Unter anderem Netflix soll für den Internetausbau bezahlen.

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Bisher ist die Frage, wer für den Ausbau des Internets bezahlen muss, relativ einfach beantwortbar: die Telekomunternehmen, die das Netz zur Verfügung stellen und dafür jeden Monat bei ihren Kundinnen und Kunden abkassieren. Große Tech-Konzerne wie Google, Amazon und Netflix hingegen, die für einen Großteil des Datenverkehrs verantwortlich sind, schaffen überhaupt erst einen Anreiz für den Kauf schneller – und oft auch teurer – Breitbandtarife. Ein ausgewogenes Geschäft, von dem beide Seiten gleichermaßen profitieren, könnte man also meinen.

Die Telekom-Lobbygruppe ETNO, zu deren Mitgliedern auch A1 zählt, scheint das anders zu sehen. In einer Studie vom Mai argumentiert diese, dass die größten Internetkonzerne einen Beitrag zum Netzausbau leisten sollten – auch deshalb, weil die EU-Wirtschaft dadurch einen Schub von 72 Milliarden Euro erhalten würde. So weit, so gut.

Wirklich interessant ist diese Causa, weil die Forderungen inzwischen politisch aufgegriffen wurden. Zum Beispiel von EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, laut der man das Thema der Kostenverteilung "ganz genau betrachten" muss. Laut ihr würden die größten Tech-Konzerne "viel Datenverkehr generieren, der ihr Geschäft ermöglicht", allerdings nichts dazu beitragen, dass dieser überhaupt ermöglicht wird. Eine Position, der sich kurz darauf auch der Rat der Europäischen Union anschloss.

Noch kein Gesetzesentwurf vorhanden

Bisher handelt es sich bloß um eine Idee. Ein konkreter Gesetzesentwurf könnte aber bald vorliegen, zumindest wenn es nach EU-Digitalkommissar Thierry Breton geht. "Euractiv" zufolge will dieser schon am 21. Dezember mit der öffentlichen Konsultation beginnen, um den Gesetzesentwurf im Frühjahr 2023 vorlegen zu können.

Dabei warnen Grundrechtsorganisationen aufs Schärfste vor der Einführung einer solchen Datenmaut, da sie das freie Internet in Gefahr bringe – und den Telekomunternehmen die Möglichkeit gebe, doppelt abzukassieren. Einmal bei Kundinnen und Kunden, ein weiteres Mal bei jenen Tech-Konzernen, die Internetanbieter weiterhin benötigen, um ihre Dienste bereitstellen zu können.

Auch BEREC, die Telekom-Regulierungsbehörde der Europäischen Union, stellt die Idee einer solchen Datenmaut infrage. In einer vorläufigen Bewertung hält sie fest, keine Beweise gefunden zu haben, "dass ein solcher Mechanismus angesichts der derzeitigen Marktlage gerechtfertigt ist". Stattdessen sei es denkbar, "dass eine solch bedeutende Veränderung dem Ökosystem Internet erheblich schaden könnte".

Geben und Nehmen

Auch das Argument, dass Netflix und Co für einen erheblichen Teil des Datenverkehrs verantwortlich seien, lässt die Behörde nicht gelten. Einerseits weil dieser von den Kunden der Telekomunternehmen angefragt und somit verursacht werde. Andererseits weil das unaufhaltsam wachsende Interesse an Streamingdiensten und Social-Media-Plattformen überhaupt erst die Nachfrage nach schnelleren Breitbandzugängen antreibe.

Die größten Tech-Konzerne sollen zur Kasse gebeten werden, wenn es nach der Telekom-Branche geht.
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Viel schwerer wiegen allerdings die Sorgen vor den möglichen Folgen für das freie Internet. Immerhin garantiert die Netzneutralität, im Oktober 2015 in einem EU-Gesetz verankert, eine diskriminierungsfreie Datenübertragung. Damit soll garantiert werden, dass alle Menschen einen gleichberechtigten Zugang zum Internet und dort angebotenen Services erhalten. Erst kürzlich urteilte der Europäische Gerichtshof in diesem Zusammenhang, dass sogenannte "Zero Rating"-Angebote von Mobilfunkern gar nicht rechtens sind. Diese ermöglichen zum Beispiel Musikstreaming ohne Nutzung des eigenen Datenvolumens, heißt es auf der Webseite der österreichischen Regulierungsbehörde RTR.

Sehr deutlich formuliert es die österreichische Grundrechtsorganisation Epicenter Works: "Telekomfirmen dürfen nicht in den Datenverkehr eingreifen, indem sie einzelne Dienste im Internet verlangsamen, blocken, (gegen Geld) beschleunigen oder teurer machen." Sie dürfen also für keinerlei Ungleichberechtigung sorgen. Ein Prinzip, das eine Internetmaut gefährden könne.

Frage nach der Motivation

Die Motivation europäischer Telekomunternehmen scheint dabei klar zu sein. Immerhin legt die eingangs erwähnte ETNO-Studie relativ klar dar, dass die Branche einen Teil ihrer Betriebskosten auslagern, also nicht nur an den eigenen Kunden, sondern auch den größten Internetfirmen mitverdienen will.

Weniger einfach lässt sich die Frage beantworten, was sich die Europäische Union von einem solchen Gesetz erhoffen könnte. Immerhin war einst sie es, die eine Verordnung zur Netzneutralität verabschiedete. Hierzu gibt es unterschiedliche Theorien. Eine davon hat mit der Zielsetzung "für den digitalen Wandel in Europa" zu tun. In dieser hielt die EU-Kommission im März letzten Jahres fest, bis 2030 allen Bürgerinnen und Bürgern einen Gigabit-Anschluss bereitstellen zu wollen. Ein Ziel, das noch bei weitem nicht erreicht wurde. Tech-Konzerne in die Pflicht zu nehmen könnte den Ausbau theoretisch beschleunigen.

Wie es weitergehen könnte

Interessant ist außerdem, dass die EU-Kommissarin Margrethe Vestager und EU-Kommissar Thierry Breton die Idee einer Internetmaut just wenige Tage nach der Veröffentlichung der ETNO-Studie geäußert haben. Vor allem Breton scheint mittlerweile das Ziel zu verfolgen, diese Wirklichkeit werden zu lassen. Dabei habe die Telekomindustrie schon 2012 erfolglos versucht, dieselben Forderungen wie heute durchzusetzen, erklärt Epicenter Works.

Wie realistisch ein Erfolg beim zweiten Anlauf sein wird, ist unklar. Der NGO zufolge finde sich das Thema nicht im offiziellen Arbeitsprogramm der EU-Kommission. Die Frage sei deshalb, ob Breton überhaupt den notwendigen "Konsens unter den anderen Kommissar:innen hat, den es für einen EU-Gesetzesvorschlag braucht". Falls doch, könnte dieser laut "Euractiv" schon kommendes Frühjahr vorliegen. Eine erfolgreiche Umsetzung der Internetmaut würde dies aber längst nicht garantieren. (Mickey Manakas, 31.10.2022)