Großwesir Kara Mustapha hinterließ anno 1683 das Rohmaterial für viele spätere Röstvorgänge: in einem prächtigen Zelt.

Foto: Wien Museum

Kein Mensch guten Willens wird Notleidenden im Herbst, wenn Petz und Murr die letzten Runden durchs rostfarbene Laub drehen, Zelte anbieten wollen: als Schlafstätten und Unterkunft. Steigen erst einmal Nebel vom Kahlenberg herunter, ist es mit der Romantik des Kampierens vorbei, gerade auch für Geflüchtete. In den goldenen Kindheitstagen verband ich mit dem Biwak die Vorstellung des Abenteuerlichen. Die beste Vorleserin der Welt war meine Mutter: Mit sanfter Überredungskunst träufelte sie Geschichten von Hybris und Ohnmacht in meine glühenden Boomer-Ohren.

Als ein Entsatzheer unter polnischer Führung 1683 den türkischen Belagerungsring rund um Wien gesprengt hatte, steckten die Vertreter der versammelten Christenheit ihre Nasen voller Neugier in ein prächtiges Zelt: Großwesir Kara Mustapha hatte auf seiner wilden Flucht die wichtigsten Besitztümer des Orients zurückgelassen. Säckeweise wurden exotische Kaffeebohnen hinter die Stadtmauern getragen. Wahrscheinlich entstanden damals die ersten Eduscho-Filialen Wiens. Ein Hauch von Röstfrische hing über den Kloaken der Stadt.

Als es an mir war, mein Haupt erstmals in einem Zelt zur Nachtruhe zu betten, war Bruno Kreisky noch nicht lange Bundeskanzler seiner zweiten Alleinregierung, ich hingegen Wölfling in einer Pfadfindergruppe. Nicht nur bekamen wir morgens vom Patrouillenführer keinen Kaffee vorgesetzt, wir wurden nachts auch wiederholt aus dem Schlaf gerissen, um in angemessen kriegerischer Gesinnung nach dem "Totem" der Partner-Patrouille zu suchen.

Schreiende Fähnleinführer

Die Szenerie stellte jeden Eismayer-Film mit Leichtigkeit in den Schatten. Die Schreie überrumpelter Fähnleinführer gellten durch die Finsternis. Sicherheitshalber, um jeder Folter zu entgehen, begab ich mich freiwillig in die Gefangenschaft unserer Gegner. Weder war mir nach rotglühenden Backen zumute, noch wollte ich mich der Quetschung meiner Zehen mutwillig aussetzen.

Prompt harrte ich, sorgfältig gefesselt, bis zum Ende der Nacht im Zelt der Widersacher aus. Zelte sind gute Speicher. Ein Hauch von Kloake nistete unter der Plane. (Ronald Pohl, 2.11.2022)