Olaf Scholz will bei seinem Peking-Besuch auch "schwierige Themen ansprechen", strebt aber "keine Entkoppelung von China" an.

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Geht es nach Wang Dan und Wu’er Kaixi, dann braucht Olaf Scholz am Donnerstag gar nicht erst in den Flieger nach China zu steigen. Die beiden ehemaligen Studentenführer der blutig niedergeschlagenen Demokratiebewegung von 1989 haben mit rund 180 Dissidenten und Intellektuellen aus China einen offenen Brief geschrieben.

"Herr Scholz, bitte reisen Sie nicht nach China", heißt es in diesem. Das heutige China sei "nicht nur ein zentralisierter Staat", sondern rutsche langsam in eine "Diktatur nach nationalsozialistischem Vorbild" ab. Auch an Menschenrechtsverletzungen, unter anderem in den autonomen Regionen Xinjiang, Tibet und in der Inneren Mongolei, erinnern sie.

Doch Scholz will den Brief weder kommentieren noch der Aufforderung der Absender nachkommen. Am Freitag in der Früh wird er in Peking landen und dann von deutschem – nicht von chinesischem – Fachpersonal einen PCR-Test durchführen lassen, um für die Treffen mit Staatspräsident Xi Jinping und Ministerpräsident Li Keqiang vorbereitet zu sein.

Streit um Hafenterminal

Im Schlepptau hat er eine Wirtschaftsdelegation – darunter die Chefs von VW, Siemens und Merck –, im Gepäck ein umstrittenes Gastgeschenk: Erst vor wenigen Tagen ließ die deutsche Regierung die Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco an einem Containerterminal im Hamburger Hafen zu.

Dafür hatte sich Scholz viel Kritik anhören müssen. "Im deutschen Bürgertum herrscht nicht nur eine unglaubliche Entrüstung über den Angriff Russlands auf die Ukraine, sondern zunehmend auch über China – nach dem Motto, Deutschland muss gegenüber autokratischen Regimen anders auftreten", sagt Andreas Nölke, Politologe mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen an der Goethe-Universität Frankfurt.

Ungewöhnlich war daher auch der öffentliche "Hinweis" der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) an ihren Chef, er möge in Peking doch kritisch auftreten. Es sei wichtig, "dass wir als Bundesregierung eine neue China-Strategie schreiben, weil das chinesische Politiksystem sich in den letzten Jahren massiv verändert hat, und sich damit auch unsere China-Politik verändern muss", erklärte Baerbock.

In der Tradition von Merkel

Das Dilemma ist offensichtlich. "Auf der einen Seite wollen Baerbock und die Grünen einen härteren Kurs fahren. Auf der anderen Seite macht die Industrie Druck, die ihre Geschäfte machen will. Die Frage wird sein: Wer setzt sich durch? Scholz ist eher der Industrie zugeneigt und steht nicht nur hier in der Tradition von Angela Merkel", so Nölke.

Ein Treffen von Scholz mit Vertretern der chinesischen Zivilgesellschaft ist nicht geplant, weil man diese nicht den strengen Quarantäneregeln Pekings mit tagelanger Isolation nach dem Treffen aussetzen will. Doch der Kanzler will dies anderswo, später, nachholen. Er hat mit den Machthabern in Peking ohnehin genug zu besprechen.

Das viele Grummeln über seine Reise weist Scholz zurück: "China ist und bleibt ein wichtiger Partner", man könne es nicht isolieren, schreibt er in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ). Merkel sei vor drei Jahren zuletzt in China gewesen, seither habe sich die Welt rasant verändert. "Gerade weil business as usual in dieser Lage keine Option ist, reise ich nach Peking", so Scholz.

Er weist auch darauf hin, dass "das China von heute nicht mehr dasselbe wie noch vor fünf oder zehn Jahren" sei. "Bekenntnisse zum Marxismus-Leninismus nehmen deutlich breiteren Raum ein als in früheren Parteitagsbeschlüssen. Dem Streben nach nationaler Sicherheit (...) kommt künftig mehr Bedeutung zu." Für ihn sei daher klar: "Wenn sich China verändert, muss sich auch unser Umgang mit China verändern."

Partner, Wettbewerber, Rivale

Apropos EU: Bemängelt war auch worden, dass Scholz nicht mit EU-Partnern wie etwa dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach Peking fährt, sondern allein. Dazu erklärt Scholz, er habe sich mit diesen eng abgestimmt. Er findet: "Mit dem Dreiklang ‚Partner, Wettbewerber, Rivale‘ hat die Europäische Union China richtig beschrieben, wobei Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs in den vergangenen Jahren zweifellos zugenommen haben."

Allerdings hat Scholz, wie schon Merkel, natürlich im Kopf, dass China der wichtigste Handelspartner Deutschlands ist. "Er weiß, dass es bei der hohen Exportabhängigkeit Deutschlands ungeschickt wäre, sich die halbe Welt zum Feind zu machen", sagt Nölke.

Und der Politologe sieht auch noch andere wachsame Augen auf Scholz gerichtet: "Der Druck auf ihn wird auch aus den USA zunehmen. Denn dort herrscht weithin Konsens darüber, dass der Aufstieg Chinas gestoppt werden muss." (Birgit Baumann aus Berlin, 3.11.2022)