"Frauenfeindliche Parolen werden in Teilen der Gesellschaft und Politik offenbar wieder salonfähig, wozu das Internet als Brandbeschleuniger dient": Bettina Gärtner.

Foto: Aleksandra Pawloff

Alt, deutsch, Frau, ärger geht es kaum, sehr geehrter Hater, ich weiß und muss lebensmüde sein. Noch dazu, wo sich Ihnen der mittlere Makel selbst dann nicht erschlossen hätte, wenn es bei unserer ersten Begegnung zum Wortwechsel gekommen wäre, ich gehe nämlich sprachlich als eine von Ihnen durch.

Als ich an jenem wolkenlosen, noch nicht zu warmen Tag mit meinem Altglas aus der Haustür trat, waren auf der Straße nur Essenslieferfahrräder beziehungsweise Paketzustellwagen unterwegs und auf dem Gehsteig bloß ein einzelner Mensch, Sie, sehr geehrter Hater. Die Pandemieauflagen steigerten den Wert dieser seltenen Tage noch, gut möglich also, dass ich in mich hineingelächelt habe, während das steinzeitliche Dienstprogramm in meinem Hirn die Lage scannte und Sie mir als erheblich größer und stärker meldete, nach Einrechnung von Geschwindigkeit, Kleidung und Begleitung jedoch das Gesamturteil gutmütig fällte.

Der Gehsteig wäre breit genug gewesen, leider war Ihre Begleitung vierbeinig und musste mir mit ihrer Leine erst den Weg abschneiden, um von Ihnen beachtet zu werden. Ich kann mich nicht überwinden, ein Geschöpf Hund zu nennen, das pausenlos kläfft, hechelt oder zittert und in jede Handtasche passt, doch vergnügt und ohne böse Gedanken, wie ich an jenem Tag war, wich ich, als es sich vor mir auf die Hinterpfoten stellte, bloß scheinbar erschrocken einen Schritt zurück und suchte erheitert Ihren Blick.

Sie aber musterten mich missbilligend, um mich dann ohne Hast mit den Worten "Der ham a die Grünen ins Hirn gschissn" zu bedenken. Meine Kleidung bietet wenig Angriffsfläche, doch wer ein derart lächerliches Geschöpf äußerln führen muss, den kann auch altes Glas triggern. Ich überlegte noch, wie zu reagieren wäre, da schnalzte die Leine in so hohem Bogen zurück, dass das Tier auf Ihrem Handrücken aufsaß, boing! Ich hatte Mühe, nicht laut aufzulachen, während Sie Ihren Weg fortsetzten und das hyperventilierende Bündel vor der Polizeiinspektion wieder auf den Gehsteig stellten, wo es sogleich abkotete. Ich sah Sie ein kompostierbares Sackerl aus der gebügelten Sweathose nesteln, sich bücken und danach den Mistkübel ansteuern. Vorbildlich, wiewohl eigentlich ein Fall für den Biomüll, so wie Ihre Begleitung: Bis zur Tonne wären es ein paar Schritte mehr gewesen.

II

Das war vor über einem Jahr, sehr geehrter Hater. Die Krisen sind ja nicht weniger geworden und so, wie Sie sich mir als politisch wacher Vertreter der freien Meinungsäußerung gezeigt haben, bin ich sicher, dass Sie sich auf dem Laufenden halten. Trotz Ihrer körperlichen Fitness – nicht übel für einen, sagen wir, Mittfünfziger – kann ich Sie mir auch gut auf dem Sofa vorstellen und gelange unter Berücksichtigung der Reichweitenzuwächse der öffentlich-rechtlichen Informationsformate im Zuge der Krisen problemlos zu der Annahme, dass Sie am letzten Sonntagabend im Juni den Bericht über Gewalt gegen Frauen und das Interview mit der bekannten Psychiaterin gesehen haben: Gefragt, warum Österreich, wiewohl bei Morden generell europaweit unterdurchschnittlich, bei Morden an Frauen hingegen deutlich höher liege, bezeichnete sie das Land als relativ sicher, aber halt offensichtlich solide misogyn.

Dieser letzte Sonntag im Juni war auch der Beginn der ersten Hitzewelle, Sie erinnern sich, sehr geehrter Hater: Die Hauptstadt eine Gluthölle, dicht verbaute Grätzel wie unseres besonders betroffen, es ist längst jedes Jahr das Gleiche. Athen hat sogar schon einen Chief Heat Officer: Die Hitzebeauftragte soll Sorge tragen, dass die Stadtbewohner den Sommer überleben. Aber Griechenland ist und bleibt halt ein Sehnsuchtsort, oder? Das Meer, die Inseln, die Kultur. Bevor wir allerdings in die Ferne schweifen, geht es noch in die Kulturhauptstadt der Sommerfrische. Dort auf dem Domplatz spielt sich auch jedes Jahr das Gleiche ab: "J-e-d-e-r-m-a-n-n-!" Tradition, Schönheit und Geschichte, wohin das Auge schaut.

Da gibt es viel zu bewahren, zum Beispiel für einen Briefschreiber aus dem Umland, der sich im Vorjahr an der "Sträflingsfrisur" der Buhlschaft stieß und der Schauspielerin darlegte, was er für "entartet"und "gottgewollt" hielt. Die Schauspielerin machte den Brief öffentlich. Mir stellte sich beim Lesen die Frage, wie die vergleichsweise langen Haare des Hauptdarstellers in dieses Weltbild passen. Zumal der in seiner Auslegung des Stoffes eine andere Art Mansplaining betrieb, etwa, dass Männer ihre Privilegien abgeben müssten, um Gleichberechtigung herzustellen. Solche Appelle können dem Briefschreiber nicht gefallen haben, aber vielleicht stimmte ihn ja des Mimen deutsche Abstammung milde … brrr!

III

Wie Sie wissen, stehen in einer Reihe mit der Biotonne noch Glas- und Papiercontainer, gelbe Tonnen und solche für Restmüll. Ich will aber auf die rote Fundbox am Anfang der Reihe hinaus: An der klebt ja seit ein paar Tagen einer dieser "Vermisst!"-Zettel, auf denen so gut wie immer Katzen abgebildet sind. Katzen sind zwar auch nicht so meins, aber die menschliche Verzweiflung rührt mich. In diesem Fall scheint sie mir besonders ausgeprägt – "G-e-l-d-b-e-l-o-h-n-u-n-g f-ü-r j-e-d-e I-n-f-o-r-m-a-t-i-o-n-!" – und gilt einer jener Kreaturen, die ich nicht Hund nennen kann: aufgenommen im Licht der untergehenden Sonne auf nassen Holzplanken vor der Spiegelung der Skyline der Hauptstadt in den Wellen des großen Stromes, darüber end- und wolkenlos der schon blassblaue Himmel.

IV

Ich habe Leine und Halsband sofort wiedererkannt, ein Foto von dem Zettel gemacht und Ihre Nummer eingespeichert. Ich habe gelauscht, ob sich in der Biotonne Leben regt, das Einzugsgebiet der Tonnen großräumig abgesucht und unter jedes Auto geschaut. Doch etwas sagt mir, dass Ihre vierbeinige Begleitung in Wahrheit im großen Strom gelandet ist, platsch! Daheim dann den Untröstlichen geben, indes sich die Fische an den Glitzersteinchen auf dem Halsband die Zähne ausbeißen, und nach ein paar Tagen unwürdigen Schauspiels: "Mykonos bringt uns auf andere Gedanken, Schatz!" Von mir aus auch Kos, Kreta oder Korfu. Hauptsache last minute, die letzten zwei Jahre waren schließlich entbehrungsreich genug, und mit Haustier kämen Sie heuer vermutlich wieder nicht über die Donauinsel hinaus.

V

Andererseits kam mir schon auch die Idee, dass ich Sie falsch einschätzen könnte, und weil da jetzt Ihr Zettel hängt und ich heute einen guten Tag habe, dachte ich, was soll’s, reden wir drüber. Ich hätte Sie gern persönlich erreicht, doch dank Ihrer Mailbox sind wir ja trotzdem ins Plaudern gekommen, so nett, dass ich meine ursprüngliche Frage fast vergessen hätte: Wenn Sie in Griechenland sind, gehört Ihre vierbeinige Begleitung sicher in die Fundbox? Außerdem wollte ich sagen, falls sich unsere Wege je wieder kreuzen: "Schlapfen halten." Vielleicht zucken wir beim Wort lecker beide zusammen, das ist aber bestimmt unsere einzige Gemeinsamkeit.

PS

Wäre ein zuversichtliches Ende Gesetz, die Einhaltung fiele schwer, denn wie der Blick in die Gegenwart zeigt, ist und bleibt die über die Jahrtausende tradierte Sicht auf Frauen als ontologisch minderwertige Wesen der Nährboden für Extreme, und obwohl die Veränderung der gesamtgesellschaftlichen Haltung eigentlich auch ein Anliegen der anderen Männer sein müsste, werden frauenfeindliche Parolen in Teilen von Gesellschaft und Politik offenbar wieder salonfähig, wozu das Internet als Brandbeschleuniger dient: vgl. dazu Adelheid Kastner in Zeit im Bild 2, ORF 26. 6. 2022,bzw. Feindbild Frau, Dokumentation von Ursula Duplantier, NDR 2022.

Aber wer mit der Hetze nicht leben kann, darf sich halt nicht äußern: Behörden, die den Straftatbestand der gefährlichen Drohung nicht ernst nehmen oder Frauen vorwerfen, sie würden provozieren und ins Rampenlicht drängen, machen sich mit Hatern und anderen Tätern ebenso gemein wie ein Gesundheitsminister, für den der Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr nicht der Moment ist, Schuldige zu suchen.

Über die Bierwirt-Sachverhalte finden wir ins gute Gespräch, schon kratzt sich mein Streetkasperl nachdenklich am Kopf: Ich hätte ihn mir auch schönreden können, doch mit seinesgleichen reden zu wollen ist Zeitverschwendung. Umso mehr wäre mit allen anderen zu reden, denn obzwar ständig zu Verteidigung und Abwehr gezwungen, sind Frauen angesichts der strukturellen Dimension der ewig gleichen Probleme allein wohl auf verlorenem Posten. Das alte Schreckensbild des Herrn Jedermann erweist sich immer wieder als nur vermeintlich vormodern, und Jedermänner, die sich dagegen äußern und zusammentun, gehen nicht bloß Adelheid Kastner ab, wobei Vorbilder in der Politik zu erwarten so naheliegend wie vergeblich scheint.

Das entsprechende Gesetz gibt es nicht, allerdings bietet sich unvermutet das Bekennerschreiben der Fearleaders Vienna-Männer als Hoffnungsschimmer an: "We think that there is a need for men to not only choose a clear position when it comes to equality, but to also make a statement and fight side by side with the women* we support. Staying silent means accepting the status quo. (…) Cheer diversity, fear nothing (but heteronormativity, bigotry and a lack of humour)."In diesem Sinne: Cheers! (Bettina Gärtner, 8.11.2022)