Luiz Inácio Lula da Silva war bereits von 2003 bis 2010 brasilianischer Präsident.

Foto: APA/AFP/CARL DE SOUZA

"Es gibt keine zwei Brasilien, nur ein Volk", sagte Lula bei seiner Siegesrede.

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Brasília – Nach einem erbittert geführten Wahlkampf hat der linke Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die Präsidentenwahl in Brasilien knapp gewonnen. Der frühere Staatschef kam in der Stichwahl auf 50,90 Prozent der Stimmen. Der rechte Amtsinhaber Jair Bolsonaro erhielt 49,10 Prozent.

Nun will Lula ein extrem gespaltenes Brasilien versöhnen. "Ich werde für 215 Millionen Brasilianer regieren", sagte er in seiner ersten Rede nach der Wahl in São Paulo. "Es gibt keine zwei Brasilien, nur ein Volk." Es sei der Moment gekommen, den Frieden wieder herzustellen.

Brasilien vereinen

Der frühere Gewerkschafter Lula hatte das mit mehr als 210 Millionen Einwohnern größte Land in Lateinamerika bereits von Anfang 2003 bis Ende 2010 regiert. Er ist der erste demokratisch gewählte Präsident Brasiliens, der in eine dritte Amtszeit geht. Außer dem Staatschef wurden am Sonntag auch Gouverneure in einem Dutzend Bundesstaaten gewählt.

Im Video sehen Sie, wie sich Lula in São Paulo an seine Unterstützerinnen und Unterstützer wendet. Er spricht von einem Sieg "für all die Männer und Frauen, die Demokratie lieben und Freiheit fordern, die ein faireres und gerechteres Land wollen."
DER STANDARD

Auf Twitter veröffentlichte Lula am Sonntag ein Bild der brasilianischen Flagge mit seiner Hand. Darüber stand "Demokratie". Tausende Anhänger des Kandidaten der Arbeiterpartei (PT) feierten Lulas Sieg auf der Prachtstraße Avenida Paulista in der Millionenmetropole São Paulo.

Bolsonaro schweigt

Bolsonaro äußerte sich auch zwei Stunden nach Lulas Wahlsieg noch nicht. Aber Verbündete des Amtsinhabers erkannten Lulas Wahlsieg an. Es war befürchtet worden, dass es vor allem nach einem knappen Wahlausgang zu Gewalt kommen könnte. Bolsonaro hatte mehrfach Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht anzuerkennen. In einem Gespräch mit dem Chef des Höchstgerichts, Alexandre de Moraes, der ihm das Ergebnis mitteilte, soll er nach dessen Aussage aber "mit extremer Höflichkeit" reagiert haben.

Die Präsidentenwahl hat die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas extrem gespalten. "Ich bin zuversichtlich, dass wir einen Ausweg finden werden, damit dieses Land wieder demokratisch und harmonisch leben kann", sagte Lula in seiner Rede. "Wir können sogar den Frieden zwischen denen, deren Meinungen auseinandergehen, wiederherstellen."

Erbitterter Wahlkampf

Der ohnehin erbittert geführte Wahlkampf war im Endspurt immer schmutziger geworden. Die Brasilianer wurden vor allem in sozialen Medien und Whatsapp-Gruppen von einer Flut von Falschinformationen überschwemmt. Die Fernsehdebatten, in denen Lula und Bolsonaro sich gegenseitig mit Vorwürfen überzogen, wirkten dagegen geradezu gesittet.

Lula-Anghängerinnen und Anhänger feierten den Sieg ihres Kandidaten.
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Viele Anhänger des 77-Jährigen verbinden Lula mit den goldenen Zeiten Brasiliens, als die Wirtschaft aufgrund der hohen Rohstoffpreise boomte und die Regierung mithilfe von Sozialprogrammen Millionen Menschen aus der bittersten Armut holte. Für seine Gegner hingegen ist Lula verantwortlich für Korruption und Freunderlwirtschaft.

2018 war Lula selbst wegen Korruption und Geldwäsche zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden und verbrachte 580 Tage im Gefängnis. Im vergangenen Jahr hob ein Richter am Obersten Gerichtshof das Urteil aus formalen Gründen auf. Lula erhielt seine politischen Rechte zurück und kehrte bald auf die politische Bühne zurück.

Jair Bolsonaro äußerte sich zunächst nicht zu seiner Niederlage. Anhängerinnen und Anhänger zeigten aber sich bestürzt.
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Die Unterstützer von Bolsonaro sehen ihren Staatschef als Verteidiger traditioneller Familienwerte und wirtschaftlicher Freiheit und als Bollwerk gegen den angeblich drohenden Kommunismus. Allerdings stieß er mit seinen zum Teil vulgären Ausfällen gegen Frauen, Homosexuelle und Indigene auch viele Menschen vor den Kopf. Durch seine Blockade beim Klimaschutz, seine eigenwillige Corona-Politik und seine Angriffe auf demokratische Institutionen wie den Obersten Gerichtshof isolierte er Brasilien auf der Weltbühne immer mehr. "Brasilien ist zurück", sagte Lula. Es sei zu groß, um zum Paria der Welt herabgestuft zu werden.

Klares Signal aus den USA

Am Wahlsonntag hatte es kurz Aufregung über die Austragung gegeben. Anhänger Lulas hatten festgestellt, dass die für Straßensicherheit zuständige Polizei vor allem in jenen Gebieten im Nordosten des Landes Schwerpunktkontrollen durchführte, die als Hochburgen des linken Kandidaten galten. Zuvor hatte der Chef der Polizeiorganisation Silvinei Vasques auf Facebook zudem eine Wahlempfehlung für Bolsonaro gepostet, die er erst später wieder entfernte. Die Wahlkommission erwog vorübergehend, die Öffnungszeiten der Wahllokale zu verlängern, stellte dann aber fest, dass die Abstimmenden zwar verspätet angekommen seien, von ihrem Wahlrecht aber trotzdem Gebrauch machen konnten.

US-Präsident Joe Biden hat Lula bereits zum Sieg gratuliert. Biden betonte dabei in der Nacht zum Montag ausdrücklich, dass die Abstimmung "frei, fair und glaubwürdig" gewesen sei. US-Außenminister Anthony Blinken erklärte, die Wählerinnen und Wähler hätten "ihre Demokratie gestärkt".

Die Wahl in Brasilien hat international eine wichtige Bedeutung. Als riesiger Kohlenstoffspeicher spielt das Amazonasgebiet im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel eine wichtige Rolle. Zudem ist Brasilien mit seinen enormen natürlichen Ressourcen, dem hohen Anteil an grüner Energie und der großen Agrarwirtschaft ein potenziell wichtiger Handelspartner. (APA, red, 31.10.2022)