Benjamin Netanjahu ist – mal wieder – der umjubelte Wahlgewinner in Israel. Seine möglichen Koalitionspartner sind sehr umstritten.

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Was vor zwei Jahren noch unvorstellbar war, ist in Israel nun Realität: Das rechtsextreme Bündnis Religiöse Zionisten wird durch die Wahl am Dienstag drittstärkste Kraft im Parlament. Der Zusammenschluss zweier rechtsextremer Parteien dürfte nun Teil einer Regierung unter dem Rechtskonservativen Benjamin Netanjahu werden, dessen Likud-Partei als stärkste Partei aus der Wahl hervorging.

Zulegen konnten auch die ultraorthodoxen Parteien, stark geschwächt ist die Linke: Die Linkspartei Meretz verpasst voraussichtlich knapp den Einzug, die Arbeiterpartei und die arabisch-kommunistische Liste Hadash kamen nur als Kleinfraktionen ins Parlament.

Netanjahu jubelte noch am Wahlabend seinen Fans zu. Die Israelis hätten ihn gewählt, weil sie "jemanden wollen, der sich um das Volk kümmert", erklärte der Rechtspopulist. Wer zum Volk gehört und wer nicht, wird von Netanjahus Wunschkoalitionspartnern nicht unbedingt so definiert, wie es in einer liberalen Demokratie üblich ist.

"Tod den Arabern"-Rufe

Das Zugpferd der Religiösen Zionisten, der mehrfach wegen antiarabischer Hetze verurteilte Itamar Ben Gvir, wird von seinen Fans regelmäßig mit "Tod den Arabern"-Rufen begrüßt. Sind Kameras anwesend, ermahnt Ben Gvir die Masse, doch besser "Tod den Terroristen" zu rufen. Dass der 46-Jährige nun ein Regierungsamt bekleiden könnte, ist ein Tabubruch in der israelischen Politik.

Polizei und Geheimdienst bezeichneten Ben Gvirs aufstachelnde Tätigkeit in angespannten Zeiten wiederholt als Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Nun sieht es so aus, als könnte Ben Gvir, der wegen seiner Gewaltbereitschaft vom Armeedienst ausgeschlossen wurde, sogar Israels nächster Polizeiminister werden.

Neue Verbündete

Wie konnte es dazu kommen? Noch vor wenigen Jahren galten Ben Gvir und sein rechtsextremes Umfeld als Brandstifter, an die keine der etablierten Parteien anstreifen wollte. Doch dann wurde Netanjahu von vergangenen Freundschaftsdiensten eingeholt, der Generalstaatsanwalt klagte ihn wegen Betrugs, Bestechlichkeit und Untreue an. Immer mehr einstige Verbündete kehrten Netanjahu danach den Rücken, bis er schließlich vor 18 Monaten die Macht abgeben musste. Seither sitzt Netanjahu in der Opposition.

Der 73-Jährige wusste, dass er Verbündete braucht, um bei dieser Wahl eine Mehrheit zu schaffen und wieder an die Macht zu kommen. Er setzte auf Ben Gvir und überredete ihn zu einem Wahlbündnis mit dem Nationalreligiösen Bezalel Smotrich, damit die beiden rechtsextremen Parteien mit vereinten Kräften den Einzug ins Parlament schaffen.

Ben Gvirs hoher Preis

Ben Gvir machte Netanjahu jedoch klar, dass er für diese Gefälligkeit einen hohen Preis verlangen würde – und zwar ein prestigereiches Ministeramt. Nun scheint dieser Deal aufzugehen: Netanjahu hat die satte Mehrheit, die er wollte, und Ben Gvir gelang der Schritt aus dem Schmähwinkel mitten ins Zentrum der politischen Bühne. Statt "Araber raus" ruft er nun "Unloyale Araber raus" ins Mikrofon. Netanjahus Parteianhängern reicht das, um Ben Gvir als geläutert anzusehen.

Die Fernsehstationen halfen ordentlich mit bei Ben Gvirs Wahlkampagne. Als klar wurde, dass der Hetzer mit einem Faible für Schusswaffen realistische Chancen auf ein Regierungsamt hat, wurde er von Sender zu Sender gereicht, niemand bekam so viel Interviewzeit wie er. Mit seinen rabiaten Sprüchen sorgt er für Quoten, auch in sozialen Medien werden sie gern geteilt. Die große Präsenz in den Medien verhalf Ben Gvir zum Wahlsieg: Die Religiösen Zionisten verbesserten sich von fünf auf voraussichtlich 14 Mandate.

Araber nicht vertreten

Nun stehen die Chancen gut, dass Israel eine Regierung bekommt, die ausschließlich aus rechtskonservativen bis rechtsradikalen und streng religiösen Parteien bestehen wird. Israelische Araber, die immerhin ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen, wären darin gar nicht vertreten. Frauen wären in dieser Regierung stark unterrepräsentiert.

Für Netanjahu könnte seine Wunschkoalition jenes Ergebnis bringen, das schon seit geraumer Zeit sein politisches Handeln dominiert: das Ende seines Gerichtsverfahrens. Seine Likud-Partei ist sich mit den Religiösen Zionisten handelseins, was massive Einschnitte in die Justiz betrifft. Sie wollen das Höchstgericht unter Regierungskontrolle bringen, den Generalstaatsanwalt entmachten und darüber hinaus ein Gesetz beschließen, das die Anklage eines amtierenden Ministerpräsidenten verbietet.

Nicht zuletzt wollen sie den Untreueparagrafen aus dem Gesetzbuch streichen – zufällig einen jener Tatbestände, die die Staatsanwälte Netanjahu vorwerfen. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 2.11.2022)