Oft erfährt man das Interessanteste bei solchen Veranstaltungen in den Pausen dazwischen, beim Kaffeeplausch. Stimmungsbilder, sozusagen die menschliche Weichzeichnung hinter den Strategien und dem harten wirtschaftlichen Geschehen. Denn neuerdings fordert und fördert der Konzern von seinen Mitarbeiterinnen jedweden Geschlechts den Einsatz von Kreativpotenzial an allen Fronten. Folge: Lust und Last. Wie immer hat die Medaille zwei Seiten.

Aus alten Fischernetzen wird Granulat und daraus dann Autoteile. Die Methode ist inzwischen bei etlichen Autoherstellern gebräuchlich.
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Zunächst einmal würden die Gründerväter von BMW sich im Grabe umdrehen: Bei der Techniktagung über "Nachhaltigkeit durch Innovation" im FIZ (Forschungs- und Innovationszentrum des urdeutschen Konzerns in München), die Anlass der vorliegenden Betrachtungen ist, lief alles auf Englisch, ihre Muttersprache haben die Bayerischen offenbar endgültig zu den Akten gelegt, eine Schande.

Sustainability through innovation also. Sollen wir weitermachen? Auf Deutsch? Gerne, der Inhalte wegen, denn BMW feuert, halb Getriebener, halb Treiber, inzwischen Öko aus allen Rohren. Im Visier: Nachhaltigkeit, wobei man oft vorhalten muss beim Schießen, aber das ist vielleicht ein anderes Thema.

Die einzelnen Stationen der "Workshops" vorweg, dann manches davon im Einzelnen. 1. ) Zirkularität und Materialien: Vorrang für Sekundärrohstoffe und Naturfasern, ab 2023 erstmals vegane Fahrzeuginnenräume bei BMW und Mini. 2.) Efficient Dynamics: kundenerlebbare Effizienz in einer neuen Dimension. 3.) Innovative Batteriezellen im Rundformat für die "Neue Klasse" ab 2025. 4.) Digitale Tools für mehr Nachhaltigkeit in Design, Entwicklung und Produktion: Catena-X und Generative Design – sehr spannendes Thema, besprechen wir demnächst in einem eigenen Beitrag. Kapitel fünf, urbane Mobilität: Konzepte für nachhaltige Mobilitätinder Stadt, hauptsächlich einspuriges Elektrogerät weiß-blauer Provenienz – nett, aber das schaffen wir leider zeitlich nicht mehr.

Also. Unter anderem geht es um Dekarbonisierung in breitestem Maßstab, bis 2030 will der Konzern, von Mini bis Rolls-Royce, 40 Prozent CO2 über den Lebenszyklus einsparen, mit entsprechend hohen Beiträgen aus Lieferketten, Produktion und beim Fahrzeug im Gebrauch.

"Group red, follow me", ruft der Bayer mit dem Schild nach dem Einleitungsvortrag, und wir, die Medienleute mit dem roten Punkt auf dem Veranstaltungskärtchen (aus Karton, nicht vom Polymerbaum, wie früher üblich und zunächst vermutet), folgen ihm. Zu einem speckigen Lenkrad. "Kommt nächstes Jahr beim iX auf den Markt", erläutert der dazu abgestellte Fachmann. Speckig würde er bestimmt als Majestätsbeleidigung empfinden, vielleicht macht das ja auch nur die Beleuchtung, der Ansatz dahinter ist jedenfalls ein löblicher. Auf der Suche nach vollwertigem Lederersatz bei Optik, Haptik und Haltbarkeit sei man bei einem italienischen Zulieferer fündig geworden.

So sieht das Granulat aus, das wiederum die Ausgangsbasis für diverse Einsatzbereiche im Automobil bildet.
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Von vegan bis 3D

Überhaupt geht es in dieser Abteilung um biobasierte Substitute – Holz, Kork, Bambus, Flachs, Nanozellulose etc. –, schon nächstes Jahr gibt es Minis und BMWs mit "veganen, lederfreien" Interieur-Umfängen, die "85 Prozent der CO2-Emissionen einsparen", und dann geht’s zu: 3D-Druck auf Textil. Die Designer sind ganz narrisch darauf. Zur Veranschaulichung der Möglichkeiten haben sie bewusst ein wenig übertrieben, sieht aus wie der Noppenmassagebelag von Gesundheitsschlapfen, wie sie der Fama nach eine ehemalige österreichische Politikerin rasenfarbener politischer Couleur gerne getragen hat. Die Noppen sind nur bunter hier. Was man damit vorhabe, wollen wir wissen. Zum Beispiel rutschfeste Sitze mit 3D-Strukturen. Rutschfest war Alcantara auch, das allerdings ist reine Kunstfaser, folglich heute pfui.

Weiteres Thema, anhand eines Sitzes von Mini demonstriert: Sitzbezüge aus einem Stück, im 3DStrickverfahren gewoben, ohne Verschnitt, da fällt kein textiler Abfall mehr an. Genial. Oder: BMW-"Leder"-Sitz aus Mirum, von der US Biotech-Firma Natural Fiber Welding. Kommt Naturkautschuk drin vor und auch sonst nur natürliche Materialien. "Teuer?" – "Derzeit schon noch, aber durch Skalierung könnte es rasch billiger werden."

Das größte CO2-Einsparungspotenzial, erfährt "Group red" nicht ganz unerwartet, bestehe bei Glas und Metall, bei Alu etwa oder bei Stahl. Da peilt man den Ersatz von Kohle durch grün erzeugten Wasserstoff an (ja eh ...), zeitliche Perspektive: 2030. Aber schon heute, im neuen X1, bestehen zum Beispiel die B-Säulen zu 75 Prozent aus rezykliertem Stahl. Eine Hauptschwierigkeit, die es zu überwinden gibt, ist die Sortenreinheit des wiederverwerteten Materials. Beim Klopapier ist das wurscht, beim crashstrukturell wichtigen Karosserieteil vielleicht weniger, obwohl man dann schlimmstenfalls auch am A... wäre.

Bei Aluminium lautet der Denkansatz: gebraucht – und eingeschmolzen mit Ökostrom. Auch dazu hat man Demonstrationsobjekte aufgefahren, zum Vergleich eine heute gebräuchliche Mini-Alufelge und eine nächstes Jahr in den Handel kommende, zu 75 Prozent aus wiederverwertetem Alu.

Damit wechseln wir rüber zu den Fischernetzen, Fraktion "Hurra, ich fahre mit Müll". Man macht sich ja keine Vorstellung, wie viel von dem Kunststoffzeugs in den Fischereihäfen vergammelt oder auf dem Meeresgrund. BMW (respektive die entsprechenden Lieferanten) geht aktiv dort hin, bietet vielleicht Brezen, vegane Weißwurst und Weißbier zum Tausch an und macht über mehrere Zwischenstufen Autoteile oder Textilfaser daraus. Erfahrungen müsse man noch sammeln mit Stoßfestigkeit und Haltbarkeit (das Nämliche gilt für Kompositmaterialien aus Holz, Bambus, Flachs etc.), zur Demonstration zeigt die Spezialistin einen ganzen Stoßfänger, "darauf sind wir besonders stolz".

In Generation 5 kommen bei BMW Batteriezellen im Zylinderformat – mit 46 mm Durchmesser – zum Einsatz. Den macht der i7, die Elektro-Version des neuen 7ers.
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Ewige Wiederkehr

Man sieht, alles hochkomplexe Prozesse, aber enorm viel Kreativpotenzial, und glasklar ist: Dem Kreislaufansatz, der Wiederverwertung von Kunststoffen, räumt BMW einen hohen Stellenwert ein, angesichts der Materialumfänge nachvollziehbar, als Rohstoffquelle gewinnt Müll rasant an Bedeutung. Zahlenmaterial hierzu: Zu 30 Prozent bestehen die Autos des nicht mehr deutschsprachigen deutschen Herstellers aus wiederverwertetem Material, 2030 soll der Anteil bereits 50 Prozent betragen. Nietzsches berühmte "ewige Wiederkehr des Gleichen", hier nimmt sie hyperprofan ökologisch korrekte Gestalt an.

Ein zweites Leben für Kunststoffe als erster Schritt, aus alten Autoteilen etwa. Wie ein drittes, viertes, gar fünftes aussehen könnte, dafür fehle jetzt noch die Fantasie, Endstation sei stets die thermische Verwertung. Solange man Müll in unseren Breiten noch verbrennen darf.

Nein , das ist kein kubistisches Kunstwerk von Georges Braque, sondern ein Stillleben mit veganen Werkstoffen, die ab 2023 in Innenräumen von BMW und Mini verwendet werden.
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Erfrischend dynamisch das Kapitel Efficient Dynamics, Binsenweisheit vorweg: "Je effizienter, desto besser im Sinne der Nachhaltigkeit." Hauptstellgrößen seien hier Aerodynamik (32 Prozent), Antriebsstrang (25), Reifen (25), Klimaanlage (10), bei höherem Tempo wachse der aerodynamische Anteil rasch auf 60 Prozent. Durch ein Bündel an daraus abgeleiteten Maßnahmen werde die "Neue Klasse" ab 2025 – E-Autos auf Basis einer neuen Fahrzeugarchitektur, der Terminus reflektiert auf die legendären 1500er- bis 2000erBMWs der 1960er – um 25 Prozent effizienter als heutige Modelle, und damit ein Wort zu den Batterien.

Zulieferer reduzieren, Abhängigkeiten von den Chinesen steigern, habe ich als Kommentar in den Notizblock gekritzelt. Jedenfalls, für die in der neuen Neuen Klasse zum Einsatz kommende sechste Generation eines E-Antriebsstrangs reduzieren die Deutschen ihr Zellzulieferer von sechs auf zwei, Catl und EVE Energy. Der Rest sind Superlative: Reduktion des CO2-Fußabdrucks in der Zellproduktion um bis zu 60 Prozent. Geschlossener Kreislauf zur Wiederverwertung von Nickel, Lithium, Kobalt. Fürs Fahrzeug relevant: 20 Prozent höhere Energiedichte, 30 Prozent mehr Reichweite, 30 Prozent kürzere Ladezeiten.

Und weil das Batteriepack preislich mit 40 Prozent (davon entfallen auf Modul 20 Prozent, auf Zellen 80) der größte Brocken im E-Auto ist, ist die Kostenreduktion hier besonders sensationell: um die Hälfte billiger!

Ach ja, ein neues Zellformat gibt es auch, ein altes nämlich. Die Zylinderbatterie ist zurück. In drei Höhen, bei je 46 mm Durchmesser: 46, 95, 120 mm. Wir ziehen abschließend den Hut. Nein, den Zylinder. Wegen gar so viel Nachhaltigkeit. (Andreas Stockinger, 9.11.2022)