Der Sturm aufs Kapitol ist das vielleicht prominenteste Beispiel einer antidemokratischen Protestaktion in den USA.
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Die Spaltung der Gesellschaft ist eines der großen politischen Themen unserer Zeit. In den letzten Jahren und Monaten gab es kaum eine wichtige Wahl, die nicht "gesellschaftliche Gräben" vertiefte und die Gewinnerpartei mit der Aufgabe zurückließ, das Land wieder zu "einen", mit der Betonung, für alle Landsleute da zu sein. Zuletzt war es die Stichwahl zur Präsidentschaft in Brasilien, die all diese Merkmale aufwies. Ähnliches galt aber auch für die Wahlen in den USA oder zuletzt in Italien oder Schweden.

Der Begriff der "Spaltung" ist also selbst zum Spielball verschiedener politischer Lager geworden. Auch die Szene der Corona-Maßnahmen-Skeptiker hat den Terminus für sich entdeckt. In diesem Fall seien es die Corona-Maßnahmen der Regierung, die als spaltend kritisiert werden – auch wenn es nur ein kleiner, aber lautstarker Teil der Bevölkerung war, der offen gegen die Maßnahmen protestierte.

Unbestritten ist die von vielen geteilte Sorge, dass eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft in unversöhnlich verfeindete politische Lager Demokratiefeindlichkeit befördert. In Brasilien wurde bereits vor der Wahl gemutmaßt, ob das Lager von Bolsonaro eine Niederlage überhaupt anerkennen würde. Am Tag danach stand diese Anerkennung nach wie vor aus.

In den USA, die von dem Phänomen der Demokratiefeindlichkeit besonders betroffen sind und wo nun die Midterms bevorstehen, gibt es verschiedene Initiativen zur Überwindung politischer Gräben. Eine Forschungsgruppe der Universitäten Stanford, Columbia und Philadelphia, des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und anderer Institute hat nun in einer Studie mit über 8.000 Probandinnen und Probanden untersucht, wie effektiv diese "versöhnenden" Maßnahmen ihrerseits gegen Demokratiefeindlichkeit wirken. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal "Nature Human Behaviour" veröffentlicht.

Eine Teilnehmerin einer Reichsbürger-Demonstration im November 2020 trägt eine Preußen-Flagge. Ziel ist die Abschaffung der Demokratie und die Wiedereinführung der Monarchie.
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Drei verschiedene Maßnahmen gegen Spaltung

Die Forschenden konzentrierten sich auf drei Maßnahmen zur Verständigung verfeindeter politischer Lager in den USA: Erstens untersuchten sie die Auswirkungen der Korrektur von Falschinformationen über Personen des anderen politischen Lagers, zweitens die Folgen der Förderung von Freundschaften mit politisch Andersdenkenden und drittens Möglichkeiten, den freundlichen Austausch von Führungspersonen der konkurrierenden politischen Lager zu beobachten.

Ob es einen Effekt in der Verminderung der Abneigung gegen politisch Andersdenkende gab, wurde mit verschiedenen experimentellen Spielen untersucht. Eines davon nennt sich "Joy of Destruction", zu deutsch Freude an Zerstörung. Dabei können Probandinnen und Probanden Geld ausgeben, um zu erreichen, dass anderen Geld weggenommen wird. Die Neigung, selbst Geld zu investieren, um anderen einen Nachteil zu verschaffen, gilt als Maß für Antipathie. Es zeigt sich, dass die Freude am Nachteil anderer im Sinn dieses Spiels mit politischer Polarisierung verknüpft ist.

Die getesteten Maßnahmen zur Verminderung der politischen Spaltung erwiesen sich in diesen Tests als erfolgreich. Es gelang dem Team, die Ergebnisse bisheriger Studien zur Effektivität der Überwindung politischer Spaltung zu reproduzieren. Man ging sogar weiter als bisherige Arbeiten, indem man zeigte, dass die Feindlichkeit gegenüber politisch Andersdenkenden sogar in Fällen abgenommen hatte, wo es um konkrete finanzielle Interessen der Probandinnen und Probanden ging.

Schließlich bewerteten die Forschenden die demokratische Gesinnung der Probandinnen und Probanden. Dazu bewerteten sie deren Zustimmung zu ganz konkreten politischen Fragen, etwa: "Wie wahrscheinlich wäre es, dass Sie jemanden wählen, wenn Sie erfahren, dass er oder sie einen Vorschlag unterstützt, die Anzahl der Wahllokale in Gebieten zu reduzieren, die eine bestimmte Partei unterstützen?" Es zeigte sich, dass die Zustimmung zu solchen antidemokratischen Maßnahmen von den Initiativen zur Überwindung der Spaltung unberührt war.

Demokratiefeindlichkeit direkt behandeln

Bislang hätten sich viele der Maßnahmen gegen Demokratiefeindlichkeit auf die Feindschaft zwischen den politischen Lagern konzentriert, schreiben die Forschenden in der Studie. Das zu tun sei plausibel gewesen, betonen sie. Doch die Untersuchung zeigt nun, dass der Schluss voreilig war. Die Fachleute empfehlen deshalb, Demokratiefeindlichkeit künftig an der Wurzel zu packen und Möglichkeiten zu finden, wie sie direkt behandelt werden kann. Man betont allerdings, dass die Arbeit nicht als generelle Kritik an verbindenden Maßnahmen verstanden werden sollte. Denn auch diese würden positive Effekte zeigen – nur eben keine Wirkung gegen Demokratiefeindlichkeit. (Reinhard Kleindl, 31.10.2022)