An einem Oktobermorgen um 10.13 Uhr atmet Abdiwali zum letzten Mal ein. Mit dem Druck ihrer Finger sucht Fatuma Mohammed, dem Herzen des zweijährigen Jungen noch einmal auf die Sprünge zu helfen, vergebens. "Es schlägt nicht mehr", murmelt die Krankenschwester schließlich geschlagen. "Der Tod eines Kindes, der so einfach hätte verhindert werden können, ist kaum zu ertragen", klagt Ali Shueb, der Chef des Bezirkskrankenhauses im südwestsomalischen Städtchen Dollow, gegenüber einem Reporter der BBC.

Ähnliche Dramen spielen sich in Somalia derzeit andauernd ab. Durchschnittlich wird hier jede Minute ein unterernährtes Kind in eine von ausländischen Hilfswerken eingerichtete Notstation gebracht, tausende starben in dem von einer beispiellosen Dürre heimgesuchten Land bereits den Hungertod. "Sie sind nicht Opfer ihres eigenen, sondern unseres Fehlverhaltens geworden", schimpft UN-Nothilfekoordinator Martin Griffith. "Und trotzdem bringen wir es nicht einmal fertig, ihnen die schon längst versprochenen Mittel zukommen zu lassen." Damit spielt der Brite auf den Grünen Klimafonds an, den die Industriestaaten als Verursacher des Klimawandels schon vor 13 Jahren eingerichtet hatten und mit jährlich 100 Milliarden Euro ausstatten wollten.

Unterernährung in Somalia. Ein Problem, das durch die Klimakatastrophe nur noch verschlimmert wird.
Foto: AP /Jerome Delay

Unter anderem sollten sie den Folgen der Klimaerwärmung begegnen – wozu zweifellos die derzeitige somalische Jahrhundertdürre gehört. In Wahrheit fließt jedoch höchstens ein Viertel der versprochenen Mittel, will das britische Hilfswerk Oxfam herausgefunden haben: Und selbst davon lande nur ein Fünftel in den Ländern des Globalen Südens. Derweil leidet die Hungerhilfe im Somalia unter chronischer Finanznot: "Wo sind denn die Gelder aus dem Klimafonds?", will Griffith wissen.

Multiple Klimakrisen

Die Frage gilt den Staatschefs, die sich ab dem kommenden Dienstag in der ägyptischen Wüsten- und Küstenstadt Scharm el-Scheich zur 27. Conference of the Parties (COP) der Klimakonvention der UN versammeln: "Afrikas COP" wird das Treffen auch genannt. Zwar handelt es sich bereits um den fünften Klimagipfel auf afrikanischem Boden. Doch erstmals soll der Kontinent auch inhaltlich im Mittelpunkt stehen. Als jener Erdteil, auf dem mehr als 16 Prozent der Menschen leben, der jedoch für weniger als drei Prozent der Klimagase verantwortlich gemacht wird; und in dem sich die Erwärmung der Erdatmosphäre so katastrophal wie kaum irgendwo anders auswirkt.

Nigeria ist überschwemmt, Somalia verhungert, die südafrikanische Provinz KwaZulu-Natal wird von "Regenbomben" heimgesucht, und über Madagaskar fegt ein Zyklon nach dem anderen hinweg. Sieben der zehn klimaempfindlichsten Regionen der Welt liegen zwischen Kairo und dem Kap der Guten Hoffnung.

Auch im Irak trocknen reihenweise Flüsse aus.

"Afrikas COP" findet zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt statt. Erst trieb die Covid-Pandemie mehr als 50 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner zusätzlich in die Armut, dann konzentrierten sich Budgets und Aufmerksamkeit der Industrienationen auf den Ukraine-Krieg. Keiner der 27 Klimagipfel fand unter ähnlich angespannten globalen Bedingungen statt: Krieg in Europa, Energiekrise, Weltrezession. Für den Globalen Süden droht "Afrikas COP" zum "cop-out", zur Stunde der Drückeberger, zu werden.

Umsetzung gefordert

Dabei war die Konferenz im Vorfeld auch zum "Gipfel der Implementierungen" erklärt worden: Längst gemachte Versprechungen sollten in Scharm el-Scheich endlich umgesetzt werden. Nicht nur, dass der nur zu einem Viertel gefüllte Grüne Klimafonds endlich ganz aufgefüllt wird – auch die Übernahme der auf jährlich bis zu 40 Milliarden Euro veranschlagten Kosten für die Anpassung afrikanischer Staaten an die Klimaerwärmung ("adaptation finance") sowie die Kosten für die Reduzierung der Klimagase ("mitigation finance") sind noch immer zu klären.

Selbst wenn das unter der Leitung des ägyptischen Außenministers Sameh Shoukry in den nächsten 14 Tagen geregelt werden sollte: Das hochumstrittene Thema von "loss and damages" bleibt auch dann noch ungeklärt. Dabei handelt es sich um die Frage, ob Entwicklungsländern nicht die Schäden und Verluste erstattet werden müssen, die ihnen durch den Klimawandel und die Energiewende entstehen.

Eine verdurstete Kuh in Äthiopien.
Foto: Michael Tewelde/World Food Programme/Handout via REUTERS

Alles in allem sind nach den Berechnungen des Finanzkomitees der UN-Klimakonvention in den nächsten acht Jahren fast sechs Billionen Euro nötig – rund 750 Milliarden Euro jährlich. Unter "loss and damages" fallen auch die Verluste afrikanischer Staaten, sollten sie tatsächlich auf die Förderung bereits bekannter Vorkommen fossiler Brennstoffe verzichten, wie es etwa der Weltenergierat fordert. Denn anders sei das vor sieben Jahren gesetzte Ziel, die Klimaerwärmung auf höchstens 1,5 Grad zu begrenzen, beim besten Willen nicht zu erreichen, hieß es in Paris. Schon heute haben sich die Durchschnittstemperaturen gegenüber der vorindustriellen Zeit bereits um 1,1 Grad erhöht.

Mineralölfunde

Doch aus Afrika wurden in den vergangenen Jahren riesige Erdöl- und Erdgasfunde gemeldet – als ob sich die Mineralölkonzerne ganz dem Kontinent gewidmet hätten, dem man die Ausbeutung seiner Bodenschätze nicht verweigern kann. Derzeit wird die Erschließung von Erdgasfeldern vorangetrieben, die allein 400 Milliarden Euro Wert sein sollen. Derartige Reichtümer im Boden zu lassen halten Afrikas Erdölminister für eine Zumutung. "Wenn China seine Bodenschätze und die USA ihre ausbeuten, hat keiner etwas auszusetzen", schimpfte Äquatorialguineas Ölminister Obiang Lima Mitte Oktober auf Afrikas Energiewoche in Kapstadt: "Nur wenn Afrika dasselbe tut, soll es plötzlich falsch sein."

Anti-Fossilenergie-Proteste in Südafrika.
Foto: REUTERS/Esa Alexander

"Diese Ressourcen hat uns Gott gegeben", erklärte sein ghanaischer Amtskollege Matthew Opoku Prempeh. Und der Chef der Afrikanischen Energiekammer, NJ Ayuk, belebte unter tosendem Beifall der Gäste den Wahlkampfschlager der US-Republikaner wieder: "Drill, baby, drill!" Europas kriegsbedingte Energiekrise spielt Afrikas fossilen Brennstoffenthusiasten noch in die Hände. Braucht Europa Erdgas, kann Afrika seine Vorkommen nicht schnell genug anzapfen. Doch wenn es um den Klimawandel geht, soll der Kontinent für das Wohl der Welt nobel verzichten.

Die Strategien für die Energiewende würden ausnahmslos im Globalen Norden ausgeheckt, ärgert sich Südafrikas Energieminister Gwede Mantashe: "Wir Afrikaner sind bloß die Versuchskaninchen." Eher selten sind auf dem Kontinent Stimmen wie die von Mark New zu hören, dem Direktor der Afrikanischen Klima- und Entwicklungsinitiative an der Universität von Kapstadt. Das Pochen afrikanischer Regierungen auf die Ausbeutung ihrer Bodenschätze sei zwar politisch und moralisch verständlich – doch klimatologisch eine Katastrophe. Das Verbrennen der fossilen Brennstoffe Afrikas werde die Klimaerwärmung nämlich endgültig über zwei Grad treiben – unter den Folgen hätte erneut vor allem die Bevölkerung des Kontinents zu leiden: noch katastrophalere Überschwemmungen, Regenbomben und Dürren. "Es wäre", meint Klimaexperte New, "wie wenn die Gänse für Weihnachten stimmten." (Johannes Dieterich, 31.10.2022)