und mehr Menschen dazu zu bringen, sich für ihren Schutz einzusetzen." (Reinhard Kleindl, 28.10.2022)