Männer, die einmal mehr, einmal weniger über weibliche Lust zu sagen haben: Ruth Beckermann setzt in "Mutzenbacher" Kerle auf die Couch und begleitet sie ungeniert ins Reich derer Fantasien.

Foto: Ruth Beckermann Film

Die Couch im Bild ist eine "Casting-Couch" – das ergibt gleich eine große Spannweite an Assoziationen, bis in die Gegenwart hinein. Die Couch ist verschlissen, ihr rötlicher Plüsch abgewetzt, sie wirkt leicht verrucht – eine Antiquität, von der man annimmt, dass sich der Geruch einer anderen Zeit hineingefressen hat. Einer der ersten Männer, die in "Mutzenbacher" darauf Platz nehmen, nennt sie sogleich "Erotiksofa". Hier geht es allerdings ums Sprechen, ums Vorlesen und ums Erinnern. Sigmund Freuds Couch, das Symbol der Psychoanalyse, liegt eigentlich näher.

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Ruth Beckermann ist kein Thema zu "heiß". Nach dem "cold case" Kurt Waldheim ("Waldheims Walzer") hat sie sich nun der Wiener Prostituierten Josefine Mutzenbacher angenommen, der berühmtesten "Dirne" der heimischen Populärkultur. Analog zu politischer Verdrängungsarbeit geht es der Dokumentaristin diesmal darum, auf dem Feld der Sexualität nach unbewussten Begehrensäußerungen zu suchen. Solche, die im rezenten Genderdiskurs zumindest kritisch beurteilt werden.

"Wegen seiner lustvollen und missbräuchlichen Darstellung kindlicher Sexualität" werde der Roman "bis heute kontrovers diskutiert", steht wie eine Triggerwarnung zu Beginn des Films in einem Insert zu lesen. Bis 1968 stand der 1908 veröffentlichte Text, der unbestätigterweise Felix Salten zugeschrieben wurde und der die Eskapaden Mutzenbachers detailreich beschreibt, auf dem Index jugendgefährdender Schriften. Inzest und blasphemische Schilderungen finden sich darin, "Verbotenes" wird ausgekostet, auf die Angst vor Übertretung (und Strafe) folgt nicht selten die Überraschung weiblichen Lustgewinns.

Transparent und mehrdeutig

Viel unzeitgemäßer geht’s nicht, könnte man sagen, aber genau darin liegt der Reiz. Beckermanns Film begann als Casting-Aufruf, der auch in dieser Zeitung veröffentlicht wurde: Gesucht wurden "männliche Mitwirkende zwischen 16 und 99 Jahren". Aus dem Castingprozess wurde der fertige Film montiert: Gedreht wird in einer ehemaligen Wiener Sargfabrik, die Protagonisten nehmen auf der Couch vor der nur aus dem Off hörbaren Regisseurin Platz, werden befragt und aufgefordert, Stellen aus dem Buch vorzutragen.

Das Set-up ist transparent und dennoch bestechend mehrdeutig, gleicht es doch selbst einer Szene der Verführung, einem Passepartout für eine Begegnung, bei der "Mann" meist Steherqualitäten beweisen will. Wiederholungen und Korrekturen gehören zu diesem Spiel dazu. In Chorszenen formt sich zwischendurch eine Männerschar, die sich wie bei einer Demo Sex-Entmündigter gebärdet – unter Anleitung, daher ironisch.

Beckermann gibt den Rahmen vor und lässt sich nicht leicht betören. Die Protagonisten bemühen sich, gut zu performen, die Mehrheit will naturgemäß gefallen. Einer hat zwar Bedenken, das Wort "Fut" auszusprechen – die Enkel könnten den Film ja sehen –, legt sich dann aber, sichtbar atemlos, umso mehr ins Zeug. Danach fragt er: "Hab’ ich das gut gemacht?"

Toxisch und bedroht

"Mutzenbacher" ist aufgrund solcher sublimen Rollenverschiebungen höchst bemerkenswert. Männer denken über weibliche Lust nach, übersehen dabei gerne einmal, dass der Urtext männliche Fantasien bedient, und entlarven sich ein Stück weit selbst. An vielen Stellen manifestiert sich großes Unbehagen an gegenwärtigen Moralvorstellungen, das diffuse Gefühl einer ins Eck gedrängten Männlichkeit. Es sei "eine männerfeindliche Zeit", sagt ein älterer Protagonist, Spaß am körperlichen Austausch gebe es keinen mehr, alles sei toxisch. Ein Jugendlicher korrigiert solchen Pessimismus später nur in Teilen, wenn er von dem effizienzgetriebenen Sex im Dating-Zeitalter spricht.

Schon durch ihr Setting gewährt Beckermann, dass solche Auffassungen nicht einfach durchgeschleust, schnell affirmiert werden. Ihr Nachhaken und -fragen stellt kleine Falltüren auf, die ihre Gegenüber willig öffnen. Doch selbst dann, wenn es um so heikle Themen wie Pädophilie geht, lässt der Film das zu. Sprechen über obszöne Fantasien erlaubt unerhörte Einblicke: "Geil, schön, Inzest", sagte einer, bei einem anderen "erhebt sich der moralische Zeigefinger".

Hoppertatschiges Theater

Beckermanns Perspektive zeugt von einer Generation, die noch selbst für sexuelle Befreiung eingetreten ist. Das Buch "Mutzenbacher" war für sie kein Sakrileg, sondern ein Angriff gegen Scheinmoral. Das macht den Film nun mutig, komisch und erfrischend ungeniert. Oft ist auch gar nicht das Ausgesprochene so entscheidend, sondern die Gestik, das Hoppertatschige dieses Laientheaters. Ein Zusammenspiel aus Verklemmung, Nervosität und Imponiergehabe, das jäh in sich zusammenbricht. Das gilt auch für jene, die sich moralisch gefestigter geben. (Dominik Kamalzadeh, 3.11.2022)