Mit der russischen Aufkündigung des Abkommens rückt die Hoffnung wieder in weitere Ferne, dass sich die weltweite Getreideversorgungslage entspannt.

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Kritik, Empörung, Verurteilung: Russlands am Samstag verkündete Entscheidung, das Getreideabkommen aufzukündigen und damit ukrainische Getreideexporte über das Schwarze Meer wieder zu blockieren, hat international für heftige Reaktionen gesorgt. Die UN gaben die Hoffnung auf eine Fortführung des im Juli abgeschlossenen Deals aber noch nicht auf.

Frage: Um welches Abkommen geht es?

Antwort: Am 22. Juli unterzeichneten die Kriegsgegner unter UN-Vermittlung jeweils getrennt mit der Türkei ein Abkommen, das von drei Häfen Getreideausfuhren aus der Ukraine ermöglichte. Schiffe durften leer in ukrainische Häfen fahren, mussten aber zuvor und auch bei der Rückkehr im türkischen Istanbul kontrolliert werden – vor allem, um sicherzustellen, dass keine Waffen geladen waren. Russland und die Ukraine sicherten den Schiffen sicheres Geleit zu, das Koordinierungszentrum in Istanbul ist mit Vertretern der vier Parteien besetzt. Der Deal war bis 18. November befristet, hätte der UN zufolge aber, wenn keine Seite Einspruch eingelegt hätte, automatisch verlängert werden können.

Frage: Wie viel wurde exportiert?

Antwort: Vor Kriegsbeginn exportierte die Ukraine pro Jahr etwa 45 Millionen Tonnen Getreide. Seit dem russischen Angriff am 24. Februar waren Agrarexporte über die ukrainischen Schwarzmeerhäfen blockiert. Die Getreidepreise explodierten, die Angst vor Hungersnöten, vor allem in armen Ländern Afrikas, des Nahen Osten und Asiens, stieg. Seit dem Inkrafttreten des Abkommens hat die Ukraine fast acht Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Seeweg ausgeführt, hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor zwei Wochen gesagt. Zuletzt hatten die UN mehr als 790 Ausfuhren mit über neun Millionen Tonnen an Getreide und anderen Lebensmitteln genehmigt.

Frage: Warum hat Russland das Abkommen nun für unbestimmte Zeit aufgekündigt?

Antwort: Als Grund für die Aussetzung nennt Russland Drohnenangriffe auf die Schwarzmeerflotte in der Stadt Sewastopol auf der 2014 von Moskau völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim. Das russische Außenministerium behauptete in einem Schreiben an UN-Generalsekretär António Guterres, die ukrainischen Streitkräfte hätten unter Missbrauch des humanitären Korridors für die Getreideausfuhren per Schiff Angriffe aus der Luft und vom Meer aus gegen die russische Schwarzmeerflotte verübt – mit britischer Unterstützung. Russland könne wegen der Angriffe die Sicherheit der zivilen Getreideschiffe nicht garantieren.

Frage: Was ist an den Vorwürfen dran?

Antwort: Überprüfen lassen sie sich nicht, Kiew und London weisen die Vorwürfe zurück. Die Ukraine beschuldigte Russland, Angriffe auf eigene Einrichtungen erfunden zu haben, und sprach von "fingierten Terrorattacken". Russland hat das Abkommen immer wieder kritisiert, es sieht sich bei eigenen Getreideexporten ausgebremst. Im Juli war zwar eine weitere Vereinbarung in Kraft getreten, die die Ausfuhr russischer Lebensmittel und Dünger trotz westlicher Sanktionen erlaubt. Moskau kritisierte aber, dass es trotzdem Produkte wegen der Sanktionen im Finanz- und Logistikbereich nicht verkaufen kann.

Frage: Wie fielen die Reaktionen auf die russische Entscheidung aus?

Antwort: International hagelte es heftige Kritik an Russland. Der Schritt gefährde "die wichtigste Exportroute für dringend benötigtes Getreide und Düngemittel zur Bewältigung der durch den Krieg gegen die Ukraine verursachten weltweiten Nahrungsmittelkrise", schrieb EU-Außenbeauftragter Josep Borrell am Sonntag auf Twitter. Die EU sowie die USA forderten eine Wiederaufnahme der Lieferungen. "Russland setzt Nahrungsmittel erneut als Waffe in dem Krieg, den es begonnen hat, ein", sagte US-Außenminister Antony Blinken. Auch Österreichs Außenamt verurteilte die russische Entscheidung.

Frage: Wie geht es nun weiter?

Antwort: Die Vereinten Nationen äußerten Hoffnung auf ein Fortbestehen des Deals. "Wir stehen mit den russischen Behörden in dieser Sache in Kontakt", sagte ein UN-Sprecher am Wochenende in New York. Der türkische Verteidigungsminister führte noch am Sonntagabend Gespräche dazu mit seinen ukrainischen und russischen Amtskollegen. Am Montag wird die Angelegenheit im UN-Sicherheitsrat thematisiert, Russland hat eine Sitzung im Gremium beantragt. (Noura Maan, 30.10.2022)