Nach jahrhundertelanger Unterdrückung von People of Colour können Frisuren, die nicht weißen Normen entsprechen, durchaus ein politisches Statement sein.

Foto: Reuters/ AMANDA PEROBELLI

Das Buch kommt mit dem Du-Wort daher und als Ratgeber, wie gutwillige weiße Menschen rassistisches Denken und Handeln gegenüber People of Colour vermeiden können. Einfach sei das nicht, schreiben die Mitherausgeberinnen Melanie und Minitta Kandlbauer gleich am Anfang: "Weil Rassismus ein System und eine Ideologie ist, die uns alle beeinflusst."

Aufregerthemen einfach erklärt

Wie das funktioniert und wie realitätsbestimmend es ist, vermitteln die folgenden 240 Seiten, die zwar locker gelayoutet und mit comicähnlichen lllustrationen von Emma Bošnjanović gestaltet sind, aber in der Schockfarbe Gelb. Da geht es zum Beispiel um "racial profiling", um systematisches Verdächtigen, Anhalten und Durchsuchen schwarzer Menschen durch die Polizei. Um rassistische Witze mit anschließendem "racial gaslighting", wenn Betroffenen, die Gags über sie gar nicht lustig finden, Überempfindlichkeit unterstellt wird. Um unaufgeforderte Griffe in Afro-Haare, weil die so exotisch seien.

Sowie um ein derzeitiges Aufregerthema: um gecancelte, sprich ausgeladene, weiße Dreadlock-Trägerinnen und -Träger. Diese Kontroverse um verfilzte Strähnenfrisuren eignet sich gut, um das Thema besser zu verstehen. Ihm wird weder der emotional geführte Streit gerecht noch die Vorstellung, Antirassistinnen und Antirassisten würden stur auf angebliche kulturelle Errungenschaften schwarzer Menschen beharren.

Kolonialistische Hintergründe erkennen

Vielmehr fordern diese, die weiße Mehrheitsgesellschaft möge sich bewusst werden, wie zerstörerisch das Erbe des Kolonialismus bis heute wirkt. Am Begriff Dreadlocks zeige sich das, schreibt Buch-Mitherausgeberin Noomi Anyanwu. Das Wort sei im 19. Jahrhundert von britischen Kolonialisten erfunden worden, die gegen kenianische Krieger gekämpft und deren Frisur "dreadful" (auf Deutsch: schrecklich) gefunden hätten. Diesen unguten geschichtlichen Hintergrund würden Dreadlocks perpetuieren, zumal auf weißen Köpfen.

Anyanwu ist Vorsitzende der Volksbegehrensinitiative Black Voices, die an der 100.000-Stimmen-Hürde knapp gescheitert ist. Deren Ziel war die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe schwarzer Menschen und People of Colour in Österreich. Dem soll auch das vorliegende Buch dienen, das Einblicke in die im deutschen Sprachraum bis dato unterbelichtete antirassistische Bewegung bietet.

Minitta Kandlbauer, Melanie Kandlbauer, Noomi Anyanwu (Hrsg.), "War das jetzt rassistisch? 22 Anti-Rassismus-Tipps für den Alltag". € 23,50 / 240 Seiten. Leykam, Graz 2022.
Leykam

Sprachsensiblen Umgang

Da fallen Begriffe wie "allyship" und "critical whiteness", sprich bewusste Unterstützung der Anliegen von People of Colour durch Weiße. Es wird für einen antirassistischen, sprachsensiblen Umgang abseits des belasteten Begriffs der Political Correctness plädiert. Ein Anknüpfungspunkt könne die deutsche Sprachwissenschaft nach 1945 sein, die die Sprache des Nationalsozialsozialismus identifiziert und bekämpft habe, schreibt Minitta Kandlbauer.

Auch kommen sämtliche rassismusbetroffenen Gruppen zu Wort. Juden und Jüdinnen, Roma und Sinti, Asiatinnen. Auch über den antimuslimischen Rassismus gibt es mehrere Kapitel, wobei auffällt, dass hier sehr auf das Recht muslimischer Frauen gepocht wird, Kopftuch zu tragen. Angesichts der Kopftuchverbotsdiskussion mag das stringent sein. Aber vielleicht relativiert es sich angesichts der heftigen Antischleierproteste im Iran. (Irene Brickner, 5.11.2022)