Als "Lügner" bezeichnete Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) seinen ehemaligen Parteifreund Thomas Schmid.

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Warm anziehen heißt es diese Woche für Thomas Schmid, aber auch für die ÖVP und die Justiz: In einer Sondersitzung des Nationalrats und vor allem im U-Ausschuss sind Untergriffe, hitzige Wortgefechte und ein Tsunami an irreführenden oder falschen Behauptungen zu erwarten. Debattiert werden jene Vorwürfe gegen hochrangige ÖVP-Politiker, die Schmid in seinen 15 Einvernahmen vor der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) getätigt hat – darunter Interventionsvorwürfe gegen Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Klubobmann August Wöginger.

Schon jetzt zeichnet sich ab, mit welchen Thesen Stimmung gemacht werden wird.

Spin: Schmid kann lügen, um seine eigene Haut zu retten

Natürlich muss Thomas Schmid andere Personen belasten, um den Kronzeugenstatus zu erhalten. Allerdings macht es sich die ÖVP zu einfach, wenn sie behauptet, dass Schmid dafür Dinge erfinden könne. Schmid drohen weitreichende Konsequenzen, sollte er gelogen haben. Der Kronzeugenstatus wäre futsch, er könnte wegen Verleumdung verurteilt werden, und seine Glaubwürdigkeit vor Gericht wäre dahin. Sein eigenes Geständnis könnte er zwar widerrufen, es würde dadurch aber nicht gegenstandslos. Schmid geht also ein hohes Risiko ein. Beraten wurde er hierzu von Anwalt Roland Kier, einer Koryphäe in puncto Strafrecht, der erst vor wenigen Monaten gemeinsam mit Norbert Wess (Anwalt von u. a. Sophie Karmasin oder Ex-Novomatic-Chef Harald Neumann) das "Handbuch Strafverteidigung" (2. Auflage) herausgegeben hat.

Dass ausgerechnet die Worte von Thomas Schmid im aufgezeichneten Telefonat mit Ex-Kanzler Sebastian Kurz als Beleg für dessen Unglaubwürdigkeit herangezogen wurden, ist durchaus ironisch: Schmid habe also immer gelogen, außer in diesem einen Fall.

Spin: Die WKStA nahm das Geständnis euphorisch an

Bei der Vorstellung von Kronzeugenschaft herrscht oft das Bild aus US-Serien vor, in denen ein wütender Staatsanwalt inszeniert wird, der unbedingt einen "Deal" mit dem Verdächtigen erreichen will. Das ist weit von der österreichischen Realität entfernt. Hierzulande muss der potenzielle Kronzeuge von sich aus an die WKStA herantreten. Eine Zusage bekommt er vor seinen Aussagen nicht, und auch danach wird sein Antrag nicht nur von der WKStA, sondern auch von Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, Justizministerium und Ministerin samt Weisungsrat geprüft.

Der WKStA ist bewusst, wie sehr die aktuelle Causa im Rampenlicht steht – und wie angreifbar Schmid als Kronzeuge wäre. Wie bei allen anderen Aussagen von Beschuldigten oder Zeugen muss die WKStA aber ohnehin möglichst viele objektivierbare Beweise finden; Schmids Geständnis also etwa mit Chats oder Dokumenten zu belegen versuchen. Salopp lässt sich sagen: Nur weil Schmid etwas behauptet, wird niemand verurteilt werden. Dafür ist auch die Glaubwürdigkeit des ehemaligen Öbag-Chefs zu angeschlagen, immerhin war der ja schon jahrelang Beschuldigter.

Spin: Die Justiz will den U-Ausschuss blockieren

ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger kündigte gleich nach Bekanntwerden von Schmids Einvernahmen bei der WKStA an, eine parlamentarische Anfrage an das Justizministerium zu stellen. Deren Inhalt: Hat die WKStA Schmid "heimlich" einvernommen und somit den U-Ausschuss geschnitten? Tatsächlich suchte das Parlament schon längst händeringend nach Schmid, als der in Graz vor den Ermittlern aussagte. Allerdings geht aus Aktenvermerken hervor, dass die Staatsanwälte Schmid und dessen Anwalt mehrfach ersuchten, Kontakt mit dem U-Ausschuss aufzunehmen.

Ein ähnlicher Spin wird nun rund um Schmids Befragung beim U-Ausschuss ausprobiert. Die WKStA hat die Abgeordneten gebeten, nur jene Themen anzusprechen, über die Schmid bereits vollumfänglich ausgesagt hat, um künftige Ermittlungen nicht zu gefährden. Einzig die ÖVP stimmte dem bislang nicht zu. Befürchtet wird daher, dass die ÖVP versucht, Schmid weitere, bislang geheime Ermittlungsstränge zu entlocken. Oder, sollte die WKStA zu große Sorge äußern, eine Absage der Befragung zu erreichen – mit Verweis auf die Justiz, die man schützen wolle.

Spin: Die Opposition negiert die Unschuldsvermutung

Altbekannt ist das Lamento der ÖVP, dass die anderen Parteien (und Medien) die Unschuldsvermutung verletzen, indem sie die Ermittlungsergebnisse der WKStA thematisieren. Das mag in Ausnahmen zwar stimmen, prinzipiell geht es in U-Ausschuss und Sondersitzung aber um politische Verantwortung und nicht um das Strafrecht. Man darf Chats von Sebastian Kurz natürlich für politisch falsch oder moralisch verwerflich halten, ohne dafür ein Gerichtsverfahren zu benötigen. Genauso kann der U-Ausschuss abfragen, wie einzelne Vorgänge vonstattengegangen sind, ohne ein Ersatzgericht zu sein. Umgekehrt täte es der Opposition gut, zurückgelehnt zu agieren, statt die Lautstärke noch weiter aufzudrehen: Denn eigentlich spricht das, was auf dem Tisch liegt, für sich selbst. (Fabian Schmid, 1.11.2022)