Litigation-PR kann sich auch ins Gegenteil verkehren und sogar die Chancen im Strafverfahren negativ beeinträchtigen.

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Es ist etwas faul im Staate Österreich. Einmal mehr beherrschen Korruptionsvorwürfe die innenpolitische Diskussion. Doch deren Dimension geht weit über das Maß hinaus, das in Österreich als Teil der Folklore achselzuckend hingenommen wird. Hohen Funktionären der Republik drohen langjährige Haftstrafen. Im Fokus der Vorwürfe steht dabei mit Sebastian Kurz ausgerechnet jemand, der angetreten war, um mit alten Strukturen zu brechen.

Vorläufiger Höhepunkt ist das Geständnis von Thomas Schmid. Der frühere Generalsekretär im Finanzministerium und Alleinvorstand der Bundesbeteiligungsgesellschaft Öbag strebt den Status als Kronzeuge an. Schmid belastet Kurz in seiner Aussage schwer. Der Ex-Kanzler war auf diesen Fall vorbereitet: Er veröffentlicht das Protokoll eines Telefonats mit Schmid, das von ihm heimlich mitgeschnitten wurde. Im Gespräch stellt er Schmid Suggestivfragen wie: "Was sie uns da strafrechtlich vorwerfen, kannst du dir das irgendwie erklären?"

Kurz kämpft nicht nur im Verfahren gegen strafrechtliche Vorwürfe, sondern auch medial um seinen Ruf. Mit prozessbegleitender Öffentlichkeitsarbeit, im Fachjargon Litigation-PR, soll einer medialen Vorverurteilung entgegengewirkt werden. Der Fall Kurz ist dabei auch deshalb so bemerkenswert, weil er gleichzeitig ein Beispiel gelungener und missglückter Litigation-PR ist, ein Rückblick:

Erster Akt, Mai 2021

Der Vorwurf einer Falschaussage im U-Ausschuss schadet Kurz politisch noch kaum. Im "Gerichtssaal der Öffentlichkeit" fährt er einen klaren Sieg ein. Kurz informiert die Medien selbst darüber, dass er als Beschuldigter geführt wird, und zeichnet ein emotionales Bild, in das sich das Publikum einfühlen kann: die Opposition, die Vorwürfe konstruiert, während der junge Kanzler unermüdlich für sein Land arbeitet. Dadurch zerstreut er die Vorwürfe auf der politischen und medialen Ebene.

Zweiter Akt, Oktober 2021

Mit den Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale und im Bundeskanzleramt beginnt die Inseratenaffäre. Hier geht es um Untreue und Bestechung, den Beschuldigten drohen bis zu 15 Jahre Haft. Kurz und sein Team gehen sofort in die Gegenoffensive, sprechen von "linken Zellen der WKStA" und "politisch motivierten Ermittlungen". Diese Äußerungen sind eine Fortsetzung von Angriffen auf die Justiz im Ganzen und die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Speziellen. Die vielzitierte Message-Control versagt jedoch, der mediale und politische Druck nimmt zu. Im Dezember 2021 tritt Sebastian Kurz als Bundeskanzler zurück.

Dritter Akt, Oktober 2022

Nach der Kronzeugin Sabine Beinschab legt auch Thomas Schmid vor der WKStA ein umfassendes Geständnis ab und belastet Kurz schwer. Der Anwalt von Kurz kündigt umgehend eine "Bombe" an, die den Ex-Kanzler entlasten soll, und legt der WKStA und den Medien das Protokoll des Telefonats zwischen Kurz und Schmid vor, das zwei Wochen nach den Hausdurchsuchungen geführt wurde. Kurz ruft Schmid darin an und bedankt sich zunächst für eine "nette SMS". Er nimmt das Gespräch mit einem zweiten Handy auf und beteuert in weiterer Folge seine eigene Unschuld: "Wir haben doch nie einen Auftrag gegeben, oder wir haben doch nicht einmal über Inserate und so was geredet ... oder ... oder ich habe doch nie gesagt, du sollst der Beinschab jetzt irgendwelche Aufträge geben. Ich finde das so skurril, ich les diesen Akt und denk mir, das gibt's ja nicht. Wie kann man das behaupten, oder?" Schmid sagt darauf sinngemäß, dass sich die Staatsanwälte ihre eigene Geschichte zusammenbauen würden.

Kurz und sein Anwalt versuchen auf dieser Grundlage vehement, die Glaubwürdigkeit von Schmid zu untergraben. Dieser würde der WKStA nur erzählen, was diese hören wolle, um seine eigene Haut zu retten. Sie verwischen damit die Grenzen zwischen medialer Rechtfertigung und strafrechtlicher Verteidigung. Weshalb Kurz ausgerechnet dieses Telefonat aufgenommen und es erst jetzt der WKStA übergeben hat, erklären sie nicht.

Riskante Strategie

Kurz und Co fahren in der Kommunikation eine hochriskante Strategie. Sie unterstellen der WKStA politisch motivierte Ermittlungen ohne "objektiven Beweis". Schmid mag eigennützige Motive für sein Geständnis haben, würde andererseits aber eine Chance auf den Kronzeugenstatus riskieren, wenn er nicht wahrheitsgemäß aussagt. Ihn als habituellen Lügner darzustellen, nachdem er unter Kurz für höchste Funktionen im Staat nominiert wurde, ist gewagt. Mitbeschuldigte werden sich vielleicht fragen, ob auch ihre Gespräche von Kurz heimlich aufgenommen wurden, und daraus ihre Schlüsse ziehen.

Es darf jedenfalls bezweifelt werden, dass die Kommunikationsstrategie von Kurz und seinen Beratern in der breiten Öffentlichkeit positiv wahrgenommen wird. Pauschale Angriffe auf die Justiz sind in der Kommunikation ein Eigentor. Diese genießt ein weit höheres Vertrauen als die Politik.

Litigation-PR hat ihre Berechtigung und kann für die Betroffenen immens wichtig sein, um ihr berufliches Fortkommen abzusichern. Sie kann sich allerdings auch ins Gegenteil verkehren und sogar die Chancen im Strafverfahren negativ beeinträchtigen. In der öffentlichen Kommunikation kann weniger manchmal mehr sein, um nicht schon vor der Anklage jede Glaubwürdigkeit zu verspielen. (Martin Kollar, Johannes Kaiser, 3.11.2022)