Freude über den Sieg Lulas in Brasilien – zumindest bei einer knappen Mehrheit.

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Ein Durchmarsch war erwartet worden, geworden ist es ein Thriller. Viel weniger deutlich als angenommen hat der linke Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am Sonntag die brasilianische Präsidentenwahl gewonnen. Das knappe Ergebnis wird das Regieren nicht erleichtern. Aber: Ein Sieg ist dennoch ein Sieg. Lula wird das Land die kommenden vier Jahre regieren. Sein rechtsextremer Vorgänger Jair Bolsonaro muss sich mit der Oppositionsrolle begnügen. Ob er das selbst schon so sieht, ist offen, geäußert hat er sich bisher nicht. Aussagen seiner Verbündeten lassen aber erkennen, dass der Appetit für eine Fake-News-Kampagne zur angeblich "gefälschten Wahl" auch in seinem Lager begrenzt wäre.

Das Resultat ist insofern erfreulich, als Lulas Regierung zuzutrauen ist, die gröbsten Unerträglichkeiten der Bolsonaro-Zeit wieder rückgängig zu machen: dass sie also von der staatlichen Förderung der Abholzung des Amazonas-Regenwalds abgeht, dass sie das Land nicht mehr als Verbündeten für Rechtsextreme und -populisten aller Länder positioniert und dass sie die Demokratie im Inneren zu schützen versucht, statt sie schrittweise abzubauen. Dass Lula dies, wenn er sein Amt am 1. Jänner antritt, glaubhaft vertreten wird, ist mit Blick auf seine erste Regierungszeit von 2003 bis Ende 2010 realistisch.

Keine Kritik

Diese legt allerdings auch eine Reihe von Problemen nahe. Lulas Verurteilung wegen Korruption mag nicht nur – wie das Höchstgericht festgestellt hat – aus formellen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen überzogen gewesen sein. Und die Ermittlungen gegen seine Partei, mit denen Bundesrichter Sergio Moro und die Mehrheit im Parlament letztlich den Weg zu Bolsonaros Wahl ebneten, waren gewiss auch politischer Natur. Aber dass Lula und seine Verbündeten Korruption nicht nur geduldet haben, legt die Sachlage dennoch nahe. Dass solche Sitten nun nicht einreißen, muss sichergestellt werden.

Auch auf dem internationalen Parkett sollte der liberale Westen sich von Lula nicht zu viel erwarten. In seiner ersten Amtszeit war der Präsident im Brics-Bündnis (damals) aufstrebender Volkswirtschaften sehr aktiv – einem Verbund, in dem neben Südafrika und Indien auch China und Russland die tragenden Säulen sind. Dabei hat er gewiss legitime Interessen Brasiliens vertreten, das als gewichtigstes Land Lateinamerikas mehr internationales Mitspracherecht verdient. Klare Haltung zu seinen Gesprächspartnern ließ er aber vermissen. Auch zum Ukraine-Krieg hat Lula sich bisher eher diffus geäußert und Kiew, EU, Nato, USA und Russland gleichermaßen Schuld am Krieg gegeben. Dass sich an diesen Ansichten künftig etwas ändert, ist nicht zu erwarten.

Lula wird für sein Land ebenso wie für seine internationalen Partner ein bedeutend besserer Präsident sein als sein Vorgänger. Probleme bleiben aber bestehen: im Inneren wie auch nach außen. (Manuel Escher, 31.10.2022)