Viele Studierende hoffen auf wieder grundsätzlich offene Hochschulen – im Bild das Audimax der Uni Wien.

Foto: Universität Wien / Franz Pfluegl

Das Wintersemester an den Universitäten läuft seit vier Wochen. Die Corona-Herbstwelle ist gerade im Abflauen. Diese – in der Pandemie immer auch prekäre – Phase der Entspannung nutzen die Junos, die liberale Studierendenfraktion der Neos in der ÖH, um eine "Öffnungsgarantie für Hochschulen" zu fordern. Sie haben dazu eine Petition gestartet, die online unterzeichnet werden kann.

"So geht das nicht ewig weiter!"

Junos-Bundesvorsitzender Lukas Schobesberger begründet die Initiative so: "Studierende waren in den letzten sechs Semestern diejenigen, die immer als Erstes von Schließungen betroffen waren und gleichzeitig immer die Letzten, die wieder Präsenzbetrieb erleben durften. So geht das nicht ewig weiter!" Die Mehrheit der Studierenden wolle nicht wieder in die reine Online-Lehre entlassen werden – zumal mit den hohen Energiekosten schon der nächste Grund für geschlossene Uni-Tore lauern könnte: "Aufgrund der jetzigen Energiekrise kündigen einige Hochschulen bereits die Möglichkeit einer weiteren Schließung des Hochschulbetriebes in Präsenz an", warnen die Junos. Das Bildungsministerium müsse also "endlich für eine Öffnungsgarantie sorgen und entsprechend planen".

So einen Blankoscheck beurteilt Molekularbiologe Ulrich Elling skeptisch, wie er im STANDARD-Interview sagt: "Ich verstehe sehr gut, dass die Studierenden wieder in Präsenz studieren wollen, das darf, solange sich die Pathogenität des Virus nicht verändert, auch nicht zur Disposition stehen. Aber eine Garantie auf zukünftige Ereignisse kann es nie, schon gar nicht in einer Pandemie geben. Wer kann versichern, dass uns dieses Virus nicht aufs Neue überrascht?"

Die aktuelle Pandemielage beschreibt Elling, dessen Laborgruppe am Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) gemeinsam mit der Ages die repräsentative Sequenzierung von Sars-CoV-2 für Österreich durchführt, so: "Wir haben jetzt eine Phase des Verschnaufens. Die neuen Wellen wärmen sich gerade auf." Die Sorge sei, ob Virusvarianten dabei sein werden, die den Immunschutz umgehen und womöglich zu schwereren Krankheitsverläufen führen.

Wo viele Menschen sind, wird es Ansteckungen geben

Was sollen die Hochschulen also am besten tun? Was würde eine Öffnungsgarantie bedeuten? Was wäre der Preis für diesen Schritt? Nachfrage bei Komplexitätsforscherin Jana Lasser, die an der TU Graz und am Complexity Science Hub Vienna forscht und in einer Studie die Übertragungsdynamik des Coronavirus am Beispiel der TU Graz anhand von 10.755 Studierenden und 974 Lehrende analysiert hat. Dabei zeigte sich, dass bei der darin analysierten Omikron-Variante BA.1 bei einer Impfquote von etwa 80 Prozent der Studierenden eine Reduzierung der Hörsaalbelegung auf 25 Prozent und eine allgemeine Maskenpflicht "nicht ausreichen, um große Ausbrüche zu verhindern". Aus den Modellen ist ersichtlich, erklärt Lasser, "dass die Kontrolle der Ausbreitung des Virus im universitären Umfeld mit den verfügbaren Impfstoffen in Kombination mit nichtpharmazeutischen Maßnahmen wie Maskenpflicht und Kontaktreduktion nicht durchführbar ist, wenn die Anwesenheit von Studierenden und Lehrkräften auf dem Campus erforderlich ist".

Zurück zum alten "Normal"

Das heißt, letztlich geht es um eine Abwägung zwischen dem Risiko von Covid-Ausbrüchen und den Vorteilen von Präsenzunterricht. Sollen wir wieder zurück zum alten "Normal" an der Uni, oder haben wir dann sofort Cluster? "Zweimal ja", antwortet Lasser: "Ausgehend von der hohen Inzidenz in der Bevölkerung und der Tatsache, dass die aktuellen Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 den Impfschutz zu einem noch großen Teil umgehen, wird es in allen Veranstaltungen mit vielen Menschen, die in Innenräumen stattfinden – ob Uni, Theater oder Restaurantbesuch – zur Ausbreitung des Virus kommen."

Aber man wisse ja auch, dass schwere Krankheitsverläufe trotz hoher Inzidenz selten seien. Darum sei, sagt Komplexitätsexpertin Lasser, "eine hohe Anzahl von Ansteckungen allein zwar nicht wünschenswert, aber nicht unbedingt ein Argument, um wieder stark einschränkende Maßnahmen zu verhängen".

Ähnlich argumentiert Molekularbiologe Elling: "Studierende hatten und haben wie Kinder tatsächlich ein insignifikantes Risiko, aber sie haben eine wahnsinnige Bürde getragen in der Pandemie. Es stellt sich also die Frage, ob sie nicht durch die pandemiebedingten Bildungsverluste mehr Schaden erlitten haben."

Wohl oder übel mit dem Virus leben lernen

Jana Lassers Resümee lautet: "Da es uns als Gesellschaft nicht gelungen ist, das Coronavirus nachhaltig einzudämmen, werden wir uns wohl oder übel damit anfreunden müssen, dass Corona-Ausbrüche – insbesondere im Herbst und Winter – zum neuen 'Normal' gehören."

Um die Hochschulen möglichst Corona-sicher zu machen, nennt sie zuerst FFP2-Masken: "Sie schränken sehr wenig ein, bieten aber guten Schutz vor Ansteckung und Übertragung. Gerade im Uni-Betrieb halte ich es für sinnvoll, die Maskenpflicht zur Regel zu machen, insbesondere um vulnerablen Personen die Teilhabe an Bildung zu ermöglichen. Insgesamt sollten sich Überlegungen zu Maßnahmen an den Universitäten nicht mehr nur um die reine Vermeidung von Ansteckungen drehen, sondern Teilhabe an Bildung, von Maßnahmen verursachte Einschränkungen und Schutz der Gesundheit von Studierenden und Lehrenden gegeneinander abwägen", fordert die Expertin. "Universitäre Bildung ist mehr als das reine Zuhören bei Vorlesungen: Sie lebt von Interaktion zwischen Studierenden außerhalb der Lehrveranstaltungen, und vulnerable Gruppen davon systematisch auszuschließen halte ich weder für rechtlich noch für ethisch verantwortbar."

Masken für klassische "Flaschenhals"-Szenarios

Elling sieht in Masken heute vor allem ein individuelles Schutzinstrument, "weil sie zwar die Spitze einer Welle etwas reduzieren – was relevant ist, wenn eine Überlastung der Spitäler droht, aber die Gesamtzahl an Infizierten ändert man mit Masken eigentlich nicht. Mit Masken können wir keine Wellen mehr brechen, sondern nur lenken, wo in der Bevölkerung Infektionen stattfinden." Also in klassischen "Flaschenhals"-Szenarios, wo alle durchmüssen, etwa im öffentlichen Verkehr oder in Spitälern, "weil es dort unsteuerbare Infektionen bezüglich Vulnerabilität geben könnte". Darüber hinaus jedoch sei der Schutzeffekt von Masken vor allem ein individueller: "Man kann sich mit ihr ducken und die Welle über sich drüberlaufen lassen. Individuell kann ich abtauchen, als ganze Gesellschaft nicht." (Lisa Nimmervoll, 31.10.2022)