Im ägyptischen Scharm El-Scheich wird einmal über die Zukunft des Planeten entschieden.

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Ist die Klimakonferenz gelaufen, bevor sie begonnen hat? Aus Sicht Greta Thunbergs ist das der Fall. Während sie auf der Klimakonferenz im Glasgow im vergangenen Jahr den Regierungen vorwarf, nur leere Versprechungen zu machen, wird die Klimaaktivistin in diesem Jahr gar nicht erst zur Konferenz reisen. Diese biete bloß eine Bühne für "Greenwashing, Lügen und Betrügereien", erklärte sie ihre Entscheidung. Das wiege umso schwerer, weil es in diesem Jahr kaum Raum für die Zivilgesellschaft geben werde. "Es wird schwierig für Aktivistinnen und Aktivisten, sich Gehör zu verschaffen", so Thunberg.

Auch geopolitisch ist die Ausgangslage schwierig: Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine rückte die Energiesicherheit stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit. Europas neue Nachfrage nach Flüssigerdgas ist weltweit Treiber für neue Projekte zur Gasförderung. Gleichzeitig erlebt die Kohle eine Renaissance: Sie ist heute wettbewerbsfähiger als noch vor einem Jahr.

Welt steuert auf 2,5 Grad zu

Das sei jedoch nur ein temporäres Phänomen, prognostiziert der jüngste Bericht der Internationalen Energieagentur. Er stellt das schnelle Ende des fossilen Zeitalters in Aussicht. Noch in diesem Jahrzehnt werde der Verbrauch von Erdöl, Erdgas und Kohle in eine Stagnationsphase übergehen – und dann langsam sinken.

Bis dahin steigen die Emissionen jedoch weiter. Laut einem aktuellen Bericht, in dem die UN die Klimapläne aller Staaten auswertete, werden sie bis 2030 um weitere 10,6 Prozent steigen. Um das Pariser Klimaziel zu erreichen, müssten sie um 43 Prozent sinken. Heute steuere die Welt hingegen bestenfalls auf die Erhitzung von 2,5 Grad zu – wenn alle Staaten ihre Versprechen erfüllen. Wie die enorme Lücke geschlossen werden kann, dazu soll auf der anstehenden Klimakonferenz, der COP27, nun ein Arbeitsprogramm bis 2030 beschlossen werden.

DER STANDARD

Eng damit verknüpft ist auch die Frage, woher das viele Geld kommen soll, das für den Klimaschutz, die Anpassung an die Folgen der Erderhitzung und den Umgang mit immer häufiger auftretenden Wetterextremen verwendet werden soll. Diese Frage wird wohl im Zentrum der Verhandlungen in Ägypten stehen.

Geld für Klimaschäden

Es gilt vieles aufzuholen: Bisher bleiben die Industriestaaten weit hinter ihren Versprechen mit Blick auf die Klimafinanzierung zurück. Sie sagten zu, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar in den sogenannten Green Climate Fund einzuzahlen – das ist eine multilaterale Einrichtung, die Geld für Klimaprojekte vergibt. Mit ihrer Finanzierung sollen wirtschaftlich weniger entwickelte Staaten bei der Dekarbonisierung unterstützt werden. Das Ziel wurde verfehlt: 2020 kamen nur 84 Milliarden Dollar zusammen.

Wolfang Obergassl vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie sieht damit ein zentrales Versprechen der internationalen Klimapolitik gebrochen. "Das wird sich auch in den Verhandlungen in Scharm El-Scheich niederschlagen", sagt Obergassl. Kein guter Start in der ohnehin schwierigen Situation.

Die Verhandlungen dürften also hitzig werden. Denn selbst die versprochenen 100 Milliarden US-Dollar reichen nicht, um den Investitionsbedarf zu decken. Allein in Afrika liege dieser zwischen 2022 und 2030 bei 1,3 Billionen US-Dollar, ließ die Afrikanische Entwicklungsbank wissen.

Eingerechnet in diesen Betrag sind auch Ausgaben für den Umgang mit Klimafolgen, bei denen keine Anpassung mehr möglich ist – etwa für untergehende Inseln, die Verwüstung durch Stürme oder Ernteverluste. Heute ist dieser Bereich, im Fachsprech Loss and Damage genannt, von der Klimafinanzierung nicht erfasst.

Schäden in Billionenhöhe

Bisher fußt die Klimafinanzierung auf zwei Säulen: Einerseits soll das Geld in Klimaschutz, etwa den Ausbau erneuerbarer Energien oder Aufforstung, fließen. Und andererseits wird in Anpassungsmaßnahmen für eine heißere Welt investiert.

Viele Entwicklungsstaaten fordern jetzt, eine dritte Säule für Klimaschäden hinzuzufügen. Das Argument: Die Klimakrise wurde vor allem von den reichen Staaten verursacht – sie sollen auch die Kosten für die Schäden tragen.

Die Industrieländer haben sich einer solchen Diskussion bislang verwehrt. Sie orten ein Fass ohne Boden – denn die Klimaschäden könnten bis zur Mitte des Jahrhunderts mehrere Billionen US-Dollar jährlich ausmachen, selbst wenn die weitere Erderhitzung eingedämmt wird. Außerdem fürchten die Industrieländer, auch juristisch für "ihre" Klimaschäden verantwortlich gemacht zu werden.

Schon allein aufgrund dieser Diskussion sei es wichtig, dass die Klimakonferenz stattfinde, argumentiert Lina Yassin, die für die sudanesische Delegation an den Verhandlungen in Scharm El-Scheich teilnimmt. Sie teile den großen Frust über den nur schleppenden Fortschritt der Klimaverhandlungen. Schließlich hätten all die Verzögerungen die Konsequenzen wie die Erderhitzung verschlimmert und das Thema der Klimaschäden und -verluste zur unausweichlichen Realität in vielen Entwicklungsländern gemacht. "Aber hätten wir die COPs nicht, gäbe es keinen Raum für Länder wie meines, reiche Länder zu ambitionierten Zielen zu drängen und mehr Klimafinanzierung einzufordern", sagt sie. (Alicia Prager, Philip Pramer, 4.11.2022)