Sechs der 23 LNG-Terminals in der EU (im Bild eine Anlage in Bilbao) stehen an Spaniens Küsten, vor denen sich so manches Schiff staut.

Foto: Imago / Javier Larrea

Rund ein Dutzend Tanker, die mit verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) beladen sind, liegen vor Spaniens Atlantikküste unweit der andalusischen Hafenstadt Cádiz vor Anker. Andere kreuzen weiter draußen auf dem Atlantik. Und wieder andere liegen jenseits der Meerenge von Gibraltar an der Einfahrt zum Mittelmeer. Sie finden keinen Anlegeplatz, um ihre Ladung zu löschen.

Das ist ein Teil der Erzählung. Der andere Teil geht folgendermaßen: Die Tanker fahren im Moment bewusst keine Häfen in Europa an in der Hoffnung, dass sich die Preissituation in den kommenden Wochen bessert und wieder mehr Geld mit dem Verkauf von LNG verdient werden kann.

Gesunkene Nachfrage

Zuletzt haben sich die Gaspreise deutlich von ihren Höchstständen entfernt – Folge unter anderem der für die Jahreszeit ungewöhnlich milden Temperaturen in Europa. Geschuldet ist der Preisverfall auch der gesunkenen Nachfrage in Asien. Länder wie Japan oder Südkorea sind aus Mangel an Pipelineverbindungen und wegen fehlender eigener Ressourcen in hohem Maß auf LNG angewiesen. Sie zahlten bisher deutlich mehr, als dies Länder in Europa bereit waren zu tun. Das hat sich seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine geändert.

Regasifizierungsterminals in anderen europäischen Ländern anzulaufen ist nach Ansicht von Experten auch nur bedingt eine Lösung, denn sechs der insgesamt 23 einschlägigen größeren Anlagen in der Europäischen Union befinden sich nun einmal auf spanischem Boden. Diese decken rund 40 Prozent der europäischen Kapazität.

Volle Speicher

In diesen zum Teil bereits vor vielen Jahren entlang der Atlantik- und Mittelmeerküste errichteten Terminals wird das zuvor bei minus 162 Grad Celsius verflüssigte Erdgas wieder in gasförmigen Zustand überführt. Über Pipelines gelangt das Gas so zu den Endverbrauchern.

Doch in Spanien weiß man nicht so recht, wohin mit noch mehr Gas. In den vergangenen Monaten sind ebendort so viele LNG-Tanker angekommen wie noch nie. Laut Statistik sind von Jänner bis Ende September dieses Jahres allein in Spanien mehr als 250 Riesentanker mit LNG an Bord gelöscht worden, so viele wie im gesamten Vorjahr.

Die spanischen Gasspeicher, die zu den größten in Europa zählen, sind zu 93 Prozent gefüllt. Und die Iberische Halbinsel ist nur dürftig an das europäische Gasnetz angeschlossen. Trotz des Staus sind weitere Gastanker auf dem Weg, vor allem aus den USA nach Europa. So befinden sich von den über 260 Gastankern, die derzeit auf den Weltmeeren verkehren, rund ein Fünftel in der Nähe Europas. Und Spanien ist zum Flaschenhals geworden.

USA auf Gewinnerseite

Der eindeutige Gewinner der durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verursachten Energiekrise sind die USA. US-amerikanisches Gas hat zu einem nicht unerheblichen Teil russisches Gas ersetzt. Das zeigt die Statistik. Demnach hat Europa im ersten Halbjahr 2022 fast dreimal so viel verflüssigtes Erdgas aus den USA importiert wie vor dem Krieg in der Ukraine.

Auch in Spanien sind die USA mittlerweile die Nummer eins unter den Gaslieferanten. Das war nicht immer so. Vor wenigen Monaten noch kam der Großteil des in Spanien angelandeten Gases per Pipelines aus Algerien. Doch dann hat sich Madrid mit Algier diplomatisch überworfen.

Die Regierung des Sozialisten Pedro Sánchez hat überraschend die Souveränität Marokkos über die seit den 1970er-Jahren besetzte ehemalige spanische Kolonie Westsahara anerkannt. Algerien unterstützt die dortige Befreiungsbewegung Polisario. Der Konflikt wirkt sich auf die Gaslieferungen aus, und das ausgerechnet jetzt, wo jede Alternative zum russischen Erdgas so dringend gebraucht wird.

Hoffen auf höhere Preise

"Europa hat gekauft, was nur irgendwie ging", ist sich Yolanda Moratilla, Professorin an der Madrider Universität Comillas-ICAI und Expertin in Energiefragen, sicher. Dass die Schiffe vor Spanien nun Schlange stehen, anstatt andere Häfen etwa außerhalb Europas anzufahren, habe noch einen Grund. Europa zahlt so gut wie sonst niemand. Die Tanker nach Asien oder Afrika umzuleiten würde die Einnahmen der Gasverkäufer schmälern.

"Einige Schiffe könnten mit der Löschung bis zum Winter warten", zitiert die Nachrichtenagentur Reuters Samuel Good, zuständig für die Beobachtung des Gasmarkts bei Argus, einer der weltweit führenden Agenturen für Warenpreise. Die Gaspreise sind zuletzt um 28 Prozent auf den tiefsten Stand seit Juni gefallen. Wer warten könne, mache das in der Hoffnung, dass es bald kalt wird, die Nachfrage steigt und die Preise mit nach oben reißt. (Reiner Wandler aus Madrid, Günther Strobl, 3.11.2022)