Bisher hat Bolsonaro seine Niederlage nicht öffentlich eingeräumt.

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Bilder aus dem Bundesstaat Goiás zeigen brennende Autoreifen und protestierende Lastwagenfahrer auf der Autobahn.

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Demonstranten riefen "Nein zu Lula!"

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Brasília – Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro will nach seiner Niederlage in der Präsidentschaftswahl die Verfassung "respektieren". Das kündigte Bolsonaro am Dienstag bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Stichwahl am Sonntag vor Journalisten in der Hauptstadt Brasília an, ohne seine Niederlage explizit einzugestehen. Sein Stabschef Ciro Nogueira sagte im Anschluss, der Präsident habe die Amtsübergabe an Wahlsieger Luiz Inácio Lula da Silva "autorisiert".

Machtwechsel via Gesetz

"Präsident Jair Bolsonaro hat uns auf der Grundlage des Gesetzes ermächtigt, den Prozess des Regierungswechsels einzuleiten", sagte Nogueira. Die Machtübergabe ist allerdings ohnehin gesetzlich geregelt, einer Zustimmung der scheidenden Regierung bedarf es nicht.

Die Justiz des größten Landes Lateinamerikas wertete dies offenbar als ein Eingeständnis der Niederlage. "Die Richter bekräftigen die offiziellen Mitteilung, in der die Bedeutung der Anerkennung des endgültigen Wahlergebnisses durch den Präsidenten der Republik mit der Entschlossenheit, den Übergangsprozess einzuleiten, hervorgehoben wurde", hieß es am Dienstag in einer Mitteilung des Obersten Gerichtshofs nach einem Treffen mit Bolsonaro. "Er sagte, es sei vorbei. Schauen wir also nach vorne", sagte der Richter Luiz Edson Fachin im Fernsehsender Globo.

Auf der Arbeitsebene wurden ohnehin schon Kanäle für die Vorbereitung des Machtwechsels gelegt. Medienberichten zufolge sprach Kabinettschef Nogueira bereits mit Lulas Kommunikationschef Edinho Silva. Zudem telefonierte Lulas künftiger Vizepräsident Geraldo Alckmin mit Bolsonaros Stellvertreter Hamilton Mourão. Der Amtsantritt Lulas ist für den 1. Jänner 2023 geplant.

Zwei Tage abgetaucht

Nach seiner Niederlage bei der Präsidentenwahl war Bolsonaro zwei Tage abgetaucht und zeigte sich weder in der Öffentlichkeit, noch äußerte er sich zu dem knappen Wahlsieg seines Herausforderers Luiz Inácio Lula da Silva. Medienberichten zufolge hatten am Vortag mehrere Minister und Berater versucht, ihn davon zu überzeugen, seine Niederlage einzuräumen.

Bei der Stichwahl am Sonntag hatte Lula 50,9 Prozent der Stimmen erhalten, der rechte Amtsinhaber kam nach Angaben des Wahlamtes auf 49,1 Prozent. Bolsonaro hatte bereits vor der Abstimmung immer wieder Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht anzuerkennen.

Allerdings zeichnete sich mit der Zeit immer stärker ab, dass Bolsonaro wohl kaum Erfolg hätte, würde er das Ergebnis jetzt noch infrage stellen. Viele seiner Verbündeten, darunter der mächtige Parlamentspräsident Artur Lira, erkannten Bolsonaros Niederlage bereits an. Auch zahlreiche Regierungen im Ausland sahen den Wahlausgang schon als Tatsache an: Fast 90 Regierungen gratulierten Lula zu seinem Wahlsieg, wie das Nachrichtenportal UOL berichtete.

Argentiniens Präsident Alberto Fernández reiste sogar gleich am Montag in das Nachbarland, um Lula persönlich zu beglückwünschen. Die beiden Männer trafen sich in einem Hotel in São Paulo und umarmten sich, wie am Montag in einem von Fernández auf Twitter veröffentlichten Video zu sehen war. "Meine ganze Liebe, Bewunderung und Achtung, lieber Genosse", schrieb der argentinische Staatschef.

Hunderte Straßen blockiert

Der Präsident des Obersten Wahlgerichts, Alexandre de Moraes, hatte sowohl Lula als auch Bolsonaro bereits in der Wahlnacht telefonisch über das Ergebnis informiert. "Das Ergebnis wurde verkündet und akzeptiert", sagte Moraes. Die Beobachtermission der Interamerikanischen Union der Wahlbehörden nannte die Wahlen frei, fair und transparent und fand keine Hinweise auf Manipulation.

Zwar blieb die befürchtete Gewalt durch Anhänger von Bolsonaro zunächst aus, allerdings blockierten Fernfahrer im ganzen Land hunderte Straßen, um gegen den Wahlsieg Lulas zu protestieren. Wahlgerichtspräsident Moraes wies die Polizei daraufhin an, die Blockaden zu beenden und Geldstrafen gegen die Verantwortlichen zu verhängen. Teilweise ging die Polizei mit Tränengas gegen die Demonstranten vor.

Bolsonaro forderte seine Anhänger zum Verzicht auf Gewalt auf. Die Proteste müssten "friedlich" sein, mahnte er. "Die aktuellen Demonstrationen sind das Ergebnis von Empörung und einem Gefühl der Ungerechtigkeit über die Art und Weise, wie der Wahlprozess durchgeführt wurde", sagte Bolsonaro. "Friedliche Demonstrationen werden immer willkommen sein."

Während sich Bolsonaro in Schweigen hüllte, äußerte sich zumindest sein Sohn Flavio auf Twitter. "Danke an alle, die uns geholfen haben, den Patriotismus zu retten, die gebetet haben, auf die Straße gegangen sind, ihren Schweiß für das Land gegeben haben. Erheben wir unsere Häupter und geben wir unser Brasilien nicht auf", schrieb der Senator. "Papa, ich stehe hinter dir."

Auf Regierungswechsel vorbereitet

Lulas Team bereitete sich unterdessen bereits auf einen Regierungswechsel ohne die Mithilfe des amtierenden Staatschefs vor. "Ich hoffe, dass zum Wohle Brasiliens und des brasilianischen Volkes Normalität Einzug halten wird. Wenn der Präsident, wenn Jair Bolsonaro nicht teilnehmen möchte, okay", sagte die Vorsitzende von Lulas Arbeiterpartei (PT) und Leiterin der Wahlkampagne, Gleisi Hoffmann, im Fernsehsender Globo News.

Zumindest auf der Arbeitsebene gab es erste Kontakte. So sprach Medienberichten zufolge der Kommunikationschef von Lulas Wahlkampagne, Edinho Silva, am Montag mit Bolsonaros Kabinettschef Ciro Nogueira. Zudem telefonierte Lulas künftiger Vizepräsident Geraldo Alckmin mit Bolsonaros Stellvertreter Hamilton Mourão.

"Der Regierungswechsel ist gesetzlich geregelt. Das ermöglicht uns, die Machtübergabe zu vollziehen, unabhängig von der Beteiligung des Präsidenten", sagte PT-Chefin Hoffmann. Lula wird am 1. Jänner 2023 sein Amt antreten. (APA, red, 1.11.2022)