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Wann führt eine erste Begegnung zur erfolgreichen Beziehungsanbahnung? Attraktivität als erster Eindruck ist wichtig – aber laut einer neuen empirischen Studie nicht alles.

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"Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben", heißt es im Gedicht "Herbsttag" von Rilke einigermaßen fatalistisch. Die Saisonalität von mehr oder weniger romantischen Beziehungsanbahnungen dürfte in Zeiten von Tinder und Co – und anders als die von Corona-Ansteckungen – zwar eher zurückgegangen sein. Aber auch bei Tinder stellt sich die Frage, worauf es ankommt, damit auf ein erstes Date weitere folgen und ob es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gibt.

Die Psychologie erforscht auch solche eher intimen Fragen längst streng empirisch. Einigermaßen verlässliches Datenmaterial lieferten in den letzten Jahren vor allem Speed-Dating-Veranstaltungen, bei denen in relativ kurzer Zeit viele Menschen mit romantischen Absichten auf Partnersuche gehen. Wer dabei wen attraktiv findet und was sich daraus ergibt, ist die Grundlage etlicher einschlägiger Untersuchungen, die sich allerdings nach wie vor nicht ganz leicht tun, den ephemeren Moment des Sich-Verliebens zu analysieren.

"Verliebtheit" in 100 Millisekunden

Eine bereits fünf Jahre alte Studie eines Teams von Psychologinnen und Psychologen um Florian Zrok (Universität Groningen) konnte anhand solcher Speed-Dates immerhin zeigen, dass "Liebe auf den ersten Blick" eher eine Illusion ist. Immerhin 32 Personen erlebten bei einer Speed-Dating-Sitzung mit insgesamt 400 Teilnehmenden zwar so etwas wie eine Form von Verliebtheit beim Anblick eines bestimmten Gegenübers. Genauer analysiert handelte es sich dabei aber bestenfalls um physische Anziehung, Begierde oder Sehnsucht, die sich ausschließlich an physischer Attraktivität entzündete.

Wie die Forschenden damals im Fachblatt "Personal Relationships" berichteten, geschah das immerhin in nur 100 Millisekunden und betraf vor allem männliche Probanden. Diese Gefühle hatten aber mit "Liebe" im vollen Sinn des Wortes nur sehr wenig zu tun, so die Conclusio der Forschenden: Denn dafür braucht es Vertrauen, Intimität, Fürsorge, Zuneigung – und die entstehen erst im Laufe der Zeit einer Beziehung.

Welche Eindrücke entscheiden

Auf welche Faktoren aber kommt es an, dass es nach einer ersten Begegnung zu weiteren romantischen Treffen kommt? Welche ersten Eindrücke wecken den Wunsch nach weiteren Kontakten mit potenziellen Liebespartnern nach einem ersten Treffen? Das untersuchte eine Gruppe von Forschenden der Universität von Kalifornien in Davis (UCD), die bereits im Mai eine Studie zu diesen Themen verfasst hatte.

Dabei ermittelten sie mithilfe von künstlicher Intelligenz eine Vielzahl von Faktoren, die positiven Einfluss nahmen: Dazu gehörten Soziosexualität (also die Bereitschaft, ungebundene sexuelle Beziehungen einzugehen), Stärke des sexuellen Begehrens, Wahrnehmung der Attraktivität des Gegenübers und einige andere mehr. Eine der Schlussfolgerungen der Studie, die im "European Journal of Personality" erschien: Es braucht neue Modelle, um die Ursprünge des romantischen Begehrens zu identifizieren.

550 Teilnehmende, 6.600 Speed-Dates

Das liefert nun eine weitere Untersuchung, deren Erstautor Alexander Baxter ist, der über diese Frage an der UCD promoviert. An dieser empirischen Studie, die am Montag im Fachblatt "PNAS" veröffentlicht wurde, nahmen insgesamt 550 Speed-Dater und Speed-Daterinnen teil – darunter auch einige homosexuelle Männer. Zu den Probandinnen und Probanden, die alle aus den Vereinigten Staaten oder Kanada stammten, gehörten sowohl Studierende als auch Besucher einer Comic-Convention.

Insgesamt wurden während des Experiments mehr als 6.600 Speed-Dates absolviert. Die Probandinnen und Probanden wurden in den folgenden zwei bis drei Monaten danach befragt, ob sie mit Personen, die sie beim Speed-Dating getroffen hatten, zusammen waren und wie sich ihre romantischen Gefühle im Laufe der Zeit veränderten.

Drei "abstrakte" Faktoren

Anhand eines neuen Modells untersuchten die Forschenden die Muster des anfänglichen Begehrens, die während der Speed-Dates beobachtet wurden. Dabei konzentrierte sich das Psychologenteam auf drei eher abstrakt klingende Eigenschaften: Selektivität, Beliebtheit und Kompatibilität, die danach bewertet wurden, wie gut sie eine romantische Beziehung nach den ersten Eindrücken beim ersten Treffen vorhersagten.

Selektivität steht dabei dafür, ob eine Person im Hinblick auf ihre sexuellen Partnerinnen und/oder Partner wählerisch ist. Beliebtheit misst die wahrgenommene Attraktivität durch möglichst viele andere Personen. Und Kompatibilität ist die spezielle Anziehung zwischen zwei Personen unabhängig von der allgemein wahrgenommenen Attraktivität und dem Maß der Selektivität.

Worauf es letztlich ankommt

Die Auswertung der empirischen Daten zeigte wenig überraschend, dass Menschen besonders wahrscheinlich eine romantische Beziehung mit denjenigen anstreben und eingehen, die als allgemein attraktiv und beliebt wahrgenommen werden. Ähnlich wichtig war aber der Faktor Kompatibilität. Die Selektivität spielte hingegen eine relativ geringe Rolle, wobei – auch nicht überraschend – romantisch aufgeschlossene Personen etwas wahrscheinlicher eine Beziehung mit ihren Speed-Dating-Partnern eingingen als weniger aufgeschlossene Personen.

Erstautor Alexander Baxter hatte mit seinen Kolleginnen und Kollegen natürlich erwartet, dass ein guter erster Eindruck vor allem durch Beliebtheit und Attraktivität entstand. Aber bei erfolgreichen Treffen scheinen diese Faktoren für den guten ersten Eindruck nicht alles zu sein. Es sei zwar hilfreich, als attraktiv und begehrenswert wahrgenommen zu werden, so Baxter: "Aber wenn es darum geht, ein zweites Date zu bekommen, kann es genauso wichtig sein, eine besondere Verbindung zu einem potenziellen Partner herzustellen." (Klaus Taschwer, 2.11.2022)