In dem Konflikt sind bereits tausende Menschen gestorben. Millionen müssen deswegen in Tigray Hunger leiden.

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Die Unterzeichnung des Friedensvertrags in Südafrikas Hauptstadt Pretoria ist nur wenige Stunden her. Tausende Kilometer weiter nördlich funktionieren endlich die Leitungen wieder. Zum ersten Mal seit Monaten gibt es in der äthiopischen Bürgerkriegsprovinz Tigray zumindest teilweise wieder Strom. Die Drohnenangriffe der äthiopischen Luftwaffe auf die Provinzhauptstadt Mek’ele haben aufgehört, die Menschen sind erleichtert und voller Hoffnung.

Auf Hochtouren bereitet das Welternährungsprogramm der Uno (WFP) die Wiederaufnahme seiner Nahrungsmittellieferungen in die abgeriegelte Provinz vor, in der Millionen Menschen Hunger leiden und womöglich Tausende bereits den Hungertod gestorben sind. "Ein Neuanfang für Äthiopien und für ganz Afrika", schwärmt Nigerias Ex-Präsident Olusegun Obasanjo.

Als von der Afrikanischen Union (AU) beauftragter Verhandlungsführer für die äthiopischen Friedensgespräche gab Obasanjo am Mittwochabend in Pretoria überraschend einen Durchbruch bei den zehntägigen Gesprächen bekannt: Beide Seiten hätten sich auf einen "sofortigen Waffenstillstand", auf eine "systematische Abrüstung", auf die "Wiederherstellung von Recht und Ordnung", die "Wiederherstellung von Dienstleistungen", den "ungehinderten Zugang zu Nahrungsmittelhilfe" sowie den "Schutz der Zivilbevölkerung" geeinigt. Mit einem derartig umfangreichen Friedensplan hatte zuvor kaum jemand gerechnet.

Keine Herzlichkeit

Herzlichkeit wollte allerdings keine aufkommen, als sich die Chefs der beiden Delegationen – der Sicherheitsberater des äthiopischen Regierungschefs, Redwan Hussein, und TPLF-Sprecher Getachew Reda – gegenseitig die acht Seiten lange "Verständigung für einen dauernden Frieden" überreichten. Sie hatten Schwierigkeiten, sich überhaupt in die Augen zu schauen. Beide begrüßten in ihren Reden jedoch den unerwarteten Verhandlungserfolg: Das "konstruktive Engagement" der beiden Kriegsparteien beende eine "tragische Episode" in der Geschichte Äthiopiens, sagte Sicherheitsberater Redwan. Die TPLF habe sich zu "schmerzhaften Zugeständnissen" bereiterklärt, fügte Reda hinzu.

Die wesentlichen Errungenschaften der Vereinbarung sind neben dem sofortigen Waffenstillstand die Aufhebung der Blockade Tigrays seitens der äthiopischen Regierung, die Anerkennung der äthiopischen Streitkräfte als "einzige nationale Armee" sowie die Demilitarisierung der TPLF-Kämpfer.

Die politische Führung Tigrays erkennt die Souveränität der äthiopischen Grenzen an und gibt damit ihre Sezessionsbestrebungen auf. Umgekehrt hebt Addis Abeba seine Klassifizierung der TPLF als "Terrororganisation" auf und verspricht, sich am Wiederaufbau zu beteiligen. Fast auf den Tag genau zwei Jahre dauert der Bürgerkrieg an.

Lücken im Frieden

Allerdings werden in dem Vertrag wesentliche Streitfragen gar nicht angesprochen, die laut Experten zu einem erneuten Kollaps des Waffenstillstands führen könnten. Eine fünf Monate dauernde Waffenpause war bereits im August kollabiert. So fehlt in dem Dokument jeglicher Hinweis auf die eritreischen Streitkräfte, die an der Seite der äthiopischen Regierungsarmee kämpfen und sich noch in Tigray befinden.

Eritrea war zu den Friedensgesprächen in Südafrika gar nicht eingeladen, weil seine Kriegsbeteiligung als völkerrechtswidrig gilt. Ob der eritreische Diktator Isayas Afewerki seine Truppen demnächst tatsächlich abziehen wird, muss sich erst noch herausstellen. Seinen Soldaten werden die schlimmsten Kriegsverbrechen wie Massaker unter Zivilisten und Massenvergewaltigungen vorgeworfen.

Außerdem fehlt in der Vereinbarung jeder Hinweis auf den Westen Tigrays, der derzeit unter anderem von Milizen aus der benachbarten Amhara-Provinz kontrolliert wird. Sie beanspruchen diesen Teil Tigrays für sich: Er sei ihnen von der TPLF nach deren Sieg über den "roten Diktator" Mengistu 1991 weggenommen worden, heißt es. Wie der Streit zwischen Tigray und Amhara beigelegt werden soll und ob hunderttausende Flüchtlingen nach Westtigray zurückkehren können, ist derzeit noch unklar.

Einig waren sich alle Beteiligten in der Einschätzung, dass es sich bei der Vereinbarung nur um "den ersten Schritt" eines langwierigen Friedensprozesses handele. "Der Teufel steckt in der Implementierung", sagte Kenias Ex-Präsident Uhuru Kenyatta, der Verhandlungsführer Obasanjo zur Seite stand: "Wir haben noch eine Menge zu tun, um den politischen Prozess in Gang zu bringen." (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 3.11.2022)