Astou Gueye verlor 2013 wie viele Menschen in der senegalesischen Hann-Bucht ihr Haus an das unaufhaltsam steigende Meer und die einhergehende Küstenerosion.

Foto: Südwind/Vincent Sufiyan

"Unsere Toten liegen jetzt draußen im Meer", sagt Ndeye Yacine Dieng und zeigt hinaus auf den türkisfarbenen Atlantik. Donnernd branden die Wellen kaum fünf Meter vor ihren Füßen an. Es ist Ebbe, und Dieng steht auf einem der aus Autoreifen und Sandsäcken improvisierten Dämme, die die Häuser der senegalesischen Küstenstadt Bargny vor dem drohenden Untergang schützen sollen. Für den Friedhof boten diese Wälle keine Rettung. Doch nicht nur das Andenken haben die Menschen hier an die Fluten verloren. Auch ihre Zukunft ist auf schwindendem Untergrund gebaut.

Verlorene Vergangenheit

Rund 15 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Dakar beheimatet Bargny mehr als 50.000 Einwohnerinnen und Einwohner, die den Klimawandel auf drastische Weise zu spüren bekommen. Jedes Jahr verliert die Stadt bis zu drei Meter Küste an den Ozean. Der steigende Meeresspiegel, die einhergehende Küstenerosion und heftigere Sturmfluten ließen zahlreiche Häuser einstürzen.

Im senegalesischen Bargny kommt das Meer den Häusern an der Küste schon wieder bedrohlich nahe.
Foto: Südwind/Vincent Sufiyan

Auch Dieng und ihre Familie verloren ihr Haus. Wie viele andere Betroffene fanden sie Unterschlupf bei Verwandten. Eine dauerhafte Lösung stellt dieses Ausweichen nicht dar, die kleinen Häuschen mit meist nur zwei Zimmern sind heillos überfüllt, zudem bröckeln auch etliche dieser Quartiere bereits.

Unsichere Zukunft

"Die Regierung hat uns Ausweichflächen versprochen, auf denen wir neue Häuser bauen können", erzählt Dieng. Doch sie und alle anderen Betroffenen wurden enttäuscht. Auf dem designierten Umsiedelungsareal ragen heute Schlote eines Kohlekraftwerks in den Himmel. Erbaut wurde die Anlage mit Geldern der Afrikanischen und der Westafrikanischen Entwicklungsbank und der niederländische Entwicklungsbank FMO.

Auf jenem Gebiet, das den Bewohnern von Bargny versprochen wurde, steht heute ein Kohlekraftwerk.
Foto: Südwind/Vincent Sufiyan

Plänen zufolge soll das seit 2018 in Betrieb befindliche Kraftwerk in ein Erdgaskraftwerk umgebaut werden. Es sei richtig, dass hier Strom für die Bevölkerung des Senegal produziert werde, doch diese Energieversorgung geschehe auf Kosten aller, die in Bargny ihre Unterkünfte verloren haben. "Wir sind der Bedrohung durch das näher rückende Meer immer noch ausgesetzt, wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen", sagt Dieng.

Gegenwehr aus der Bevölkerung

In Ermangelung von Ausweichmöglichkeiten bleiben sie in einer Zone, die schon heute als höchst gefährdet gilt. "Was wir brauchen, sind Häuser in einer sicheren Gegend oder Maßnahmen, die uns vor dem Meer schützen können", fordert die Aktivistin, die einen Verein zum Schutz der Küste leitet.

Ndeye Yacine Dieng leitet einen Verein zum Küstenschutz und engagiert sich für die Rechte senegalesischer Frauen, die aufgrund des Klimawandels Einkunftsquellen verlieren.
Foto: Marlene Erhart

Große Erwartungen habe sie allerdings nicht: "Uns hat nie jemand gefragt, was wir brauchen und wie uns tatsächlich geholfen werden könnte." Dabei wehrten sich die Einwohnerinnen und Einwohner der Küstenstadt schon vor der Errichtung des umstrittenen Kohlekraftwerks mit Protesten und Beschwerden. Verhindern konnten sie den Bau dennoch nicht. Die versprochenen Jobs im Kraftwerk und die erhofften Einkünfte seien ebenfalls ausgeblieben, kritisiert Dieng.

Kohle vor Menschen

"Bargny ist von allen Seiten bedroht, jeder Mensch hier ist tagtäglich dutzenden Gefahren ausgesetzt", sagt Medoune Ndoye von der Organisation Movement Framework for Reflection and Citizen Action. "Unsere Umwelt und unsere Atemluft werden verschmutzt, und unsere Gesundheit leidet", erklärt der Aktivist. Ein Dorn im Auge ist ihm dabei auch eine der größten Zementfabriken Westafrikas, die 1984 ihren Betrieb in Bargny aufnahm.

Die mehr als 50.000 Einwohnerinnen und Einwohner der Küstenstadt Bargny sind täglich Bedrohungen für ihre Gesundheit ausgesetzt, kritisieren Aktivistinnen und Aktivisten.
Foto: Südwind/Vincent Sufiyan

Was Ndoye und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter besonders erzürnt, ist "dass der vorgeschriebene Sicherheitsabstand von 500 Metern zu den nächstgelegenen Häusern nicht eingehalten wird". Die Problematik werde nun durch das neue Kohlekraftwerk vergrößert.

"Der Klimawandel legt Bruchlinien offen, verschärft Ungleichheiten und drängt Länder des Globalen Südens weiter in die Armut." – Soziologe Daniel Cohen

Bargny steht gleichermaßen zwischen den Treibern und den Auswirkungen des Klimawandels wie auch beispielhaft für eine bittere Wahrheit: Keine Region hat weniger zu den globalen CO2-Emissionen beigetragen, aber keine Region verliert dadurch so viel wie Afrika.

Der Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 belief sich im Senegal 2019 auf 0,7 Tonnen. In Österreich lag dieser Wert bei 7,3 Tonnen, der weltweite Durchschnitt bei 4,5 Tonnen. "Der Klimawandel legt Bruchlinien offen, verschärft Ungleichheiten und drängt Länder des Globalen Südens weiter in die Armut", sagt der US-Soziologe Daniel Cohen, der an der University of California, Berkeley, zu Demokratie und Klima-Apartheid forscht.

Vielfach unter Druck

Erhebungen zufolge zählt der Senegal weltweit zu jenen Ländern, die am stärksten von den Folgen der globalen Erwärmung betroffen sind. Für die Bevölkerung schlägt sich dies in einer Vielzahl von Problemen nieder. Rund 70 Prozent der Bevölkerung leben nahe der Küste, knapp 75 Prozent der Siedlungen sind dort vom Meeresspiegelanstieg bedroht. Hinzu kommt, dass 90 Prozent der Industriebetriebe entlang der 531 Kilometer langen Küste angesiedelt sind.

Doch auch im Landesinneren zeigen sich die Klimawandelfolgen: Rückläufige Niederschläge, eine folgende Versalzung von Ackerflächen sowie zunehmende Dürren erschweren die Landwirtschaft, in der 70 Prozent der Bevölkerung tätig sind.

Studien zufolge könnten die Ernteerträge von Nahrungspflanzen wie Mais und Hirse bis 2050 um bis zu 50 Prozent schrumpfen. Hinzu kommt, dass importierte Lebensmittel oft günstiger sind als heimische Produkte und hiesige Märkte zerstören. Aus all diesen Faktoren resultiert eine Abwanderung in Zentren wie Dakar oder das angrenzende Pikine, die größte Stadt des Senegals.

Überschwemmte Straßen, Erdgeschosse und Schulhöfe gehören in Dakar und der Großstadt Pikine zum Alltagsbild.
Foto: Südwind/Vincent Sufiyan

Mangelnde Anpassungsmöglichkeiten

Die Metropolen sind der ungeplanten Urbanisierung und dem Bevölkerungsdruck vielfach nicht gewachsen, häufig ziehen Menschen in Viertel, die für eine Bebauung ungeeignet sind.

"Wir haben eine Situation, in der die Menschen, die die globale Erwärmung verursachen, mehr Ressourcen haben, um gegen diese Veränderungen widerstandsfähig zu sein." – Klimaforscher Justin Mankin

In Diamaguène-Sicap Mbao, einem Bezirk in Pikine, stehen von 79 Stadtvierteln 66 regelmäßig unter Wasser. Schulhöfe sind ebenso überflutet wie Straßen, Häuser, Sportplätze und Friedhöfe. So entstehen mit der Wohnungsnot auch Brutstätten für Krankheitsüberträger. Ein ähnliches Bild bietet sich in vielen Stadtteilen Dakars, wo fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten die prekäre Situation vieler noch verschärfen.

Auch im Küstenort Bargny lebt die Bevölkerung mit regelmäßigen Überflutungen.
Foto: Marlene Erhart

"Wir haben eine Situation, in der die Menschen, die die globale Erwärmung verursachen, mehr Ressourcen haben, um gegen diese Veränderungen widerstandsfähig zu sein", sagt der Klimaforscher Justin Mankin, Mitautor einer kürzlich in Science Advances erschienene Studie.

Fehlende Fische und Jobs

Einen zentralen Wirtschaftsfaktor im Senegal bildet die Fischerei. 600.000 Menschen arbeiten in diesem Sektor, etwa ein Fünftel aller im erwerbsfähigen Alter. Doch auch diese Einkunftsquelle gerät durch den Klimawandel unter Druck, wie sich am Strand der Hann-Bucht in Dakar zeigt. Unter einer Plastikplane sitzt Astou Gueye zwischen Bergen aufgetürmter Muschelschalen, die sie als Dekorationsmaterial für Garten- und Hotelanlagen verkauft. 5000 CFA-Franc, gut sieben Euro, verdient sie mit einem der kniehoch gefüllten Säcke.

Schutz gegen das steigende Meer: In der Hann-Bucht sollen Reifen, Betonteile und Sandsäcke Wohnbauten gegen den Ozean abschirmen.
Foto: Marlene Erhart

Nicht immer sammelte und verkaufte sie Muscheln. Wie zahlreiche Frauen verarbeitete sie jene Fische, die Ehemänner und Söhne knapp vor der Küste fingen. Ab den 1980er-Jahren begannen die Netze jedoch leerer zu werden. "Seit 2000 wurde die Lage dramatisch, viele Arten sind völlig verschwunden", erzählt ein Fischer.

Davor habe er wenige Hundert Meter vom Strand entfernt die Netze ausgeworfen und sei mit guter Ausbeute zurückgekehrt. Inzwischen müssen er und seine Berufsgenossen mit jedem Jahr weiter hinaus aufs Meer fahren, um überhaupt etwas zu fangen.

Viele verbrächten mehrere Tage und auch die Nächte auf ihren Booten, um einen passablen Fang einzuholen. Geht man den Strand entlang, hört man diese Geschichte wieder und wieder.

Viele senegalesische Fischer verbringen Tage und Nächte auf ihren Pirogen, den typischen aus Holz gefertigten Fischerboote, um zumindest halb gefüllte Netze einholen zu können.
Foto: Südwind/Vincent Sufiyan

Hinter den schwindenden Fischbeständen steckt zum einen die steigende Wassertemperatur, die Schwärme andere Meereszonen aufsuchen lässt und die Reproduktionsrate der Tiere negativ beeinflusst. Zum anderen sind es ausländische Boote, die den Menschen die Lebensgrundlage rauben.

Hoffnung in weiter Ferne

Saddam, ein junger Fischer, deutet auf den Horizont, wo sich im Dunst die Umrisse gigantischer Schiffe abzeichnen. Es seien Fangflotten aus China, Russland oder der Europäischen Union, die das Meer leerfischen würden. Teils fischen sie auf Basis internationaler Abkommen, teils handelt es sich um illegal fischende ausländische Schiffe. Die zunehmenden illegalen Fänge bringen senegalesische Fischer weiter in Bedrängnis. Auch werden Fischereilizenzen oftmals unter dubiosen Umständen vergeben, wie ein Greenpeace-Report nahelegt.

Viele Fischer geben ihr Handwerk auf und verlassen das Land Richtung Spanien. Zwei Wochen lang navigieren sie übers Meer, meist in der Hoffnung, die Kanaren zu erreichen. Der 27-jährige Mousa hat schon drei Anläufe unternommen. Beim ersten Versuch seien einige Mitfahrende ertrunken, beim zweiten Mal einige der Aufgebrochenen verhungert, beim dritten Versuch zwang ihn die Küstenwache zur Umkehr, erzählt er.

Der Fischer Saddam (links) sieht im Senegal keine Hoffnung mehr. Wie viele andere möchte er sich auf den Weg nach Europa machen.
Foto: Marlene Erhart

Ob er es wieder versuchen werde? "Bien sur", antwortet er: "Natürlich." Sein Kollege Saddam gesellt sich zu ihm und erklärt, dass auch er Richtung Europa aufbrechen wolle. Obwohl er die wenigen Fische, die er noch fange, schon teurer verkaufe, reiche das Geld nicht zum Überleben. "Ich habe die Hoffnung verloren, ich kann meine Familie nicht mehr ernähren."

Keine Importlösungen

Während viele auf eine Zukunft außerhalb des Senegals hoffen, formieren sich auch zahlreiche Initiativen, die im Land Veränderungen anstreben. Eine davon ist die Organisation Young Volunteers for the Environment Senegal, die Aufforstungs- und Küstenschutzprojekte ebenso forciert wie Bildungsarbeit. "Wir müssen Schritte für die Zukunft setzen, deshalb informieren und sensibilisieren wir die junge Generation von der Volksschule bis zur Uni und befähigen sie, Projekte für mehr Resilienz umzusetzen", sagt Direktor Djibril Niang.

Dass die auf Afrika fokussierte UN-Klimakonferenz, die von 6. bis 18. November im ägyptischen Scharm asch-Schaich stattfindet, Veränderungen bringt, glauben weder er noch seine Kollegin Nadia Tih. "Dort werden die Probleme reicher Nationen besprochen", sagt sie. Und weiter: "Wir brauchen keine importierten Lösungen, unsere Gesellschaft ist nicht eure, unsere Realität ist nicht eure, ihr müsst unsere Situation verstehen und uns helfen, unsere eigenen Lösungen zu entwickeln." (Marlene Erhart, 5.11.2022)